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  5. Jalloh-Prozess: Geldstrafe für den Revierleiter

Nach zwei Jahren ging am Magdeburger Landgericht der Prozess um den Tod des Afrikaners Oury Jalloh zu Ende. Von Oliver Schlicht Jalloh-Prozess: Geldstrafe für den Revierleiter

14.12.2012, 01:17

Im Prozess um den Tod des Afrikaners Oury Jalloh wurde der zuständige Revierleiter gestern wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen. Wirklich aufgeklärt wird der Fall vermutlich nie.

Magdeburg l Die Kammer unter Vorsitz der Richterin am Magdeburger Landgericht, Claudia Methling, verurteilte den damaligen diensthabenden Revierleiter des Dessauer Polizeireviers, Andreas Sch., zu einer Geldstrafe von insgesamt 10800 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe in Höhe von 6300 Euro gefordert.

"Der Angeklagte hätte Jalloh nicht ohne optische Überwachung in der Gewahrsamszelle lassen dürfen", sagte sie zur Begründung. Daran würde auch die Tatsache nichts ändern, dass am Vorfallstag zu wenig Personal für eine dauerhafte Bewachung des Afrikaners im Revier zur Verfügung stand. Methling: "In diesem Fall hätte er die Verantwortung an den Revierleiter abgeben müssen." Die Richterin argumentierte, dass dies im vorliegenden Fall vor allem deshalb gelte, weil sich drei Jahre vor dem Tod Jallohs 2005 bereits ein ähnlicher Fall im Polizeirevier Dessau ereignet hatte. Auch damals hatte Andreas Sch. Dienst. Ein alkoholisierter Mann kam in der gleichen Zelle durch eine Kopfverletzung ums Leben.

Nach dem Alarm an Feuerlöschern vorbeigegangen

Methling räumte ein, dass der Angeklagte den Afrikaner nicht hätten retten können. "Wir konnten uns vor Ort ein Bild von der komplizierten räumlichen Situation im Revier Dessau machen." Sie merkte allerdings an, dass er auf dem Weg in den Keller zu Jalloh nach dem Feueralarm mehrfach an Feuerlöschern vorbeigegangen sei, ohne einen mitzunehmen.

Aus Sicht der Kammer sei auszuschließen, dass der Brand in der Zelle durch einen technischen Defekt oder Dritte entstanden sein soll. Deshalb gehe man davon aus, dass Jalloh seine Matratze selbst entzündet hat. "Auch die Auffindsituation der Leiche spricht nicht gegen eine Selbstzündung", so die Richterin. Kein Sachverständiger habe Hinweise auf Brandbeschleuniger gefunden. Eine von Zeugen gesehene Pfütze auf dem Boden sei kein zwingender Hinweis auf Brandbeschleuniger.

Richterin Methling beklagte, dass es eine Reihe von Ermittlungsfehlern gegeben habe. Als Beispiele nannte sie die Vernichtung der Handfesseln und die unzureichenden Videoaufnahmen aus der Zelle. "Es gab jedoch keine Hinweise, dass Beamte gezielt Beweismaterial vernichtet hätten."

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung sieht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. Soweit ging die Kammer nicht. Der Angeklagte sei nicht vorbestraft und habe bereits acht Jahre unter Anklage mit dem dazugehörigen öffentlichen Druck leben müssen. Claudia Methling sagte abschließend: "Es gibt auch andere Berufsgruppen, die Menschen die Freiheit nehmen müssen. Auf diese Menschen dann gut aufzupassen, gehört in den besonderen Verantwortungsbereich dieser Tätigkeit."

Nachdem die Richterin die Verhandlung geschlossen hatte, protestierten Mitglieder einer Initiativgruppe zum Gedenken an Oury Jalloh lautstark im Gerichtssaal. Sprechchöre "Oury Jalloh - das war Mord!" wurden skandiert.

Der Verteidiger des Angeklagten, Attila Teuchtler, sprach ebenfalls von einem falschen Urteil. "Die Begründung ist nicht schlüssig. Das Verhalten von Herrn Sch. entsprach 2005 den damaligen Gepflogenheiten im Polizeidienst." Ob der Angeklagte Revision gegen das Urteil einlegen werde, konnte der Verteidiger gestern nicht sagen. "Ich weiß nicht, ob er dazu die Nerven hat."

Gabriele Heinecke, Anwältin der Nebenklage, die die Familie des Afrikaners vertritt, machte noch einmal auf die vielen ungelösten Fragen in dem Fall aufmerksam. Zum Urteilsspruch sagte sie: "Dieses Urteil hat nicht das Gericht geschrieben, sondern die Polizeibeamten der ersten Stunde, die die vielen Beweismittel beseitigt haben." Die Nebenklage hatte eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Freiheitsberaubung mit Todesfolge durch Unterlassen gefordert.

Unterbrechung der Beweisaufnahme beklagt

Die Nebenklage-Anwälte hatten in ihren Plädoyers in dieser Woche eine zu frühe Unterbrechung der Beweisaufnahme beklagt. So sei nicht versucht worden, DNA-Spuren am Feuerzeug zu ermitteln, welches im Brandschutt gefunden wurde. Auch sei der Brandschutt nicht rechtzeitig mit speziellen PID-Geräten auf Rückstände von Brandbeschleunigern untersucht worden. Viele Ungereimtheiten habe es bei der Beweissicherung gegeben. Das Fahrtenbuch ist verschwunden, was Auskunft über den Einsatz des Streifenwagens bei der Verhaftung von Oury Jalloh gegeben hätte. Auch die Handfesseln wurden vernichtet. Eine Videoaufzeichnung, die von Ermittlern nach dem Brand in der Zelle gemacht wurde, breche ab, als der Leichnam umgedreht werde. Sowohl im ersten Verfahren in Dessau als auch im zweiten Verfahren in Magdeburg stehen Polizisten im Verdacht, durch ihr Schweigen oder durch falsche Aussagen die Aufklärung des Falles behindert zu haben.

Dennoch hatte das Gericht die Beweisaufnahme geschlossen. Bereits zu Jahresbeginn 2012 hatten sich die drei Berufsrichter der Kammer von einer Mordthese verabschiedet. Sie hatten bereits damals erklärt, dass sie davon ausgehen, dass die Matratze in der Zelle nicht von Dritten angesteckt wurde. Demgegenüber hatte die Nebenklage versucht, mit immer neuen Forderungen nach Gutachten die Beweisaufnahme nicht abbrechen zu lassen. Ein neues Brandgutachten hatte das Gericht fast das ganze Jahr 2012 beschäftigt. Zuletzt hatte Heinecke ein weiteres Gutachten gefordert, bei dem das komplette Abbrennen einer Matratze mit einem aufliegenden toten Schwein nachgestellt werden sollte. Der Versuch sollte mit und ohne Brandbeschleuniger durchgeführt werden. Doch dazu kam es nicht mehr.

Den Prozessbeteiligten steht der Weg der Revision am Bundesgerichtshof offen. Eine Revision würde die Rechtmäßigkeit des Verfahrens überprüfen, aber keine neue Beweisaufnahme eröffnen. Seite 5