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Holzarbeit Kunst mit der Kettensäge

Thomas Koch aus Hakenstadt in der Börde bearbeitet Baumstümpfe mit Mannes- und Motorenkraft. So kreiert er lebensgroße Skulpturen.

Von Juliane Just 16.03.2018, 00:01

Hakenstedt l Ein röhrendes Geräusch durchbricht die Stille. Thomas Koch hockt inmitten von Spänen, hebt die ratternde Kettensäge an. Vor ihm steht ein Baumstumpf aus Walnuss. Er setzt die Säge an, das Geräusch wird höher und kratziger, die Späne fliegen. Seine Arme beben von der Kraft der Säge, die Stirn zieht sich in Falten. Trotz des ohrenbetäubenden Lärms umgibt den Künstler eine Atmosphäre der Stille, hier inmitten seiner offenen Werkstatt im Garten.

Wer sich nun einen Mann im kanadischen Holzfäller-Stil mit Haudrauf-Attitüde vorstellt, der irrt. Thomas Koch ist ein großer, drahtiger Typ mit schwerem Schritt. Die fast schon stahlblauen Augen stechen selbst unter der Arbeitsschutzbrille hervor. Kritisch beäugt er scheinbar selbst, wie aus dem Stumpf in vielen kleinen Schritten eine Skulptur wird.

Wie sich diese Arbeit eigentlich nennt, weiß keiner so genau. Holzgestalter, Bildhauer, Kettensägenkünstler – alles hat Thomas Koch schon gehört. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem. Im Jahr 2000 wurde er auf diese besondere Form der Kunst aufmerksam, und zwar dort, wo man es am wenigsten vermutet: Auf einem Konzert. Auf der Bühne sägte der Sänger als Teil des Auftritts eine betende Frau aus einem Baumstamm. „Ich dachte mir sofort: Das muss ich mal probieren“, sagt der heute 48-Jährige und schmunzelt.

Also probierte er es. Zuerst allein im heimischen Garten, irgendwann in Polen, Tschechien und Norwegen bei verschiedenen Mentoren. Wie elektrisiert war er von der Kunst. „Die Bewegung der Säge überträgt sich auf den Körper. Es ist wie ein Energieschub“, beschreibt er. Er fuhr nach Amerika, nahm an großen Kettensägenfestivals teil. Dort werden Kettensägenkünstler gefeiert, wie Popstars treten sie auf die Bühne. „Das ist eine einzige Freakshow. Bis zu 350 Menschen sägen martialisch am Holz herum“, erinnert er sich und schmunzelt.

In Pennsylvania (USA) verpasste man dem Deutschen bei einem Kettensägenfestvial den Spitznamen „Kettensägenpunk“ – wegen seiner Herangehensweise. „Viele Künstler haben eine bestimmte Technik, arbeiten mit Linien, Lichtpunkten, Stricken und anderen Hilfsmitteln. Ich lasse das Stück Holz wirken und säge das, was ich sehe“, erklärt er seinen ungewöhnlichen Beinamen. Seine Skulpturen, egal ob abstrakt oder konkret, wirken filigran, erhaben und organisch. Man sieht dem glatten Holz nicht an, welche Arbeit dahintersteckt.

Von der Idee zum fertigen Baumstamm dauert es manchmal Stunden, manchmal Tage. Zuerst geht Thomas Koch mit Muskelkraft an den Stamm: das sogenannte Schälen, also das Entfernen der Rinde, macht er eigenhändig mit der Axt. „Manchmal dauert allein das je nach Größe des Baumes einen Tag lang“, erklärt Thomas Koch. Ist der Baum geschält und die Idee im Kopf, warten bereits sechs aufgereihte Kettensägen unterschiedlicher Größe in der heimischen Werkstatt auf ihren Einsatz. Anschließend sägt Thomas Koch mit der Kettensäge die Formen aus dem Holz – Rundungen, Ecken, Tiefen.

Nach der groben Arbeit steht die feinere an: das Schleifen. Das Holz wird von seinen spitzen, abstehenden Fasern befreit und glattgeschliffen. Leinölfirnis, Bläueschutz und Grundierung komplettieren das Holzwerk – und machen es haltbar und resistent gegen Umwelteinflüsse.

Ob Spielplatz-Geräte, Werbemöglichkeiten aus Holz oder Grabsteine – mit der Kettensäge kreiert Thomas Koch nicht nur Kunst, sondern auch Bleibendes. Ein riesiges Drachenmädchen in Burg, eine 3D-Skulptur in Magdeburg oder ein Lutherbildnis in Rottmersleben - seine Werke sind weit verstreut. Auch in Amerika, Norwegen und Holland haben sie einen Platz gefunden.

Holzspäne in der Luft, das Zucken der Kettensäge, das Vibrieren im Körper – der Künstler weiß, dass sein Beruf nicht ungefährlich ist. „Man sollte es körperlich nicht übertreiben. Diese Arbeit geht sehr an die Substanz“, beschreibt der Holzgestalter. Konzentration ist unabdinglich, die Kettensäge bei einem Unfall erbarmungslos. Für Thomas Koch ist die Arbeit am Holz eine heilsame. „In dem Moment, in dem ich säge, bin ich ganz bei mir“, sagt er. An seinem Arbeitsplatz kann niemand hereinplatzen – und wenn, dann nur mit Sicherheitsabstand.

Die Leidenschaft zum Holz ist Teil von Kochs Leben, das bemerkt man in jedem Winkel seines Grundstückes. In seinem Wohnzimmer tummeln sich Holzwerke, kleine und große, Tische, Uhren, Figuren. Der Geruch nach Holz liegt in der Luft. In der nebenstehenden Galerie reihen sich Holzwerke aneinander – fingerbreit bis lebensgroß. Selbst der Hund, der einen springend begrüßt, ist holzfarben, mit braun gesprenkelten Augen.

Der Hund ist es auch, der dabei ist, wenn Thomas Koch in der eigenen Werkstatt sägt. Früher kreierte er mehrere Skulpturen an einem Tag, heute nimmt er einzelne Auftragsarbeiten im Jahr an. Aus aufregenden Showeinlagen wurden über die Jahre konzentrierte, einsame Arbeitsstunden. „Ich bin ruhiger geworden“, sagt der gebürtige Hakenstedter. Auftragsarbeiten sägt er immer noch – für öffentliche Einrichtungen, für Privatpersonen, für Firmen. Doch von der großen Show, vom Sägen auf Zeit ist er weggekommen – zu sehr ging die Arbeit an die Substanz.

Zurück also zu den Wurzeln, zur Natur. Schon als Kind wollte Thomas Koch Förster werden, war mit seinem Onkel, seinerseits Oberförster im Harz, stundenlang in der Natur unterwegs. Das macht er jetzt wieder – mit Jugendlichen. Im Jahr 2016 begann er eine Ausbildung in Natur- und Waldpädagogik. „Es stellte sich heraus, dass ich für die pädagogische Arbeit durch meine Kindheit schon viel innehabe“, sagt Thomas Koch.

Hochbeete bauen, Pilze suchen, Tierspuren lesen, Pflanzen bestimmen – mit den Kindern geht Thomas Koch in den Wald, hilft Wunden durch die Natur zu heilen. Das ist Teil des Konzeptes der Therapieschule in Schermcke (Oschersleben), bei der er seit seiner Ausbildung tätig ist. „Dort sind Kinder und Jugendliche, die überall durchs Raster gefallen sind. Mit der Natur erreicht man auch den Letzten“, erklärt Thomas Koch.

Außerdem öffnet er nachmittags die Tore zu einer Kreativwerkstatt, die Teil vom „Heimverbund Mittendrin“ ist. „Hier gebe ich den Kindern über das Malen, Schnitzen und Gestalten die Chance, ihre Gefühle auszudrücken und ihr Leben etwas bunter zu gestalten“, beschreibt Koch seine Arbeit, die ganz anders ist als die Kunst mit der Kettensäge.

Heute verbindet er beide Berufe. An einem Tag geht er mit den hilfesuchenden Jugendlichen in den Wald, lässt sie an seinen Erfahrungen teilhaben, lässt die Natur heilen. Am nächsten Tag steht er mit der Kettensäge im Garten in Hakenstedt und kreiert Skulpturen. „Es ist schön, etwas zu schaffen, das bleibt“, sagt Thomas Koch – und meint damit wahrscheinlich beides.