Impfungen AB 12 Jahren Corona-Impfungen für Schüler: „Wissenschaftlich nicht verantwortbar“, sagt ein Magdeburger Kinderarzt
Der Magdeburger Kinderarzt Gunther Gosch warnt vor generellen Corona-Impfangeboten für Schüler ab 12 Jahren. Zu wenig sei über Risiken bekannt, sagt er im Volksstimme-Interview.

Magdeburg - Zum Thema Corona-Impfungen für Kinder über 12 Jahren sprach Volksstimme-Reporter Alexander Walter mit Kinderarzt Gunther Gosch aus Magdeburg.
Interview
Volksstimme: Herr Dr. Gosch, die EU-Kommission hat gestern den Impfstoff von Biontech/Pfizer auch für über 12-Jährige zugelassen. Würden Sie die Altersgruppe guten Gewissens impfen?
Gunther Gosch: Ich würde nur ernsthaft vorerkrankte Kinder impfen. Eltern gesunder Kinder würde ich das ausdrücklich nicht empfehlen.
Warum nicht?
Prinzipiell ist es gut, dass es die Impfmöglichkeit gibt. Kindern mit ernsten Vorerkrankungen, wie Mukoviszidose oder schweren Herzerkrankungen dürfte das helfen. Für eine allgemeine Impfempfehlung ist die Studienlage aber völlig unzureichend. Sie ist so dünn, dass ein allgemeines Angebot wissenschaftlich begründet nicht verantwortbar ist.
Was genau heißt „zu dünn“?
Alle Erkenntnisse stützen sich auf eine einzige Studie in den USA. Dabei wurde in einer Gruppe von 2260 Kindern die Hälfte mit Comirnaty von Biontech geimpft und drei Monate beobachtet. Auch dieser Zeitraum ist für Aussagen über mögliche Komplikationen übrigens viel zu kurz.
Warum sind 2260 Studienteilnehmer zu wenig?
Von Vektorimpfstoffen wie Vaxzevria von Astrazeneca wissen wir, dass es in rund einem von 100.000 Fällen zu gefährlichen Hirnvenenthrombosen kommt. Solche Komplikationen sind auch bei mRNA-Impfstoffen wie Biontech beschrieben worden, wenn auch seltener. Niemand weiß, ob sie auch bei jüngeren Kindern auftreten können. An den Zahlen sieht man: Um Folgerisiken abschätzen zu können, ist eine Teilnehmergruppe von 1100 Geimpften viel zu klein. Hinzu kommt: Kinder besitzen noch heranwachsende Organsysteme, das Immunsystem ist in der Lernphase.
Die EU-Behörde Ema hat den Impfstoff empfohlen. Kennen die Ihre Argumente nicht?
Das müssen Sie die Ema fragen. Entscheidend für mich sind die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission als unabhängigem Gremium für Deutschland. Ich gehe davon aus, dass die Stiko keine Empfehlung für ein allgemeines Impfangebot schon ab 12 Jahren aussprechen wird.
Laut RKI war die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen zuletzt häufig mit Corona infiziert. Wäre das nicht Grund genug zu impfen?
Ja, auch Kinder können Träger des Virus sein. Aber 94 Prozent entwickeln gar keine oder nur milde Symptome. Das belegen Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Zwischen März 2020 und April 2021 wurden ihnen zufolge bundesweit 1259 Kinder wegen Corona in Kliniken behandelt, 62 auf einer Intensivstation. Bei nur vier Kindern wurde Covid-19 als Todesursache festgestellt. Bei 14 Millionen Kindern bundesweit ist das eine sehr geringe Zahl. An Grippe verstarben 2018/19 übrigens neun in Kliniken behandelte Kinder.
Was sagen Sie Lehrern oder Eltern, die befürchten, dass Kinder das Virus etwa über die Schule in Familien tragen?
Dass es vor allem jene zu impfen gilt, die ein höheres Risiko für schwere Verläufe haben. Also: Lehrer, Großeltern, Eltern. Aus Studien in Israel und Deutschland wissen wir zudem, dass Schulen nicht die großen Infektionstreiber sind.
Der Virologe Christian Drosten meint, Kinder seien ähnlich infektiös wie Erwachsene. Hat er unrecht?
Herr Drosten sagt, Kinder hätten eine ähnlich hohe Viruslast. Daraus kann man aber nicht schließen, dass Kinder das Virus auch in ähnlicher Weise weitergeben. Beim Sprechen setzen sie viel weniger Aerosole frei.
Sie plädieren für offene Schulen auch bei erhöhter Inzidenz?
Unbedingt. Unsere Fachgesellschaften fordern das schon lange. Zahlen des Bundeskriminalamts belegen eine deutliche Zunahme von familiärer Gewalt gegen Kinder während der Pandemie. Studien legen zudem negative Folgen für die körperliche und psychische Gesundheit von Kindern durch die Isolation nahe.
Ab welchem Alter halten Sie Impfangebote für sinnvoll?
Ich denke, dass Jugendliche ab 16 in der Lage sind, selbst und reflektiert zu entscheiden. Ab diesem Alter wäre ein allgemeines Angebot verantwortbar.