Und plötzlich war die Welt bunt

Magdeburg l Früher war die Welt schwarz-weiß. Das denkt man jedenfalls als Kind. Drei Wissenschaftler haben sich nun darangemacht, das Gegenteil zu beweisen. In ihrem Buch „Deutschland um 1900“ zeigen Marc Walter, Sabine Arqué und Karin Lelonek einige der ältesten erhaltenen Farbbilder. Es ist der Einblick in ein stolzes Kaiserreich, das noch etwas unentschlossen zwischen Tradition und Moderne schwankt.

Photochromdruck nennt sich die Bildtechnik, die Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Dabei wird das Negativ einer Schwarz-Weiß-Aufnahme auf einem Lithostein belichtet und ein Abzug auf einer Asphaltschicht erstellt. Jeder Abzug wird mit einer anderen Farbe gefärbt. Am Ende werden – vereinfacht gesagt – die einzelnen Abzüge zu einem Bild zusammengelegt. Heraus kommen Bilder, die selbst heutigen Ansprüchen genügen.

Privatleute, die sich mal etwas gönnen wollten, ließen ihre Familienfotos in Farbe entwickeln. Besonders beliebt aber war der Photochromdruck für Ansichtskarten. Erstmals konnten sich die Kölner einen Eindruck vom Magdeburger Dom machen oder die Münchener den Hamburger Hafen entdecken, ohne eine lange Reise auf sich zu nehmen.

Ihre Faszination haben die Aufnahmen von damals bis heute nicht verloren. Im Gegenteil: Die Fotos geben einen Eindruck vom Leben um 1900. Wir sehen Straßenbahn-Wagen in Halle, die noch von Pferden gezogen werden. Oder moderne Dampfschiffe, die am heutigen Schleinufer in Magdeburg festmachen, um ihr Ladegut gleich auf Güterzüge entladen zu lassen. Wir sehen moderne Technik, wie die Wetterstation auf dem Brocken, und urtümliches Dorfleben mit Viehabtrieb in Schierke. Es scheint jedenfalls ein geschäftiges Land gewesen zu sein, dieses Deutschland um 1900. Begleitet werden die manchmal seitenhohen Abbildungen in dem Buch von kurzen Texten auf Deutsch, Englisch und Französisch. Es ist ein Mammutwerk mit 612 Seiten und fast sieben Kilogramm Gewicht geworden. Und doch ist jede Seite, jede Aufnahme sehenswert.

Deutschland um 1900. Ein Porträt in Farbe. Marc Walter, Sabine Arqué, Karin Lelonek. 612 Seiten, 150 Euro. Taschen Verlag