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Baustelle Kosten ohne Ende beim Tunnel Magdeburg

60 - 90 - 139. Hinter jeder Ziffer stehen Millionen. Es sind die Kosten-Sprünge des Magdeburger Tunnels seit 2012. Wer hat daran schuld?

Von Jens Schmidt 22.11.2017, 00:01

Magdeburg l Die für Autos und Straßenbahnen gedachte Unterführung zwischen Bahnhof und City-Carré gehört zu den größten innerstädtischen Verkehrsbauten Sachsen-Anhalts und sprengt mittlerweile alle finanziellen Maße. Dabei galten die Landeshauptstadt Magdeburg und voran ihr Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) in Geldfragen bisher als Musterknaben unter den Städten. Ihr Ruf bröckelt. Wie so oft bei derart komplexen Bauwerken hat auch der Misserfolg viele Väter. Planer, Prüfstatiker, Stadtpolitiker. Eine Spurensuche.
Die Bauleute scheinen maximal genervt. Die Firma Porr, ein Bauriese mit Sitz in München und Wien (13.000 Konzern-Mitarbeiter), hat sich in einem Brief an die Stadt Luft gemacht. Das Schreiben wurde der Volksstimme jetzt zugespielt.
Porr wirft Magdeburg vor, mangelhafte oder unvollständige Pläne vorzulegen. Bei einigen Unterlagen beklagt das Unternehmen einen „zwei Jahre betragenden Planlieferverzug“. Die Firma selbst müsse mit hohem Personalaufwand die Fehler ausmerzen. Das kostet Zeit. Und Geld. Mehr als 650 Mehrkostenanzeigen und 200 Behinderungs-anzeigen hat Porr schon eingereicht. Geht es so weiter, ist der Tunnel Ende 2019 nie und nimmer fertig. „Die Gesamtfertigstellung liegt nach heutigem Kenntnisstand im Jahr 2021“, warnt Porr schriftlich.
Diese Zeit hat Magdeburg nicht. Schon jetzt ist der komplett gesperrte Damaschkeplatz am Bahnhof eine Zumutung für Händler und Pendler.
Also muss beschleunigt werden. Das kostet noch mehr Geld. Allein für die bisher angeordneten „Beschleunigungsmaßnahmen“ rechnet Porr mit 80 zusätzlichen Bauleuten. „Unsere Kostenschätzung geht derzeit von Mehrkosten in Höhe von rund einer Million Euro pro Monat aus.“
Viel geändert hat sich seit Mitte 2017 an der verzwickten Lage nicht. Das Magdeburger Stadtbaudezernat versucht, die Beschwerden des Unternehmens kleinzureden. Nach dem Motto: So schreiben halt Firmen. Stadtbau-Chef Dieter Scheidemann: „Wir schreiben auch solche Schreiben. Jeder gibt seine rechtliche Position wieder.“ Zuletzt stritten sich Stadt und Baufirma etwa darüber, wie man am besten das Grundwasser aus der künftigen Tunnelbaugrube bekommt – und man streitet sich immer noch, was das kostet. Auch Christian Fuß, der städtische Projektleiter an der Baustelle, lässt die Firmenkritik abperlen. Fehlende Pläne? Ach, was. Mal fehle vielleicht eine Angabe, eine Maßeinheit oder ein Strich. „Aber das heißt doch nicht, dass ein Plan nicht da ist.“
Dass es bei diesem Bauwerk in Magdeburg auf höchste Präzision ankommt und Fehler enorme Auswirkungen haben können, hat die Stadt selbst aufs heftigste gespürt. Zum Beispiel bei den Tunnelwänden. Die wurden offenbar zu dünn geplant. Die Folgen kosten Millionen.
Das Baudezernat plant nicht selber. Die Stadt als Bauherr beauftragt damit Ingenieurbüros. Von 2010 bis 2014 entsteht der Entwurf. Verfasst von der Planungsgemeinschaft „W-I-SL“. Dahinter stehen mehrere Firmen aus Berlin, Hannover und Weimar. Die Besetzung wechselte immer mal.
Ein heikler Punkt sind die Tunnelwände. Sie müssen den Großteil der Lasten tragen. Außerdem drückt von der Seite Grundwasser. Bei den Wänden handelt es sich um sogenannte Bohrpfahl-Wände. Vereinfacht gesagt: Das sind riesige Beton-Poller, wie man sie im Kleinformat vom Gartenbau auch kennt: Aneinandergereiht ergeben sie eine Wand. Sie muss stark genug sein, um die Kräfte zu verdauen, und soll nicht dicker als nötig sein, um die Kasse der Bauherren zu schonen.
Für den Tunnel Magdeburg sehen die Ingenieure vorrangig Pfahldurchmesser von 90 bis 75 Zentimetern vor. Ein von der Stadt beauftragter externer Prüfstatiker gibt grünes Licht.
Gesucht wird eine Baufirma. Gesucht werden muss auch ein neuer Planer. Da Fördergelder fließen, ist die Stadt dazu verpflichtet: Der Entwurfsplaner darf nicht automatisch weitermachen. Für die konkreten Unterlagen, die sogenannte Ausfertigungsplanung, bekommt eine neue Ingenieursgemeinschaft den Zuschlag.
Die Stadt übergibt den Neuen alle Unterlagen: Sie sollen Statik, Pläne und Leistungsverzeichnis nochmal prüfen. Anfang 2015 schlagen die Alarm. Die äußeren Wände sind zu dünn. Statt 90 Zentimetern müssen es 120 Zentimeter sein. Hauptgrund: Während des Baus liegt im Tunnel noch keine Fahrbahn. Die Pfahlwände stehen quasi nackt da, haben von innen noch keinerlei Stütze und müssen den gesamten Druck von außen abhalten. Sind sie zu schwach, können sich im Stahlbeton feinste Risse bilden, durch die dann später Grundwasser dringen kann.
Die Stadt fordert die ersten Planer zum Nachbessern auf. Nun überarbeiten die den Entwurf und sehen für einige Bereiche tatsächlich dickere Pfähle vor. Aber eben nur für einige Bereiche.
Was tun? Krisensitzungen. Die Stadt fragt ihren Prüftstatiker. Der schwenkt nun um und gibt den neuen Planern recht: Die dickeren Wände sind besser. Einige im Baudezernat fallen aus allen Wolken. Hatte derselbe Prüfer nicht erst grünes Licht für die 90er Wände gegeben? Egal. Das Risiko, dass sich während des Baus Risse bilden, ist zu groß. Der Bauherr Stadt legt die Hebel um: Alle Außenwände werden mit den dickeren Pfählen gebaut.
Umplanungen, Zeitverlust, Mehrkosten. Magdeburg will sich einen Teil von den ersten Planern holen. Die dafür verantwortliche Planungsgemeinschaft „W-I-SL“ kostete die Bauherren schließlich 2,9 Millionen Euro. Doch die lehnen eine Fehler-Zeche ab.
Um Munition für eine rechtliche Auseinandersetzung zu sammeln, beauftragt die Stadt daraufhin einen Gutachter. Er soll die Berechnungen der ersten Planer prüfen. Das Ingenieurbüro Curbach Bösche aus Dresden legt im November 2016 das Ergebnis vor. Fazit: Die Entwurfsplanung der ersten Planer ist mangelhaft. Die Wandstärken sind ungeeignet. Größtes Problem: Das Grundwasser. Das wird während der Bauzeit zwar abgesenkt. Doch die Planer hatten eine Absenkungsrate unterstellt, die die Gutachter als nicht machbar einstufen. Auch bei den nachgebesserten Daten von „W-I-SL“ werden unvollständige Berechnungen und zum Teil grenzwertige bis mangelhafte Pläne gerügt.
In der ersten Planungsgruppe beschäftigt sich vor allem die IGS Ingenieure mit Sitz in Weimar (vormals Setzpfand und Lindschulte) mit Statik und Bauwerksplanung. Die Volksstimme bat um eine Stellungnahme. Bekam aber keine.
Die Planer gelten eigentlich als erfahren, die Bahn hat schon viele Projekte mit ihnen umgesetzt. Die Volksstimme fragte auch langjährige Ingenieure der Verkehrsbranche: Doch so einen Fall hatten auch sie noch nicht erlebt.
Vielleicht trägt die Versicherung einen Teil des Schadens. Vielleicht. Die Versicherung lässt nun selbst ein Gutachten erstellen. Das liegt aber noch nicht vor. Wenn die zum Schluss kommen, dass die dünneren Wände doch machbar gewesen wären – dann bleibt die Stadt wohl auf den Mehrkosten hocken. Es bliebe zwar noch der Gerichtsweg. Aber Rechnungsprüfer sagen uns: Die Verträge seien meist nicht hart genug, um vor Gericht zu bestehen.
Wie bei jedem größeren Bauwerk werden die Angaben der Planer von einem öffentlich bestellten Prüfstatiker durchleuchtet. So war es auch hier. Die Stadt beauftragte Professor Michael Müller. Da das Bauwerk sehr komplex ist, wird der Experte nicht erst am Schluss der Planungen, sondern schon ab 2011 beteiligt. Die Stadt zahlt dafür knapp 160.000 Euro. Die Bauverwaltung geht davon aus, dass er die statische Berechnung nicht nur mathematisch prüft, sondern auch abklopft, ob die Annahmen der Planer – etwa zum Grundwasser –plausibel sind. Dass hier hohe Wasserdrücke herrschen, ist bekannt. Seit Jahren säuft die Kreuzung nach Starkregen ab.
Doch die Geschichte verläuft bekanntlich anders als gedacht: Der Prüfstatiker bestätigt erst die 90-Zentimeter- Pfahlwände der ersten Planer. Und dann die 120-Zentimeter-Pfähle der neuen Planer. Professor Müller wollte auf Anfrage der Volksstimme den Vorgang nicht kommentieren.
Bereits 2012 attestiert der Landesrechnungshof den Stadtpolitikern schriftlich, dass sie zu blauäugig in das Projekt gehen. Damals bezifferte die Stadt die Kosten mit 58,3 Millionen Euro. Im Wesentlichen fußten diese aber auf Berechnungen von 2009. Und: Ausschreibung und Baustart waren selbst 2012 noch nicht in Sicht, da eine Klage lief. Die Prüfer sehen daher erhebliche finanziellen Risiken: „Insbesondere den langen Zeitraum zwischen der Erstellung der Kostenberechnung und der Ausschreibung der Bauleistungen.“ Auch das Land bekommt kalte Füße und lehnt nun eine prozentuale Beteiligung ab.
Zwei Jahre später wird die Warnung Wirklichkeit. 2014 schreibt die Stadt den Bau aus, doch niemand will den Tunnel für das angesetzte Geld bauen. Der „Günstigste“ bekommt den Zuschlag, und die Gesatmkosten rasen auf 90 Millionen Euro. Oberbürgermeister Lutz Trümper erklärt es mit der Konjunktur: „Diese Dimension war neu für mich. Aber der Markt ist, wie er ist.“
Im Bauboom wachsen die Preise. Aber: Um 50 Prozent in zwei Jahren? Laut Index sind die Tiefbaupreise von 2012 zu 2014 um etwa 4 Prozent gestiegen.
Mit der Umstellung auf die dickeren Wände ändert sich vieles. Das ursprüngliche Leistungsverzeichnis – also der 2014 ausgeschriebene Auftrag an die Baufirma – ist wie ausgehöhlt.
Da die Fahrbahnen nicht schmaler werden dürfen, müssen die dickeren Wände nun quasi nach außen wachsen und kommen näher an die umliegenden Gebäude und deren Fundamente. Die müssen nun zusätzlich stabilisiert werden. Denn bevor die Pfähle gegossen werden, fressen sich Bohrer tief in die Erde – das verursacht Erschütterungen. Beim City-Carré müssen die Firmen zudem alte Spundwände aus der Erde ziehen, weil man denen zu nahe kommt. Auch die Geometrie der Tunneldecke ändert sich.
Es gibt Kosten, die bei korrekter Planung ohnehin angefallen wären – es gibt aber auch Mehrkosten. Allein Porr will 25 Millionen Euro mehr. Hinzu kommen weitere Aufträge wie die Sicherung der Gebäude (1,2 Millionen), mehr Geld für die Planer (1,5 Millionen), für Gutachter und Anwälte (1,8 Millionen). Auch abseits des Planfehlers klettern die Kosten. Die Widerlager der Brücke sind nicht so fest wie gedacht: Also muss für 700.000 Euro zusätzlich Beton eingespritzt werden. Und selbst bei Beleuchtung, Pflaster und Umfeld steht ein Plus von drei Millionen Euro.
Die Kosten klettern und klettern. „Das ist Mist“, sagt Stadtbauchef Scheidemann. „Oft grüble ich: Was hätten wir anders machen können? Dabei hatten wir uns doch so gut abgesichert.“
Derzeit verhandelt die Stadt mit Porr, um doch noch 2019 fertig zu werden. Die Stadt steht unter Druck, die Baufirma sitzt am langen Hebel. Es wird noch mehr Geld kosten. Scheidemann zerknirscht: „Eine Endsumme können wir heute noch nicht nennen.“