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Halle-Attentat Was wussten Stephan B.s Eltern?

Beim zehnten Prozesstag gegen den Attentäter von Halle sind weitere Zeugen aus der Synagoge vom Gericht vernommen worden.

Von Matthias Fricke 08.09.2020, 19:59

Magdeburg l Beim zehnten Prozesstag gegen den Attentäter von Halle sind Dienstag weitere Zeugen aus der Synagoge vom Gericht vernommen worden. Unter ihnen ist auch Max Privorozki. Der 57-Jährige ist seit 1999 Vorsteher und seit 2002 Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde.

Zur Sicherheit der Synagoge sagt er: „Es ist nicht so, dass die Polizei nichts gemacht hat.“ Es gab regelmäßig Überprüfungen und die Fahrzeuge der Polizei bestreiften unregelmäßig das Gebiet. Er hatte auch einen konkreten Ansprechpartner bei der Polizei in Halle. Das Sicherheitskonzept sei allerdings allein von der Polizei erstellt worden. „Wir wurden dann nur benachrichtigt“, meint er und erklärt, dass die Gemeinde ein eigenes Konzept entwickelt habe.

Privorozki: „Mit dem Anschlag konnte aber keiner rechnen.“ Was er meint, ist der Angriff auf die Synagoge mit 52 Gläubigen durch den Rechtsterroristen Stephan B. aus Benndorf am 9. Oktober 2019. Der Gemeinde-Chef: „Ich werde das Bild nie vergessen, als wir auf dem Monitor mit ansehen mussten, wie ein Mensch erschossen wird.“ Dass es die Passantin Jana L. war, erfuhr er erst viel später. Überhaupt war die Lage lange unklar. „Ich dachte, der mit der Uniform ist ein SEK-Beamter. Als der dann gegen die Tür schoss, ahnten wir, was los ist. Mir zitterten das erste Mal im Leben die Hände“, erinnert er sich. Das war so schlimm, dass er die Nummern auf der Handy-Tastatur nicht traf. Dann wählte er in Panik, wie er sagt, die 112. Es ist die Notrufnummer der Feuerwehrleitstelle und nicht die der Polizei.

„Es vergingen etwa zehn Minuten, als wir den ersten Polizeiwagen auf dem Monitor gesehen haben. Die Zeit kam mir wie eine Ewigkeit vor“, sagt er. Dann sollen sich die bereits von anderen Zeugen geschilderten Ereignisse überschlagen haben. Später habe er im Minutentakt Anfragen vom amerikanischen Konsulat, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, der israelischen Regierung, der Polizei und der Presse gehabt.

Abends sei noch Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gekommen. Es gab auch eine erste Solidaritätskundgebung. „Erst da habe ich langsam verstanden, was los ist“, sagt er. Es dauerte dennoch eine Weile den Schock zu verarbeiten. „Dass sich ein paar Tage später eine Menschenkette von der Synagoge zum Kiez-Döner mit rund 2000 Menschen bildete, zeigt mir, wie die Mehrheit denkt“, meint er. In Richtung des Angeklagten sagt Privorozki: „Das ist der Unterschied zwischen den Jahren 1938, als die Synagoge angegriffen wurde, und dem Angriff 2019.“

Der in Kiew geborene Gemeinde-Chef fordert das Gericht auf, die Rolle der Eltern des Angeklagten genauer zu untersuchen. Er könne sich nicht vorstellen, dass sie nie etwas von seinen Plänen mitbekommen hätten. Er sagt: „Sie wollten vielleicht nicht wissen, was er genau vorhatte.“ Die Aussage der Eltern erinnert ihn an Menschen, die früher wenige Kilometer von Konzentrationslagern gelebt und später gesagt hatten, sie hätten nichts gewusst. Drei weitere Zeugen schilderten dem Gericht ebenfalls ihre Erlebnisse.

Der Prozess wird Mittwoch mit ersten Zeugen aus dem Kiez-Döner fortgesetzt.

Live-Ticker: www.volksstimme.de/halle-attentäter