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Jungpolitiker Tapfer gegen den Trend

Jugendliche interessieren sich für Politik, aber nicht für Parteien. Wir haben junge Menschen getroffen, die sich dennoch dort einbringen.

Von Anne Toss 24.01.2017, 00:01

Magdeburg l Raspelkurze, grün gefärbte Haare, auf ihrem Sweatshirt prangt in großen Buchstaben der Satz „Kein Mensch ist illegal“ und während des Gesprächs steht das eingerahmte Wahlplakat mit dem Slogan „Grün gegen Nazis“ neben ihr auf dem Sofa – Klara Stock, 23-jährige Medizinstudentin aus Halle, nimmt das Motto der Grünen Jugend „jung, grün, stachlig“ wortwörtlich. Klare Botschaft, klares Feindbild – geschwankt hat sie bei der Wahl der Partei trotzdem. Es hätte auch Die Linke sein können, sagt Stock mit einem verschmitzten Grinsen. Aber „grün im Herzen“ sei sie eben schon immer gewesen.

2014 ist Klara Stock in den Jugendverband sowie in die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingetreten, seit November 2016 ist sie die gewählte Sprecherin des Landesvorstandes der Grünen Jugend. Einen konkreten Anlass für ihren Parteieintritt gab es nicht. „Die grünen Kernthemen sind mir wichtig, also Klimaschutz, Tierschutz aber auch queerfeministische Inhalte. Ich bin zwar auch Parteimitglied, aber vom Gefühl her zu 90 Prozent Grüne Jugend und zu 10 Prozent grüne Partei. Ich identifiziere mich hier einfach mehr mit den Themen und Einstellungen, als das bei der Mutterpartei der Fall ist.“

Aber warum gerade ein Engagement in einer Partei, sozusagen im Establishment? Die wohl klassischste Form des politischen Engagements verliert bereits seit Jahren an Attraktivität. Mitgliederzahlen der etablierten Parteien und auch vieler Nachwuchsverbände sinken beständig, laut der Shell-Jugendstudie 2015 ist das politische Interesse der Jugendlichen zwar gestiegen, deren Politikverdrossenheit und das unterdurchschnittliche Vertrauen, das Parteien entgegengebracht wird, hält aber weiterhin an. Stock sagt selbst, dass sie sich auch bei Greenpeace engagieren könne, aber dann stehe der Naturschutz im Mittelpunkt, andere Bereiche würden komplett rausfallen. Für das, was ihr wichtig ist, wolle sie aber eintreten und „in der Politik kann ich viel bewegen“.

Die 23-Jährige kommt ursprünglich aus Potsdam, wegen des Studiums hat es sie nach Sachsen-Anhalt verschlagen. „Halle habe ich bei meiner Favoritenliste für das Medizinstudium nur aufgeschrieben, weil meine Mutter meinte, dass es dort schön ist. Inzwischen stimme ich ihr definitiv zu und finde, dass es das Beste ist, was mir hat passieren können. Aber trotzdem möchte ich hier nicht für immer bleiben.“ Bei jungen Menschen in Sachsen-Anhalt, besonders auf dem Land, beobachtet Stock eine Perspektivlosigkeit, die bedenklich sei. „Wenn du jung bist und irgendetwas erreichen willst, dann gehst du weg.“

Es ist eines der Kernthemen, das die Nachwuchspolitiker beschäftigt, die Abwanderung junger, qualifizierter Menschen aus Sachsen-Anhalt. Auch Julia Scheffler, Vorsitzende der Jungen Union, kennt das Problem, von ihren eigenen Freunden sei fast keiner im Land geblieben. „Ich halte hier quasi die Stellung. Wenn Besuch kommt, zeige ich gerne Magdeburg, so dass man sieht, was sich hier getan hat. Wir müssen noch mehr mit Sachsen-Anhalt werben. Es ist ein tolles Land.“

Die 32-Jährige ist bereits mit 14 Jahren in die Junge Union eingetreten und steht seit 2014 an der Spitze des Landesverbands in Sachsen-Anhalt – sie ist bundesweit die einzige weibliche Landesvorsitzende. „1998 habe ich die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und die Bundestagswahlen aktiv miterlebt. Helmut Kohl wurde nach 16 Jahren von Schröder abgelöst. Meine Schwester ging nach zwölf Schuljahren ab, ich dank Rot-Rot erst nach 13. Diese gestohlene Lebenszeit wollte ich anderen ersparen. Deshalb begann ich, mich politisch zu engagieren.“ Ihr Elternhaus habe bei dem Schritt in die Politik keine Rolle gespielt. „Mein Vater ist Tierarzt, meine Mutter Diplom-Agraringenieur, mein Opa war Förster. Also nein, durch mein Elternhaus wurde ich nicht politisiert“, sagt Scheffler.

Die Junge Union ist ein Schwergewicht unter den Nachwuchsorganisationen im Land, seit der Gründung 1990 sind ihr 700 Mitglieder beigetreten. Zuletzt hat aber auch Scheffler eine gewisse Zurückhaltung und Reserviertheit gegenüber Parteieintritten beobachtet. „Wir haben streckenweisen auch ein Imageproblem. Wir kommen manchmal deutlich spießiger rüber, als wir sind.“ Ob das vielleicht mit Forderungen wie der Abschaffung des Doppelpasses zusammenhängt? Sogar von einem „Rechtsruck“ der CDU war danach die Rede – zum Unverständnis von Scheffler. „Die Position ist ja nicht neu, sondern wurde von uns lediglich wieder besetzt. 1999 sammelte die CDU bundesweit Unterschriften gegen die Pläne von SPD und Grünen, die doppelte Staatsbürgerschaft einzuführen. Übrigens mit Erfolg. An diesem Beispiel sieht man gut: Wir sind bei Innerer Sicherheit und Integration das Original, die AfD hingegen nur eine schlechte Kopie.“

Die AfD, die 2015 mit der Jungen Alternative ebenfalls eine Jugendorganisation in Sachsen-Anhalt gegründet hat, mischt nicht nur die etablierten Parteien, sondern auch die Jugendverbände gehörig auf. Wie mit dieser Partei umgehen, die 24,3 Prozent der Wählerstimmen bekommen hat. Wie mit der Jungen Alternative umgehen, die innerhalb eines Jahres 110 Mitglieder generiert hat und über soziale Medien wie Facebook mittlerweile 1800 Fans erreicht – mehr als jede andere Jugendorganisation im Land.

„Wir können die nicht wegignorieren“, stellt Scheffler klar, „im Gegenteil: Das muss uns alle beschäftigen. Wie können wir die Leute auf der Straße wieder besser erreichen? Die Landeszentrale für politische Bildung hat zwar ein tolles Programm, aber es ist doch auch klar: So erreichen wir bestimmte Leute nicht.“ Eine Lösung: Wieder auf die Straße gehen, weg von Podiumsdiskussionen hin zu anderen Formaten. „Vielleicht eine Art Speeddating an Schulen, um die Jugend da abzuholen, wo sie ist“, so Scheffler.

Tina Rosner, Vorsitzende der Jusos im Land, bereitet die Entwicklung Sorgen. „AfD und JA gehen in ihrer Art und den Inhalten gar nicht. Hetze, die die Menschenwürde in Frage stellt, respektiere ich nicht. Wenn man die Grundfeste der Demokratie in Frage stellt, ist Auseinandersetzung und Debatte natürlich schwerlich möglich.“ Pia Schillinger, Mitglied des Landessprecherrats der Linksjugend, sagt, sie habe sich nach der Wahl in einer „Schockstarre“ befunden. „Fast 25 Prozent AfD-Wähler, das ist erschreckend. Am Tag nach der Wahl saß ich in der Straßenbahn in Halle und habe durchgezählt. Jeder vierte hier drin hat AfD gewählt. Das war ein unglaublich krasses Erlebnis.“

Mittlerweile haben sich allerdings alle Jugendorganisationen für eine mehr oder weniger offene Auseinandersetzung mit der JA ausgesprochen. Abgrenzen, aber nicht ausgrenzen, so lässt sich die Herangehensweise wohl am treffendsten beschreiben. „Wenn wir zum Beispiel zu Podiumsdiskussionen nicht hingehen, können sie ihre populistischen Inhalte verbreiten, ohne dass Kontra gegeben wird. Und wenn wir sie boykottieren, dann werden sie sich nur noch mehr als Opfer darstellen“, ist sich Klara Stock sicher.

An der Spitze der Jungen Alternative steht Jan Wenzel Schmidt, Landtagsabgeordneter, selbstständiger Unternehmer und BWL-Student an einer Fernuni. „Ich schlafe nicht viel und gehe nicht in den Urlaub“, antwortet Schmidt, wenn er auf sein Zeitmanagement angesprochen wird. Bevor er Mitglied der AfD wurde, habe er die SPD gewählt. „Das ist für mich jetzt unvorstellbar“, sagt er.

Wendepunkte waren für ihn die Euro-Rettung und die Geburt seines Sohnes. „Die AfD ist mir durch ihre Eurokritik aufgefallen. Das Ansehen von Deutschland leidet unter dem Euro – das sieht man ja zum Beispiel an den Nazi-Vergleichen in Griechenland. Es wurden zu schnell zu viele Länder in den Währungsraum hineingenommen, die wirtschaftlich noch nicht bereit waren.“ Mitgestalten will er aber auch wegen seines Sohnes. Der solle nämlich das gleiche Deutschland wie er selbst vorfinden.

Die Junge Alternative Sachsen-Anhalt ist mit 110 Mitgliedern einer der größten Jugendverbände der AfD auf Bundesebene, laut Schmidt kommen andauernd neue Anträge rein. Der Grund dafür liegt für ihn auf der Hand: „Die Menschen haben Angst und suchen eine Partei, die Sicherheit bietet. Viele fürchten um ihre Identität, die eigene Kultur. Politiker reden über alles, aber wissen nicht, was auf den Straßen passiert. Die JA und die AfD verkörpern genau das, was viele bewegt.“

Obwohl Schmidt nun genau an dem Ort angekommen ist, wo er etwas bewirken könnte, will er nicht unbedingt bleiben. „Ich wollte ja nie Politiker werden, ich wollte mitgestalten. Das würde ich mir sonst nicht antuen. Es gibt schöne und nicht so schöne Seiten in der Politik, spätestens mit 35 Jahren werde ich mich wahrscheinlich fragen, ob es das Richtige ist.“ Wenn das nicht mehr der Fall ist, steige er aus. „Dadurch würden keine Nachteile entstehen.“

Berufsziel Politiker – das möchte von den sechsen keiner unterschreiben. Tina Rosner sieht ihr politisches Engagement als zeitaufwendiges Hobby, das zwar Spaß mache, aber nicht mit einem Karriereziel verbunden ist. „Ich streite für eine Sache, nicht für ein Mandat“, sagt die 25-Jährige. Daher sind die Pläne für die Zeit nach ihrem Masterabschluss in diesem Jahr auch nicht politischer Natur. „Der Plan ist, dass ich danach promoviere. In der Wissenschaft möchte ich gern bleiben. Das ist etwas, was mich so schnell wohl nicht langweilen würde. Selbstbestimmtes und freies Arbeiten liegt mir.“

Und auch Yana Mark von den Jungen Liberalen, die Parteimitglied wurde, als die FDP aus dem Bundestag flog, setzt auf ihr erstes Standbein: Jura. „Die Politik hat als Hobby angefangen. Ich schließe es zwar noch nicht aus, aber direkt nach der Uni in den Landtag einziehen – dafür würde ich mir selbst die Kompetenz absprechen.“

Im Moment würden die Jungen Liberalen vor allem darum kämpfen, Gehör zu finden. Die Mutterpartei ist weder im Landtag, noch im Bundestag vertreten – „da mögen die Inhalte noch so gut sein, leider nimmt sie niemand wahr“. Trotz all der Ernüchterung nach den verlorenen Wahlen setzt Mark weiterhin auf die liberalen Grundhaltungen, die die FDP ausmachen. „Die Grundideen der Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, also dass der Staat jedem das Handwerkszeug in die Hand gibt, zum Beispiel Bildung, und dann jeder seinen Weg frei gehen kann – das hat mich überzeugt.“

Liberalisierung – davon spricht auch Pia Schillinger, wenn sie über die Gründe für ihren Eintritt in die Linksjugend redet. Die Acta-Proteste in Berlin und Leipzig seien ihr in Erinnerung geblieben, damit einhergehend das Gefühl, „dass die Gesellschaft einer ständigen Liberalisierung unterworfen ist, dass es bergauf geht“. Der Grundgedanke, der sie antreibt, sei, „dass alles besser werden könnte“.

Ein Parteieintritt sei aber keine Sache, die man mal so schnell durchzieht: „In eine Partei einzutreten, ist wie heiraten. Das darf man nicht unterschätzen. Eine Partei ist eine Gemeinschaft, in der man Kompromisse eingehen muss. Und das, was die Mehrheit entscheidet, deckt sich nicht zwangsläufig mit der eigenen Meinung.“

Besonders kritisch sieht sie das Überalterungsproblem innerhalb der Politik. „Wir müssen junge Menschen in die Parlamente bekommen. Dort sitzen fast nur weiße, mittelalte Männer – und entsprechend wird dort auch Politik gemacht. Junge Erwachsene können sich mit niemandem identifizieren, weil es niemanden in ihrem Alter gibt, der aktiv politisch was reißt.“