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Halle-Attentat Polizei-Einsatz mit Pannen

Beim Polizeieinsatz rund um den Terroranschlag in Halle ist nicht alles glattgelaufen. Das wurde gestern im Untersuchungsausschuss bekannt.

Von Michael Bock 17.07.2020, 01:01

Magdeburg l Die Frage kommt ziemlich am Ende der Befragung Frank Michlers. „Gab es Fehler im Einsatz?“, wird der Leiter des Polizeieinsatzes am 9. Oktober 2019 im U-Ausschuss gefragt. Der erfahrene Polizist antwortet ohne Umschweife. Es gebe nicht einen Einsatz auf der Welt, der nicht verbesserungswürdig sei, sagt er.

Mehr als zwei Stunden steht Michler im öffentlichen Teil Rede und Antwort. Und ja, er räumt Versäumnisse ein. So etwa bei einem Schusswechsel des Attentäters Stephan B. mit vier Polizisten. Letztere melden das Feuergefecht nicht. Auch Funksprüche aus der Zentrale bleiben unbeantwortet. Der Einsatzführer erfährt erst zwei Stunden später vom Schusswechsel – da ist der Attentäter schon festgenommen worden. Warum unterließen die Polizisten die wichtige Information? Michler begründet das mit dem „Erregungszustand der Kollegen“ in einer Ausnahmesituation.

Hintergrund: Am 9. Oktober hatte der schwerbewaffnete Stephan B. versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen. Dort begingen Gläubige Jom Kippur, den wichtigsten jüdischen Feiertag. Als er scheiterte, erschoss er in der Nähe eine 40-Jährige und einen 20-Jährigen. Auf der Flucht verletzte der Täter ein Paar schwer, bevor er bei Zeitz von zwei Polizisten festgenommen wurde. Stephan B. hat den Anschlag gestanden und rechtsextreme und antisemitische Motive eingeräumt.

Der Einsatzleiter zeichnet vor dem U-Ausschuss sehr sachkundig ein detailliertes Bild von den Vorkommnissen. Die Lage ist zunächst recht chaotisch und bleibt viele Stunden unübersichtlich.

„Wir hatten Hinweise auf bis zu drei Täter“, sagt Frank Michler. Kollegen aus Osnabrück wollten ein entsprechendes Foto entdeckt haben. „Das waren aber zivile Polizeikräfte“, sagt Michler.

Mehr als 400 Notrufe gehen ein. Das Netz ist überlastet. „Wir konnten eine größere Zahl an Notrufen nicht bedienen“, sagt der Einsatzleiter. Es habe nach Hinweisen 20 unterschiedliche Einsätze gegeben.

So wollten Zeugen etwa eine schwarz gekleidete Person mit einem Maschinengewehr auf einem Balkon beobachtet haben. „Wir haben mehrere Wohnhäuser komplett evakuiert“, berichtet Michler. Spezialkräfte rücken an. Doch die ganze Angelegenheit entpuppt sich als Fehlalarm.

Oder die Sache mit dem Handy des Attentäters. Dieses wird geortet, die Polizei überrascht einen verdutzten Mann. Des Rätsels Lösung: Der Attentäter hat das Handy auf der Flucht aus dem Fenster geworfen, jemand fand es und nahm es mit nach Hause. Und plötzlich steht die Polizei vor der Haustür ...

Auch bei der Flucht von Stephan B. läuft nicht alles rund. Nach der Schießerei verfolgen Polizisten den am Hals verwundeten Attentäter. Doch sie verlieren ihn aus den Augen. Michler nennt den Grund: Nach dem Hinweis eines mutmaßlichen Zeugen biegen die Polizisten ab – in die falsche Richtung.

Laut Michler sind im Laufe des Tages 1569 Polizisten im Einsatz. Vor Ort ist auch die GSG 9, eine Spezialeinheit der Bundespolizei. 90 Minuten nach dem ersten Notruf wird der Attentäter nach einem Unfall gefasst. Dass Polizisten aus Zeitz den Mann so festnehmen können, sei „hart erarbeitetes Glück“ gewesen, sagte der damalige Einsatzleiter. „Wir hätten ihn 10, 20 Minuten später auch so gehabt.“

Im U-Ausschuss wird gefragt, warum die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag nicht geschützt worden sei. Michler bekennt: „Dass wir an diesem Tag Jom Kippur haben, ist mir erst am Tag des Einsatzes bewusst geworden.“