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Kirche Wenige Taufen im Osten

Nur wenige Menschen in Ostdeutschland sind und werden getauft. Ein Zentrum in Luthers Geburtsort will Abhilfe schaffen.

Von Petra Buch 28.08.2017, 07:42

Eisleben (dpa) l Langsam schreitet die Mutter mit ihrem Baby in den etwa einen Meter tiefen Brunnen. Die Frau und das Kind sind bekleidet. In das runde Becken im steinernen Fußboden der Kirche steigt die Mutter in das fast 30 Grad warme Wasser bis zum Knie ein. Ihren zehn Monate alten Jungen hält sie fest in den Armen. Das Kind wird nach einer alten Zeremonie getauft. Für eine sogenannte Ganzkörpertaufe entscheiden sich Menschen heute ganz bewusst – in Ostdeutschland neben jungen Familien vor allem Jugendliche und Erwachsene, erzählt Pfarrerin Simone Carstens-Kant.

Sie leitet das Zentrum Taufe in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) in Eisleben im Südharz. Es ist in der St. Petri-Pauli-Kirche. Dort wurde der Reformator Martin Luther (1483-1546) einen Tag nach seiner Geburt getauft. Etwa zehn Menschen sind es heute, die in dem neu gestalteten Gotteshaus die besondere Zeremonie erfahren. In diesem Jahr waren es fünf, weitere sieben seien geplant.

"Das Interesse ist mehr geworden, die Zahl der Anmeldungen aber nicht", sagt die Pfarrerin. 2016 wurden in den Ländern, die die EKM in Ostdeutschland umfasst, 5230 Menschen getauft – nach 5540 im Vorjahr und 2014 mit noch 5652, erklärt EKM-Sprecher Friedemann Kahl. Bundesweit wurden innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) 2016 insgesamt 178 408 Taufen vollzogen. Die Taufe stehe für die Bindung an einen Glauben, für den Eintritt in die Kirche. Das Wasser als ein Ursprung des Lebens auf der Erde steht auch bei Taufen in Flüssen, wie in der Elbe bei Dessau, wie sie zum Beispiel die Evangelische Landeskirche Anhalts anbietet. Trotzdem: Vor allem in Ostdeutschland ist die Zugehörigkeit zu einer Konfession auch fast 30 Jahre nach dem Mauerfall gering.

Nach Angaben der EKD ist der Anteil der Konfessionslosen in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland gestiegen. Gleichwohl hätten sich im ganzen Land volkskirchliche Strukturen erhalten. Kinder christlicher Eltern wachsen laut EKD in der Regel durch die Taufe weiterhin in die Kirche hinein. Der Professor für evangelische Religionspädagogik Michael Domsgen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg sagt: "Es fällt auf, dass die Taufzahlen der Jugendlichen durchaus steigen. Aber das hängt davon ab, dass sich einerseits das Alter für die Taufe verschoben hat - und vor allem, wie sie im Elternhaus religiös sozialisiert worden sind". So nehme die überwiegende Mehrheit der Schüler allein in Sachsen-Anhalt nicht am Religionsunterricht teil.

Doch Jugendliche von heute seien eher bereit, sich gedanklich auf religiöse Themen einzulassen, auch wenn sie keiner Konfession angehörten. Und: Eltern seien generell zurückhaltender, was klare Vorgaben betreffe. "Die Eltern legen nicht fest, sie sagen, das soll das Kind selbst entscheiden, auch ob es getauft werden will oder nicht", sagt Domsgen. Daher gebe es einen "Taufaufschub" beim Alter.

Der Ort der Taufe spiele auch eine Rolle. So sei eine besonders "coole" Kirche vor allem für Jugendliche wichtig, wenn sie sich mit dem Gedanken tragen. Diese Altersgruppe komme vor allem im Rahmen von Schulprojekten nach Eisleben, Erwachsene, wenn sie nach ihren eigenen Wurzeln suchen, sagt Carstens-Kant. "Denn wir wollen auch keine Eventkultur am Brunnen", sagt die evangelische Pfarrerin. Es gehe vielmehr darum, dass sich Menschen – egal welcher und ob überhaupt einer Konfession zugehörig oder nicht – mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen. "Eine Taufe gibt es im Leben nur einmal. Taufe gilt für immer".

Das Wasser in dem Becken des Taufzentrums mit 2,20 Meter Durchmesser im Fußboden der Kirche ist immer in Bewegung. "Das ist auch das Besondere", erklärt Carstens-Kant. In Europa gebe es nur wenige derartiger Becken. In Pisa in Italien und in der Schweiz etwa seien die Taufbrunnen nicht immer mit Wasser gefüllt und es werde auch nicht – mittels Technik – das ganze Jahr über bewegt. In Eisleben symbolisiere dies das Leben, seine Höhen und Tiefen.

Rund 2,6 Millionen Euro wurden für die Umgestaltung des Gotteshauses investiert. Das Zentrum Taufe ist zudem Pilgerstätte für Menschen aus der ganzen Welt. "Sehr viele aus den USA und Südkorea", sagt sie. Nach Angaben der Tourismusgesellschaft der Lutherstadt kamen bis Ende Juli in diesem Jahr bereits rund 40.000 Besucher in die St. Petri-Pauli-Kirche, so viele wie im gesamten Vorjahr. Die Kirche liegt nur einen Steinwurf von Luthers Geburtshaus entfernt. Das Haus ist ein Museum und zählt wie alle Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt zum Unesco-Welterbe.