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Deutschlands bekannteste Plagiatsforscherin Debora Weber-Wulff kämpft seit Jahren gegen den Texte- und Ideenklau "Ich frage mich manchmal: Was denken die Leute sich dabei?"

Von Andreas Stein 07.07.2011, 06:33

Berlin/Magdeburg. Guttenberg war nur der Anfang – landauf, landab stolpern Politiker über den Vorwurf, Textstellen in ihren Doktorarbeiten ohne Kennzeichnung aus anderen Quellen übernommen zu haben. Jüngst als Plagiatoren enttarnt sind auch Niedersachsens Kultusminister Bernd Althusmann und der Landtagsabgeordnete Matthias Pröfrock aus Baden-Württemberg (beide CDU). Das ist auch das Verdienst von Debora Weber-Wulff. Die Wissenschaftlerin kämpft seit Jahren gegen den Texte- und Ideenklau.

Debora Weber-Wulffs Lieblingstier ist der Pfau. Gerne erzählt die Berliner Professorin die Äsop’sche Fabel vom Pfau und der hochmütigen Dohle, die sich mit Pfauenfedern schmückte, um sich von ihren Artgenossen abzuheben. Die Pfaue erkannten die Anmaßung der Dohle jedoch sogleich, rissen ihr die Federn aus und verjagten sie. Traurig kehrte die Dohle zu ihresgleichen zurück, doch auch dort war sie nicht mehr willkommen, weil sie etwas Besseres sein wollte.

Mit fremden Federn schmückte sich nicht nur die Dohle, auch viele Wissenschaftler geben die Erkenntnisse anderer als ihre eigenen aus – eine plagiierte Doktorarbeit brachte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zu Fall und die FDP-Europaabgeordneten Silvana Koch-Mehrin, Georgios Chatzimarkakis sowie die Stoiber-Tochter Veronika Saß in arge Bedrängnis.

Titel aus Eitelkeit?

"Das geht überhaupt nicht, dass Leute nur aus Eitelkeit mit Doktortiteln rumrennen", findet Debora Weber-Wulff. Unermüdlich engagiert sich die studierte Physikerin und Informatikerin deshalb gegen den Plagiarismus an Hochschulen, arbeitet bei den Enthüllungsseiten "Guttenplag" und "Vroniplag" mit und schrieb den Selbstlernkurs "Fremde Federn finden".

Auf Vorträgen und in Interviews klärt die gebürtige US-Amerikanerin darüber auf, was Plagiate sind und wie man sie erkennt. "Unter Plagiat wird die unbefugte Übernahme fremden Geistesguts, der Diebstahl geis-tigen Eigentums verstanden", zitiert sie den Wissenschaftler Gerhard Fröhlich. Abgeschrieben hätten vor 2000 Jahren schon die römischen Dichter von ihren griechischen Kollegen, doch das sei nur die simpelste aller möglichen Plagiatsformen. Debora Weber-Wulff hat viele weitere Arten ausgemacht (siehe Infokasten).

Am leichtesten zu entdecken sind noch Schüler und Studenten, die sich mit einer Komplettkopie bei Wikipedia oder hausarbeiten.de bedienen. Schwieriger wird es schon bei der Strukturübernahme (Plagiatsarten siehe Infokasten). "Ist das noch ein Plagiat? Darüber muss man diskutieren", sagt Debora Weber-Wulff. Keine Plagiate, aber zumindest moralisch verwerflich seien z.B. die Nutzung eines Ghostwriters, die Neuerfindung einer bereits bekannten Geschichte, rein erfundene Daten und Interviews oder die ungefragte Übernahme der Forschungen anderer Lehrstuhlkollegen oder Studenten.

"Ich frage mich manchmal: Was denken die Leute sich dabei?", sagt Weber-Wulff und liefert die Erklärung gleich mit: "Der Doktortitel ist der Adelstitel des Bürgertums" – und entsprechend erstrebenswert für die eigene Karriere. Promovenden bekommen oft höhere Gehälter, mindes-tens aber bringt das "Dr." Prestige und sieht an Klingelschildern und auf Visitenkarten gut aus. Mittlerweile sei eine regelrechte Plagiats-Industrie entstanden, und wer wolle, könne durchs Studium kommen, ohne sich groß mit lästiger Forschung aufzuhalten – ein gut gefülltes Portemonnaie vorausgesetzt. So koste eine fertige Bachelorarbeit 2500 Euro.

Auswüchse im Uni-Alltag

Im Land der Dichter und Denker wurden solche Auswüchse im Uni-Alltag lange totgeschwiegen und weggedrängt. Der Fall Guttenberg löst nun ein – spätes – Umdenken aus. Bereits 1998 legte eine Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der eigenen Zunft Hinweise zur Selbstkontrolle vor. Sie sind für Debora Weber-Wulff immer noch aktuell: Wer selbst wissenschaftlich arbeitet und Plagiate vermeiden will, sollte seine Resultate dokumentieren, sie konsequent anzweifeln und ohne "Kopieren und Einfügen" arbeiten. Wer andere des Plagiats verdächtigt, dem hilft das nichts vergessende Internet. "Einfach drei bis fünf komische Phrasen und Wörter aus dem Text googeln, das reicht meist", erklärt Debora Weber-Wulff. Gesunde Skepsis tue ihr Übriges.

Von spezieller Plagiats-Software hält sie wenig. "Eingeschränkt nützlich bis unbrauchbar", lautet nach mehreren Tests ihr Urteil. Ohnehin seien die Plagiatsprobleme im Wissenschaftsbetrieb hausgemacht. "Doktorväter sollten weniger Doktoranden betreuen", fordert sie. Dann hätten die Fachleute auch die Zeit, die Arbeiten auf Herz und Nieren zu prüfen. Das Renommee der Forscher sollte sich außerdem nicht nach der Zahl ihrer Veröffentlichungen richten, sondern nach deren Qualität. Längst fordert die DFG, dass Wissenschaftler nicht alle, sondern nur ihre besten fünf Publikationen angeben. "Jedes wissenschaftliche Fach muss die Diskussion führen, wie es mit Plagiaten umgeht", sagt Debora Weber-Wulff.

Sie will weiter unermüdlich Schummeleien aufdecken und an den Pranger stellen, auch wenn sie dafür regelmäßig am Telefon oder per Mail beschimpft wird. Ein Etappenziel habe sie bereits erreicht, denn selbst an Stammtischen wird mittlerweile über Plagiate diskutiert.

"In der Wissenschaft stehen wir auf den Schultern von Riesen, aber wir müssen diese Riesen benennen", sagt Debora Weber-Wulff. Guttenberg habe selbst ein Riese sein wollen – und ist gescheitert.