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Kochkunst In Gröbzig sind die Heuschrecken los

Landwirt Thorsten Breitschuh züchtet die Insekten. Bald will er die „Biblischen Plagegeister“ als Eiweiß-Bomben auf die Speisekarte setzen.

Von Bernd Kaufholz 27.06.2018, 01:01

Werdershausen l Man nehme: Eiweißpulver, Dörrobst, Honig – und zermahlene Heuschrecken. Mische alles gut durch und brate sie als tischtennisballgroße Klöschen in der Pfanne. Fertig ist ein leckerer Heuschrecken-Snack.

Cornelia Häfner, Marketing-Chefin der Lebensmittel-Innovation "Heuschrecken frisch auf den Tisch", reicht den Teller mit den braunen Insekten-Klopsen über den Tisch, an dem sie mit ihrem Geschäftspartner Thorsten Breitschuh sitzt. Der erste Biss - süß-nussig - und so gar nicht heuschrecklich.

Thorsten Breitschuh erzählt unter der Krone der riesigen Linde im ehemaligen Vierseitenhof, wie er auf die Idee gekommen ist, in Heuschrecken zu machen. "Die Diskussion über Massentierhaltung. Geführt von Menschen, die satt und dekadent sind, die billiges Fleisch kaufen wollen, aber gleichzeitig möchten, dass die Schweine in weißer Bettwäsche aufwachen, hat mich auf den Gedanken gebracht, mal etwas ganz Neues auszuprobieren", sagt der studierte Landwirt.

Da zu seinem fast 200 Jahre alten Hof eine Menge Grünland gehört, sollte es schon etwas mit Vierbeinern sein. Aber umweltverträglicher als herkömmliche Viehzucht. Dass die vier Beine Gliedmaßen einer Heuschrecke sein würden, daran dachte der Ortsbürgermeister von Werdershausen vorerst nicht. Erst nach und nach reifte der Gedanke in diese Richtung. Das lag auch am "EIP-Agri", einem EU-Projekt der Europäischen Innovationspartnerschaft, bei der es um landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit geht.

Kühe, Schweine und Schafe kann jeder Bauer - da ist es mit der Innovation nicht allzu weit her. Aber andere Mini-Grasfresser als alternative Ernährungsprodukte? Breitschuh erklärt: "Zuerst dachte ich an Mehlwürmer, die zu den Speiseinsekten gehören. Dann schaute ich mir die Schwarze Soldatenfliege näher an, die als Futtermittel in der Tierzucht verwendet werden und deren Larven schon als Speiseinsekt geprüft wurden, was aber bisher kaum über Vorversuche hinaus kam." Doch am besten hätten Heuschrecken zum Hof gepasst, sagt er. Und damit war das für Sachsen-Anhalt einmalige Aufzuchtprogramm im Herbst 2017 beschlossen.

Unter dem Dach des Seitenflügels stehen große durchsichtige Plastikkisten. Darin hüpft es über- und untereinander. Die gelbbraunen "Hüpf-Flieger" sind dem Zoohandlungsalter entwachsen. Die fünf Zentimeter großen Tiere, zwischen 1,5 und 2,5 Gramm schwer, kommen nach achtwöchiger Mast zwei Tage in den Kühlschrank. Dort verlieren sie ihren Darminhalt. Denn sie werden von Kopf bis Schwanz verarbeitet. Und wer will schon Fäkalien im Kraft-Riegel oder Heuschrecken-Burger haben. Flügel und die scharfen Hinterbeine, mit denen die Eiweiß-Bomben ihre typischen Zirp-Geräusche machen, kommen nicht in die Pfanne.

Schon heute essen mehr als zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten. Und glaubt man der Statistik, werden es immer mehr. Das proteinhaltige Fleisch mit wenig Fett sei gut für den Cholesterin-Spiegel und beuge Herzkrankheiten vor.

Erik Smykalla von der Fachhochschule Anhalt in Bernburg betreut das Projekt auf der wissenschaftlichen Seite. "Wir prüfen gerade im Labor, ob die Heuschrecken in Bezug auf Bakterien unbedenklich sind - eine wichtige Voraussetzung für die Zulassung", so der 27-Jährige. Er ist optimistisch: "Bisher wurden keine Bakterien festgestellt." Der nächste Schritt ist dann der Test auf Allergene - ähnlich wie bei den maritimen Schalentieren.

Unter dem Heuschreckenstall entsteht im Parterre gerade eine Küche. Dort soll gekocht und gebrutzelt werden - natürlich Heuschrecken-Gerichte. Cornelia Häfner, die viel in Asien unterwegs war und dort auch das eine oder andere Insekten-Menü kennen und schätzen gelernt hat, sammelt fleißig Rezepte. Geplant sind ein Hüpfer-Kochbuch und Kochkurse.

Zurzeit sei ein Heuschrecken-Burger jedoch noch zu teuer. Für ein Kilogramm Lebendmasse müsse man 100 Euro hinblättern. "Das Rindfleisch zwischen zwei halben Brötchen kostet heute um die neun Euro. Einer mit Heuschrecken-Fleisch mindestens das Doppelte."

Gegenwärtig werden die Exoten als mildsüßer Eiweiß-Riegel lediglich bei Testverkäufen auf Festen und Märkten angeboten. "Die Reaktionen der Menschen sind sehr unterschiedlich. Sie reichen vom Naserümpfen und Pfui-Teufel-Rufen bis hin zum interessierten Kosten", sagt Breitschuh, der 1996 aus Thüringen nach Anhalt kam. Es seien besonders die Männer, die mutig zum Ungewöhnlichen greifen. Da breche wohl die "angeborene Abenteuerlust" durch.

"Den Menschen hier die Thüringer Bratwurst schmackhaft zu machen, war allemal einfacher, als sie von Heuschrecken-Kost zu überzeugen", schmunzelt er. Aber steter Tropfen höhle ja bekanntlichden Stein.

Im nächsten Jahr wird der Landkreis erneut einen Stand auf der grünen Woche in Berlin haben und mit Angeboten aus der Region werben. "Wir haben uns schon abgesprochen, dass uns eine Ecke für die Heuschrecken-Snacks reserviert wird", erzählt der Landwirt.