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Eisenbahn-Museum Die Volldampf-Enthusiasten aus Staßfurt

Im einstigen Bahnbetriebswerks Staßfurt (Salzlandkreis) befindet sich heute eines der bestausgestatteten Eisenbahnmuseen Deutschlands.

Von Bernd Kaufholz 25.01.2018, 00:01

Staßfurt l Dort, wo seit 1969 der Leiter der Einsatzstelle Staßfurt des Groß-Bahnbetriebswerks Güsten sein Büro hatte, lenkt heute der Vorsitzende des Vereins der Eisenbahnfreunde die Geschicke des e. V. Der Raum mit dem schweren Eichenschrank auf dem Linoleumfußboden sieht so aus, als ob die Uhr vor 1990 ticken würde. Wäre da nicht der Computermonitor, auf dem ein Youtube-Clip mit der Dampflok 44 1486, dem Prunkstück der prominenten Schienenfahrzeugsammlung, flimmert.

Aber er macht keinen Hehl daraus, welchem Schienenfahrzeug seine ganz große Liebe gehört: „Keine Frage, den Dampfloks. Eine Dampflok ist ein Stück lebendige Eisenbahn-Geschichte. Sie riecht nach Eisenbahn, hört sich wie Eisenbahn an – eben ursprünglich. Und obwohl man körperlich gefordert ist, finde ich das Fahren unter Dampf entspannter als auf modernen Loks.“ Der 56-Jährige, der zu besonderen Anlässen immer wieder auf eines der prustenden und dampfenden Eisenpferde steigt, mag das Gemeinschaftsgefühl zwischen Lenker und Heizer.

Gravierende Unterschiede gebe es auch in Sachen Reparatur: „Bei einer Dampflok dauert die Fehlersuche zehn Minuten, die Reparatur zwischen drei Tage und einem Monat. Bei der E-Lok sind es vier Tage Fehlersuche und zehn Minuten Austausch eines defekten Bauteils.“

Die Schienenstränge um Staßfurt seien schon immer ein guter Platz für Eisenbahngeschichte gewesen, sagt auch Michael Schütze. Der Magdeburger Feuerwehrmann hat beruflich nie etwas mit der Eisenbahn zu tun gehabt, ist aber Fan mit Haut und Haaren. Der 39-Jährige kümmert sich darum, den Verein noch bekannter zu machen, und hält Kontakt mit Sponsoren.

Er weiß, dass Eisenbahngeschichte zum Mitfahren und Anfassen nicht für ‘n Appel und ‘n Ei zu haben ist. „Die Hauptuntersuchung von Fahrwerk und Kessel, die zwingend vorgeschrieben ist, wenn man mit einer Lok für sechs Jahre auf die Schiene will, kostet 800.000 Euro. Muss der Kessel im Dampflokwerk Meiningen erneuert werden, ist man schnell bei 1,1 Millionen Euro.“

Deshalb seien die Fahrkarten für den Traditionszug auch nicht unbedingt ein Schnäppchen. „Wir freuen uns über jede Spende, jede Zuwendung vom Land“, sagt Hüttner. Die Fördermittel, die 2016 vom Verkehrsministerium zur Verfügung gestellt wurden, seien gerade zur rechten Zeit gekommen, um das Dach des großen Doppelschuppens, das löcherig wie ein Käse war, zu erneuern.

Der Fuhrpark des Museums ist außergewöhnlich. Beinahe 140 Schienenfahrzeuge stehen auf dem Freigelände und im Lokschuppen – von Bahnmeister- und Gleisbaufahrzeugen, über Schneeräumer, Güterwagen bis hin zu den „Kronjuwelen“, den 18 Dampfloks.

Da ist zum Beispiel die 44 1486, 1943 bei Schneider & Cie gebaut. Hüttner kennt die Geschichte. „Die Deutsche Reichsbahn wollte um 1920 eine schwere Lok entwickeln, die Güterzüge ziehen kann. Vier Jahre später, im Sommer, waren zehn Prototypen montiert.“ Eingesetzt worden sei die Lok 1926 für die Bahnbetriebswerke Erfurt, Pressig-Rothenkirchen (Oberfranken) und Saalfeld. Doch der Verbrauch der 44er Reihe war zu hoch.

Erst Mitte der 1930er Jahre kam sie mit Blick auf das Schnellverkehrsnetz wieder zu Ehren. Während des Krieges wuchs der Bedarf. Bis Ende 1944 wurden mehr als 1750 dieser Loks gebaut.

Das Betriebsbuch der 44 1486 endet am 31. Januar 1994 mit dem Eintrag des Reichsbahnausbesserungswerks Meiningen: „ausgemustert“. „Heute ist die Dampflok der einzige betriebsfähige ,Jumbo‘ in den neuen Bundesländern“, weiß Michael Schütze.

Neben den „normalen“ Schienenfahrzeugen bietet das Staßfurter Museum auch eine „Raritätenshow“. Dazu gehört ohne Zweifel die sechsachsige Henschel-„Dampfschneeschleuder“.

Charakteristisch ist das große Schleuderrad am Bug des Schneebekämpfers, das einen Durchmesser von 2,9 Metern hat.

Die Staßfurter „Schneeschleuder“ wurde 1942/1943 in Dienst gestellt. Schneewehen bis zu einer Höhe von drei Metern konnte die 700-PS-Maschine zu Leibe rücken und das bei einer Räumgeschwindigkeit von bis zu sechs Stundenkilometern.

„Die bärenstrake Räumkraft bewies die ,Henschel‘ zuletzt im sogenannten Jahrhundertwinter 1978/1979“, plaudert Uwe Hüttner aus dem Nähkästchen. „Damals wurde sie von Stralsund aus eingesetzt. zum Beispiel auf den Strecken Velgast–Barth und Velgast–Triebsee.“

1988 kam die Schneeschleuder nach Staßfurt und wurde vom Traditions-Bahnbetriebswerk übernommen.

Dass Christoph Lissek zu den Eisenbahnfreunden stieß, daran hat indirekt seine Oma Schuld. „Wenn ich sie als Kind in Staßfurt besucht habe, bin ich immer mit dem Rad von Güsen aus am Bahnbetriebswerk vorbeigefahren. Ich habe den Loks zugesehen, wenn sie an mir vorbeidampften. Das fand ich damals schon spannend.“

Er weiß, dass die Einsatzstelle Staßfurt bereits zu DDR-Zeiten eine hervorragende Adresse für Lok-Fans war.

Anders als in anderen Dienststellen seien die Eisenbahnfreunde auf dem Bahngelände „mit offenen Armen empfangen“ worden. „Die Bestimmungen der Deutschen Reichsbahn, die regelten, wer das Betriebsgelände zu betreten hat, wurden sehr großzügig ausgelegt“, sagt der 37-Jährige. „Die Fans bekamen eine Arbeitsschutzbelehrung, dann konnten sie sich in Begleitung eines Lokführers oder Schlossers frei auf dem Gelände bewegen und fotografieren.“

Ein interessantes Ausstellungsstück steht auf dem Bahnsteig, der von den Eisenbahnfreunden gebaut wurde, um eine Haltepunkt-Atmosphäre zu schaffen.

Der „Katastrophenzug“ wurde 1976 gebaut und steht seit Anfang der 1990er Jahre im Museum. Davor war er in Leipzig stationiert. Die Weisung, zehn dieser Lazarett-Züge zu fertigen, hatte die sowjetischen Militär-Administration bereits Anfang der 1950er Jahre gegeben. Der K-Zug, für den Fahrzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg und ältere vierachsige Reisewagen genutzt wurden, diente vorrangig militärischen Zwecken. Eingesetzt werden sollten die K-Züge aber auch bei großen Bahnunglücken, zur Bergung und Erstversorgung von Verletzten. Nach der Wiedervereinigung wurden die K-Züge, bestehend aus Energieversorgungs-, Küchen-, OP- und Bettenwagen, ausgemustert.

Die Liste der Schienenfahrzeuge ist lang und fast zu jedem können die Eisenbahnfreunde eine kleine Geschichte erzählen. Zwischen den Gleisen weht einen etwas an ...