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Eisenbahnen Loks ohne Führer

Bei deutschen Eisenbahnen herrscht Personalnot. Bei Abellio im Süden Sachsen-Anhalts fielen am Wochenende schon Züge aus.

Von Jens Schmidt 20.08.2018, 01:01

Magdeburg l Alle Bahnunternehmen suchen händeringend Lokführer und Schaffner. Besonders eng wurde es jetzt beim Regionalbahn-Anbieter Abellio. Das Unternehmen (Tochter der niederländischen Staatsbahn) fährt seit 2015 Linien zwischen Halle, Naumburg, Erfurt und Kassel. Am Wochenende wurde es personell so eng, dass auf acht Strecken etwa ein Dutzend Züge ausfielen. Die Reisenden mussten in Busse umsteigen. Ab Dezember kommt Abellio auch in den Norden. Bei der letzten Ausschreibung bekam das Bahnunternehmen den Zuschlag für Sachsen-Anhalts Dieselnetz, das sich vom Harz bis in die Altmark erstreckt. Ein großer Happen. Abellio steigt damit neben DB Regio zum zweiten Großanbieter für Regional-Linien in Sachsen-Anhalt auf. Jedoch: Um alle Linien zu bedienen, braucht das Unternehmen 190 Diesel-Lokführer. Dreieinhalb Monate vor dem großen Start fehlen immer noch 25. Auch 30 Kundenbetreuer-Stellen (Schaffner) sind noch nicht besetzt. Beginnt die neue Ära zwischen Salzwedel und Wernigerode gleich mit Zugausfällen? „Das soll keinesfalls passieren“, sagt Unternehmenssprecher Matthias Neumann. Noch werde pausenlos die Werbetrommel gerührt - auch Quereinsteiger werden genommen und im Unternehmen ausgebildet.

Ist die Mannschaft dennoch bis Dezember nicht komplett, soll ein Notfallplan greifen: Dann sollen Lokführer aus anderen Abellio-Niederlassungen wie aus Baden-Württemberg aushelfen. Auch mit Personaldienstleistern sei man im Gespräch. Zudem werden Kollegen aus Sachsen-Anhalts Süden nun für Dieselloks ausgebildet. Dort fuhren sie bislang E-Loks. Künftig müssen sie beides können. Solch eine Ausbildung dauert zwei bis drei Wochen. Daher - so Abellio - kam es an den beiden vergangenen Wochenenden zu Ausfällen. Eventuell muss auch am nächsten Wochenende Bus-Ersatzverkehr herhalten. Außerdem ist Urlaubszeit: Und laut neuem Tarifvertrag ist das Wochenende zu Beginn und am Ende eines Urlaubs stets frei. Das war früher anders. Die Lokführer-Gewerkschaft GDL kann darüber nur den Kopf schütteln. Seit zweieinhalb Jahren weiß Abellio, dass es das Dieselnetz im Landesnorden übernimmt - und vor anderthalb Jahren wurde die „neue“ Tarifregelung abgeschlossen.

„Da hat wohl irgendwer geschlafen“, sagt Reinhold Vieback, GDL-Bezirkschef Mitteldeutschland.

„Das ist keine vorausschauende Planung.“ Allerdings räumt auch die Gewerkschaft ein: In ganz Deutschland mangelt es an Lokführern. „Der Markt ist abgegrast“, sagt GDL-Sprecher Stefan Mousiol. Er sitzt in der Zentrale in Frankfurt/Main. Die Gewerkschaft gibt früheren Bahnmanagern eine Mitschuld an der Misere. Jahrelang wurde Personal abgebaut und sogar autonomes, also führerloses Fahren propagiert. Nun sucht auch der Platzhirsch Deutsche Bahn allein dieses Jahr 1600 Lokführer. 1000 sind bislang eingestellt. Bei einer Grippewelle - wie im letzten Winter - oder in Urlaubszeiten sind selbst bei der großen DB Ausfälle nicht immer zu vermeiden.

Junge Leute auf die Loks zu locken, ist nicht einfach. Schichtarbeit und Wochenend-Dienste sind nicht jedermanns Sache. Die Löhne stiegen immerhin deutlich an. Die als hartnäckig bekannte Gewerkschaft GDL hat etliches für ihre Berufsgruppe herausgeholt. Vor zehn Jahren setzte sie sogar eine Lohnsteigerung von 30 Prozent durch. Aktuell verdienen Lokführer im ersten Jahr laut GDL jetzt 2737 Euro. Nach zehn Jahren sind es 3020 Euro - wenn sie nach Tarif entlohnt werden.

Das ist nicht nur beim Marktbeherrscher DB der Fall. Auch viele Wettbewerber zahlen mittlerweile Tarif oder nähern sich ihm an. „Mit Abellio Mitteldeutschland haben wir einen Haustarif vereinbart“, sagt Gewerkschafter Viehback. Ab Jahresende sind 100 Prozent erreicht. Bis dahin sind es wenige Prozentpunkte darunter.

Abellio löst ab Dezember im Harz den Anbieter HEX ab. Die meisten Lokführer und Schaffner sind vom alten zum neuen Unternehmen gewechselt. Anders sieht es im Norden aus, wo bislang DB Regio fährt. Fast niemand ging zu Abellio. Trotz der Engpässe bereut es Sachsen-Anhalt nicht, das Dieselnetz an Abellio vergeben zu haben. Dafür zuständig ist die landeseigene Nahverkehrsgesellschaft Nasa. Die waren vor allem angetan von den nagelneuen Fahrzeugen, die Abellio einsetzen will. Die sind schneller und moderner – bieten W-LAN und ein digitales Infopaket mit Anschlusszeiten, Lesegeschichten und Zugang zur ARD-Mediathek. Zudem hat künftig jeder Zug einen Schaffner und damit einen Ansprechpartner für die Reisenden an Bord. So steht es im Vertrag.

Kommentar "Schwere Zeiten für kleine Linien" zum Thema.