1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Landespolitik
  6. >
  7. Das Tier als Forschungsobjekt

Sachsen-Anhalt Das Tier als Forschungsobjekt

Zehntausende Tiere werden jedes Jahr in Sachsen-Anhalt für Forschungszwecke bei Tierversuchen eingesetzt oder getötet. Experten halten Versuche für unverzichtbar.

Von Alexander Walter 15.05.2021, 05:00
Rhesusaffe in einer Forschungseinrichtung: Rechtfertigt der medizinische  Erkenntnisgewinn den Einsatz von Tieren zu Versuchszwecken?
Rhesusaffe in einer Forschungseinrichtung: Rechtfertigt der medizinische Erkenntnisgewinn den Einsatz von Tieren zu Versuchszwecken? Foto: dpa

Magdeburg - Wie beginnt man einen Beitrag zu einem Thema, bei dem das moralische Urteil naheliegend scheint, bei dem man sich zugleich aber leicht dem Vorwurf aussetzt, Stimmungen zu bedienen?

Am besten wohl mit Fakten: Auch 2019 (aktuellste Daten) wurden in Sachsen-Anhalt 45138 Tiere bei Tierversuchen eingesetzt – 15925 von ihnen wurden von vornherein getötet, um für Forschungszwecke Organe oder Gewebe zu entnehmen. Das sind deutlich weniger als noch 2014. Damals waren es mehr als 60 000 Tiere. 2018 war die Zahl allerdings auch schon deutlich niedriger (gut 40 000 Tiere) – Anlass genug, um kurz nach dem Internationalen Tag des Versuchstiers hinter die Zahlen zu blicken.

Landesweit führen aktuell 27 Einrichtungen Tierversuche durch, unter ihnen nach Angaben des Landesverwaltungsamts die Universitäten Magdeburg und Halle, das Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg, aber auch Stiftungen oder Unternehmen. Mit Abstand am häufigsten werden bei Tierversuchen im Land, wie bundesweit, Mäuse eingesetzt.

Versuche an wenigen Affen und Hunden

Nach Angaben von „Tierversuche verstehen“ – einer Initiative der deutschen Forschung – waren es 2019 landesweit knapp 35 800 Tiere (79 Prozent). Es folgten Ratten (3485; 7,7 Prozent) und Vögel (2588; 5,7 Prozent). Aber auch an sieben Hunden und sechs Primaten wurden Tests durchgeführt.

Rechtsgrundlage für die Experimente sind unter anderem das deutsche Tierschutzgesetz und die „Tierschutz-Versuchstierverordnung“. In Ersterem heißt es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen.“

Was aber ist ein vernünftiger Grund? Sind der Erhalt der menschlichen Gesundheit und die Freiheit der Wissenschaft ausreichende Motive?

In der Praxis ist ein Abwägungsprozess das Ergebnis. Tierversuche müssen bundesweit, beantragt und genehmigt werden – in Sachsen-Anhalt vom Landesverwaltungsamt. Dabei unterliegen sie strengen Kriterien. „Sie sind die Ultima Ratio – also der letzte mögliche Schritt“, sagt Dr. Katja Woidacki, Tierschutzbeauftragte an der Medizinischen Fakultät der Uni Magdeburg. Neben dem Landesverwaltungsamt prüft eine unabhängige Ethikkommission jeden Antrag. Im Fall der Uni Magdeburg wurden zuletzt etwa 90 bis 95 Prozent aller Anträge genehmigt.

Den Versuchen voraus gehen dabei oft mehrjährige Forschungen an Zellkulturen oder in Computer-Simulationen, sagt Woidacki. Dabei tasten sich die Forscher so dicht wie möglich – ohne Tiere – an die Abläufe im Körper heran. Ziel sei es, die Stellschrauben für ein notwendiges Tierexperiment so präzise wie möglich festlegen zu können – um Tiere zu schonen. Das Leibniz-Institut für Neurobiologie verweist auf ein entsprechendes Vorgehen.

Dahinter steht das schon 1959 entwickelte Prinzip der „3R“, das inzwischen Eingang in die Gesetze gefunden hat. Ihm zufolge müssen Tierversuche soweit möglich durch andere Methoden ersetzt werden (engl.: replace), die Zahl der Tiere ist auf ein notwendiges Minimum zu senken (reduce) und: Das Leid der Tiere ist auf ein „unerlässliches“ Maß zu beschränken (refine) – etwa durch Schmerzmittel.

Wie Viren oder Medikamente wirken

Was aber kann ein Tierversuch, was ein Experiment in Zellkulturen nicht schafft? Professor Volkmar Leßmann, Chef des Institutes für Physiologie der Uni Magdeburg, sagt: „In Zellkulturen kann man feststellen, wie Viren oder Medikamente auf Zellen wirken. Wir können aber nicht die Komplexität eines Organismus nachstellen, die etwa hinter Symptomen, wie Herzrhythmusstörungen, bei Long-Covid-Patienten steht.“ Auch die Erkenntnis, dass nach einer Corona-Erstimpfung mit Astrazeneca die Zweitimpfung auch mit Biontech funktioniert, gebe es nur dank Tierversuchen, so Leßmann.

Der „Kompass Tierversuche“ von „Tierversuche verstehen“ verweist beim Thema auch auf bundesweite Vergleichszahlen: So seien 2018 zwar 2,8 Millionen Tiere für die Forschung eingesetzt worden – im selben Jahr aber allein 620 Millionen Hühner und 57 Millionen Schweine geschlachtet worden.

Ist Tierschutz eine Frage der Relationen? Tatsache ist: Labortiere werden nach den Versuchen in aller Regel „schmerzfrei eingeschläfert“, wie etwa Sophie Ehrenberg vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) sagt. Tötungen erfolgten dabei auch, um Gewebeproben zu entnehmen und so Erkenntnisse zu sichern, so Ehrenberg.

Kein Handlungsbedarf also? Offenbar doch. Schon 2010 bekannten sich die EU-Staaten erstmals zu dem Ziel, Tierversuche vollständig zu ersetzen. Nur die Niederlande haben im Jahr 2016 aber auch einen Plan zum Abbau solcher Experimente präsentiert.

Ziel ist es, „Giftigkeitsversuche“, die etwa die Toxizität von Lebensmittelzusätzen untersuchen, bis 2025 zu verbieten. Ähnlich ambitionierte Ziele fehlen in Deutschland.