1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Landespolitik
  6. >
  7. Abfallverbrennung und Fernwärme: Hat Magdeburgs größter Müllofen eine Zukunft?

EIL

Abfallverbrennung und Fernwärme Hat Magdeburgs größter Müllofen eine Zukunft?

Die EU setzt auf Recycling und Müllvermeidung. Außerdem muss der Kohlendioxid-Ausstoß rapide sinken. Über die Zukunft des Müllverbrenners und Fernwärmelieferanten MHKW Magdeburg sprachen wir mit Geschäftsführer Rolf Oesterhoff.

Von Jens Schmidt 10.07.2023, 18:00
Derzeit wird in Magdeburg-Rothensee ein weiterer, dritter Block sowie eine Klärschlamm-Verbrennungslage neu gebaut. Geplante Fertigstellung: 2024. Die Gesamtkapazität klettert von 650.000 auf 975.000 Tonnen pro Jahr. Das MHKW Magdeburg ist dann das größte in Deutschland.
Derzeit wird in Magdeburg-Rothensee ein weiterer, dritter Block sowie eine Klärschlamm-Verbrennungslage neu gebaut. Geplante Fertigstellung: 2024. Die Gesamtkapazität klettert von 650.000 auf 975.000 Tonnen pro Jahr. Das MHKW Magdeburg ist dann das größte in Deutschland. MHKW

Magdeburg - Volksstimme: Herr Oesterhoff, die EU will, dass bis 2030 alle Verpackungen recycelt werden und der Abfallberg deutlich schrumpft. Ihr Unternehmen jedoch erweitert gerade das Müllheizkraftwerk – droht eine Fehlinvestition?

Rolf Oesterhoff: Ganz im Gegenteil. Beim Recyceln bleiben immer auch Reste übrig, und genau diese kommen zu uns. Denn ab einem bestimmten Punkt ist das Potenzial des Recyclings ausgeschöpft. Papierfasern zum Beispiel können bis zu sieben Mal für Recyclingpapier verwendet werden, bevor die Faser für eine erneute Kreislaufführung zu kurz ist. Man kann daher sagen: Je mehr Abfälle recycelt werden – von Autos bis hin zu Kühlschränken – umso mehr fällt für die thermische Abfallverwertung an. Unsere Kunden – also die Verwerter – suchen europaweit händeringend nach Behandlungskapazitäten. Darauf reagieren wir und deswegen bauen wir eine neue Anlage.

Hinzu kommt ein weiteres Feld: die Klärschlammverbrennung. Im Schlamm aus Klärwerken ist alles drin, was wir weder im Grundwasser noch auf den Äckern haben wollen: Hormone, Mikroplastik, Schwermetalle, Medikamentenrückstände. Wir verbrennen den Schlamm, zerstören die darin enthaltenen Schadstoffe und recyceln die Asche zu einem Dünger. Der Gesetzgeber hat festgelegt, dass Klärschlämme getrennt von anderen Abfällen verbrannt werden müssen. Auch dafür bauen wir eine eigene Anlage.

Und nicht zuletzt werden wir die Energieerzeugung steigern. Wir sind ein zuverlässiger Lieferant zu langfristig vereinbarten Preisen – seit der Energiekrise schaut man darauf mit anderen Augen.

Kunststoffe erhöhen den Heizwert des Mülls. Hat das MHKW daher nicht eher ein Interesse daran, dass möglichst wenig recycelt wird?

Oesterhoff: Ganz und gar nicht. Ein zu hoher Heizwert würde die Anlagen überlasten. Wir stellen fest, dass der Kunststoffanteil im angelieferten Abfall steigt. Daher müssen wir diesen aufwendig mit anderen weniger energiereichen Fraktionen mischen, um den maximalen Heizwert einzuhalten. Daher beschäftigen wir uns derzeit mit einer Vorsortiertechnik. Kunststoffe vor der energetischen Verwertung auszusortieren würde helfen, fossile CO2-Emissionen zu vermeiden und Abfälle für ein Recycling zu erschließen. So könnten wir aussortierte Kunststoffe an die chemische Industrie verkaufen – sie wäre sicherlich ein dankbarer Abnehmer.

Kommt auch mühsam getrennter Müll aus der Gelben Tonne wieder im Müllofen an?

Oesterhoff: Ja – das ist aber ganz normal. Stark verschmutzte Abfälle oder Fehlwürfe können nicht recycelt werden. Im Frankfurt/Main hat man mal 70 Prozent Fehlwürfe gezählt – also Restmüll, der aber in der Gelben Tonne gelandet war.

Die EU setzt auch immer stärker auf Abfallvermeidung. Wie lange wird es noch Müllheizkraftwerke geben?

Oesterhoff: Ich denke, noch sehr lange. Klar, Vermeidung ist ein großes Thema. Aber weltweit – übrigens auch in Südeuropa - gelangt immer noch viel Müll unbehandelt auf Deponien. Dabei entweicht Methan – ein Treibhausgas, das 25mal stärker wirkt als Kohlendioxid. Deutschland entschied sich 2005 daher für die Behandlung des Restmülls, die thermische hat sich durchgesetzt.

Das MHKW liefert Strom und heißes Wasser: Kann Magdeburg mit der neuen Anlage die Fernwärmekapazitäten erweitern?

Oesterhoff: Ja, allerdings liegt bei der neuen Anlage der Schwerpunkt auf Prozessdampf für die Industrie. Dies ist für das MHKW in Magdeburg ein neues Produkt. Mit Prozessdampf lösen Unternehmen Erdgas, Erdöl oder Braunkohlestaub ab. Dies senkt den CO2-Ausstoß.

MHKW-Chef Rolf Oesterhoff: „Verwerter suchen europaweit händeringend nach Kapazitäten.“
MHKW-Chef Rolf Oesterhoff: „Verwerter suchen europaweit händeringend nach Kapazitäten.“
Uli Lücke

Eine Tonne Müllverbrennung erzeugt eine Tonne CO2. Sie planen im Endausbau mit etwa 970000 Tonnen Müll im Jahr – das ist eine Menge Treibhausgas.

Oesterhoff: Das stimmt. Allerdings muss man beachten: Etwa die Hälfte davon ist biogenes CO2 – das entsteht, wenn nachwachsende Rohstoffe wie Holz oder Baumwolle verbrannt werden. Aber uns ist klar, dass auch wir den Ausstoß senken müssen. Bis 2030 wollen wir CO2-neutral arbeiten.

Wie soll das gehen?

Oesterhoff: Wir werden Kohlendioxid aus dem Abgas abscheiden.

Planen Sie, das CO2 einlagern zu lassen oder wollen Sie es als Rohstoff an die chemische Industrie verkaufen?

Oesterhoff: Wir setzen auf die Nutzung von CO2. Die chemische Industrie ist ein starker Nachfrager. An unserem niederländischen Standort sind wir gerade in einem Genehmigungsverfahren für eine CO2-Abscheideanlage und in Hannover wollen wir noch in diesem Sommer im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens CO2 aus den Rauchgasen abscheiden.

Das Max-Planck-Institut Magdeburg hat jetzt errechnet, dass bei der CO2-Abscheidung sehr viel Energie benötigt wird. Wieviel Strom und Wärme können Sie dann überhaupt noch liefern?

Oesterhoff: Tatsächlich würden wir – Stand heute – sehr viel elektrische Energie dafür benötigen. Heißwasser und Prozessdampf blieben davon unberührt.

Haushalte zahlen für den Restmüll und Kunden zahlen für Fernwärme: ein doppeltes Geschäft. Wie kalkulieren Sie die Kosten?

Oesterhoff: Das ist eine Mischkalkulation. Ohne die Energielieferungen wären die Müllkosten auf alle Fälle deutlich teurer. Es wäre ja ein Anachronismus, wenn wir die beim Verbrennen anfallende Energie nicht nutzen und einfach in die Luft pusten würden. Zudem investieren wir allein in die neue Anlage 220 Millionen Euro – und künftig in Prozesse wie Kunststoff-Ausschleusung und CO2-Abscheidung.

Nach der Verbrennung bleiben giftige Filterstäube zurück. Diese werden in Salzstollen gelagert. In Umweltverbänden sehen das manche sehr kritisch, da schon Wasser in Stollen eindrang. Wie bewerten Sie das?

Oesterhoff: Dieser Einlagerung geht eine sehr strenge bergrechtliche Prüfung und Genehmigung voraus. Darüber hinaus wird die Entsorgung vom Landesverwaltungsamt ständig streng kontrolliert. Aus dem Umstand, dass es früher mal in alten Stollen zu Wassereinbrüchen kam, darf man nicht schließen, dass moderne Salzbergwerke generell unsicher sind. Bergbauunternehmen selbst achten mit hohem Einsatz darauf, dass die Stollen sicher und trocken sind, andernfalls wäre ein Abbau ja nicht zu verantworten.

Also halten Sie die Lagerung für sicher?

Oesterhoff: Ja, absolut. Die Leute könne beruhigt schlafen.

Wir befürchten, dass mehr Müll in der Umwelt landet und Müllexporte zunehmen.

Rolf Oesterhoff

Sie und Ihr Verband kritisieren, dass auch die Müllverbrennung ab nächstem Jahr CO2-Abgabe zahlen muss. Warum?

Oesterhoff: Eines vornweg: Wir befürworten den europäischen Emissionsrechtehandel und dass auch wir einbezogen werden. Er stellt sicher, dass die noch erlaubten CO2-Emissionen tatsächlich gesenkt werden und ein Marktpreis für CO2 entsteht, damit das Treibhausgas zuerst dort vermieden wird, wo es am günstigsten ist. Das ist echter Klimaschutz. Deutschland aber geht einen nationalen Sonderweg. Das ist nichts anderes als eine staatliche CO2-Abgabe ohne Lenkungswirkung. Bezahlen müssen es die Haushalte und Kunden. Der Bundeshaushalt kassiert insgesamt eine Milliarde Euro im nächsten Jahr. Wir befürchten, dass mehr Müll in der Umwelt landet, und dass Müllexporte zunehmen.

Fakten:

  • Energieproduktion Müllheizkraftwerk (MHKW): 350.000 Megawattstunden (MWh) Strom - das deckt etwa 30 Prozent des Bedarfs in Magdeburg.
  • 350.000 MWh Heißwasser (Fernwärme) für 45 000 Haushalte
  • Bis 2030 will das MHKW klimaneutral sein. Um das CO2 abzuscheiden, wird viel elektrische Energie benötigt – wieviel Strom das MHKW dann noch liefern kann, ist fraglich. Die Lieferung von Fernwärme und Prozessdampf soll aber uneingeschränkt weitergehen.
  • Eigentümer: 49% Städtische Werke Magdeburg SWM und 51 % Energy from Waste (EEW): Tochter des chinesischen Staatskonzerns Beijing Enterprises.
  • Jahresgewinn MHKW:
  • 2013: 15 Mio. €
  • 2021: 33 Mio. €

CO2-Abgabe auf Müll – durchschnittliche Belastung für Vier-Personen-Haushalt pro Jahr mit 650 Kilogramm Restmüll:

  • 2024: 9 Euro
  • 2025: 12 Euro
  • 2026: 17 Euro
  • ab 2027: 25 bis 32 Euro