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Dinner for One Same procedure as every year

Unser Gastautor aus London berichtet über sein neues Leben in Sachsen-Anhalt. Dinner for One zu Silvester: für ihn ein großes Rätsel.

Von Paul Kilbey 31.12.2017, 09:50

Magdeburg l Klar gibt es viele Unterschiede zwischen den Briten und Deutschen, aber nichts ist für mich ein so großes Rätsel, wie eure Vorliebe für Dinner for One. Wie hat es dieser kleine, unbedeutende britische Sketch - der bei uns jedoch so gut wie unbekannt ist - geschafft, in Deutschland eine Silvestertradition zu werden? Und warum finden so viele Deutsche - mit Verlaub nicht gerade Menschen, die für ihren ausgeprägten Humor bekannt sind - den Film so lustig? Und das jedes Jahr aufs Neue? Sehen sie überhaupt die Ironie dahinter? Im Film wird Miss Sophie auf die Schippe genommen. Oder vielmehr die Tatsache, dass sie so sehr an einer jährlichen Tradition anhält, die sie längst hätte aufgeben sollen. Aber ist das nicht ironischerweise genau das, was Deutsche mit der Show selbst machen?

Ich sage nicht, dass der Film überhaupt nicht lustig ist. Das Konzept ist intelligent, das Drehbuch wirklich gut geschrieben und die Schauspieler spitzenmäßig. Freddie Frinton, eine eigenartige Type (und witzigerweise ein bekennender Alkoholgegner) war zu Lebzeiten ziemlich unbekannt und verstarb leider Jahre bevor er in Dinner for One als James in Deutschland so berühmt wurde. Er nahm die Sendung 1963 für den NDR auf und hatte fünf Jahre später einen Herzinfarkt. Bekannt wurde die Show allerdings erst 1972. Noch tragischer ist die Geschichte vom Drehbuchautoren Lauri Wylie - er starb 1951 in Armut.

Ist Dinner for One zurecht die wohl am häufigsten ausgestrahlte TV-Sendung der Geschichte? Aus meiner Sicht ein ganz klares Nein. Zumindest möchte ich behaupten, dass es zahlreiche britische Klassiker gibt, die viel besser sind. Und nein, ich meine nicht Mr. Bean. Warum der auf der ganzen Welt so berühmt ist, ist mir fast genauso unklar. Wir Briten schauen um die Silvesterzeit eher Filme wie Love Actually, Bridget Jones und Harry Potter - oder ältere britische Sitcoms wie Father Ted und Dad’s Army.

Sicherlich gibt es eine Erklärung dafür, warum die Deutschen Dinner für One so lustig finden. Vielleicht liegt es daran, wie die Engländer dargestellt werden. In einem herrschaftlichen Haus indem viel Wein fließt und ein vorlauter, aber treuer Butler herumstolpert. Und dann ist da der Tigerfell-Teppich, der an ein einstiges brutales Abenteuer in der Kolonialzeit erinnert. Der ganze Sketch ist eine grausige und klischeehafte Parodie auf das aristokratische England. Doch nicht nur das. Ich glaube, dass der Scherz noch weiter, noch tiefer gehen soll. Miss Sophie konzentriert sich nicht nur auf die Vergangenheit ("same procedure as last year"), sie blickt auch in die Gegenwart ("same procedure as every year, James"). Dass ihre Freunde alle schon längst tot sind, ändert nichts daran. Einige Bräuche sind ihr einfach zu wichtig, um sie aufzugeben.

Vielleicht ist das Thema zur Zeit aktueller denn je. Denn die Nostalgie wird immer größer, während die britische Regierung sich von der Europäischen Union trennt und zu unbekannten Ufern davonsegelt. Sieht unsere Zukunft so aus wie die von Miss Sophie? Werden wir Briten alleine an einem riesigen Tisch sitzen und mit unseren imaginären Freunden sprechen und uns dabei selbst veräppeln indem wir so tun, als hätten wir Spaß? Wenn ja, wer ist dann unser James? Unser Kumpane, der unsere verschrobenen Angewohnheiten unterstützt? Es wird kein Deutscher sein, soviel ist sicher. Die feiern ein paar Häuser weiter eine richtige Party. Vielleicht wird sich sogar niemand mehr dazu bereiterklären, unser James zu sein.

Wenn Sie sich also zu Silvester köstlich amüsieren, während James im Vollsuff noch eine Runde um den Tisch stolpert, denken Sie bitte an uns Briten, die eine Zukunft erwartet, die Dinner for One ähnelt. Einer Show, die wir erschaffen und dann vergessen haben.  

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