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Uniklinik Klein, kleiner, am kleinsten - OP am Baby mit dem Mini-Instrument

An der Kinderchirurgie des Magdeburger Uniklinikums wurden zum ersten Mal in Sachsen-Anhalt zwei Neugeborene mit der „Schlüssellochtechnik“ operiert.

Von Bernd Kaufholz 14.05.2021, 05:00
Die zwei Tage alte Tilda wird am 16. Februar durch Dr. Salmai Turial (l.) und Dr. Hardy Krause (2. v. l.) im Universitätsklinikum Magdeburg operiert, (rechts) Operationsschwester Andrea Stein.
Die zwei Tage alte Tilda wird am 16. Februar durch Dr. Salmai Turial (l.) und Dr. Hardy Krause (2. v. l.) im Universitätsklinikum Magdeburg operiert, (rechts) Operationsschwester Andrea Stein. Foto: Uniklinik

Magdeburg - „Tilda war ein Wunschkind meines Partners Florian Woseck und mir“, sagt Jessica Bernau aus Domersleben im Bördekreis. „Und die Geburt verlief ohne Probleme“, so die 34-Jährige weiter.

Das kleine Mädchen sei am 14. Februar im städtischen Klinikum Magdeburg zur Welt gekommen. Aber bereits kurz nach der Geburt sei dort festgestellt worden, dass etwas mit dem Baby nicht stimmt. „Tilda hat stark geröchelt und gespuckt. Die Ärzte haben unsere Tochter auf die Kinder-Intensivstation gebracht.“ Nach der Untersuchung habe festgestanden: Tilda leidet unter einer Ösophagusatresie, einer Unterbrechung der Speiseröhre. „Wir waren geschockt. Und als uns mitgeteilt wurde, dass umgehend eine Operation nötig ist und dass bei dem Eingriff der Brustraum unseres Kindes mit einem großen Schnitt geöffnet werden muss, um die Fehlbildung der Speiseröhre zu beheben, gerieten wir regelrecht in Panik.“

Nachdem Tilda zur Abteilung für Kinderchirurgie, -traumatologie und -neurologie des Universitätsklinikums verlegt worden war, erfuhren die jungen Eltern, dass es auch ein viel schonenderes Verfahren gibt – die sogenannte Schlüssellochtechnik.

OP ohne großen Schnitt

Experte auf diesem Gebiet ist seit Jahren Privatdozent Dr. Salmai Turial. Der Abteilungschefarzt hat in Magdeburg studiert und danach in Mainz und Wiesbaden operiert, bevor er am 1. Oktober vergangenen Jahres wieder nach Magdeburg zurückkam.

Für den afghanischstämmigen Kinderchirurgen gibt es kaum Alternativen zu schonenden Eingriffen ohne große Schnitte. „Dort, wo es möglich ist, sollten immer mikroinvasiv operiert werden.“

Tilda war das erste Neugeborene, dem das neunköpfige OP-Team auf diese Art und Weise das Leben rettete. Dabei wurden zwei Tage nach der Geburt Tildas 1,9 Millimeter große Instrumente durch Miniöffnungen im Rückenbereich in den Körper des 3290 Gramm leichten Kindes eingeführt. Über einen hochauflösenden Monitor hatte das Team jederzeit den Blick auf das Operationsfeld.

„In diesem Fall endete der obere Teil der Speiseröhre in einem Sack. Der untere Teil hatte Verbindung zur Luftröhre“, so Dr. Turial.

Das obere Ende der Instrumente ähnelt dem Griff einer Schere. Damit bewegt der Operateur die Zange, trennt die unterbrochene Speiseröhre von den anderen Organen und verbindet beide Enden anschließend per Nadelhalter mit einer Naht. Um die Nähte zu schützen, kommt noch etwas „Kleber“ auf die genähten Stellen. Alles überwacht durch ein Mini-Kamera-Auge im OP-Bereich. Ohne Vorbereitungszeit dauert ein Eingriff zwei bis drei Stunden.

Dr. Selinde Mertz ist für die Anästhesie zuständig. Die Oberärztin spricht von „Hochrisikoeingriffen“, wenn es sich um Neugeborene handelt. Besonders bei herkömmlichen Eingriffen. Ein wichtiger Faktor bei einer mikroskopischen OP sei das Zusammenspiel der medizinischen Bereiche. „Wird die Lunge zu stark aufgebläht, sieht der Operateur nicht genügend. Und die Gefahr besteht, Organe oder große Gefäße zu verletzen.“

500 Gramm nicht das Ende

Wird zu wenig über den Tubus beatmet, bekommt das Kind nicht genügend Luft.“ Kommunikation zwischen den Fachbereichen am OP-Tisch sei das A und O.

Es gebe jedoch immer einen Plan B. „Das heißt, wenn sich während der Operation herausstellt, dass wir mikroinvasiv nicht weitermachen können, zum Beispiel, weil es zu starker Blutung kommt, können wir jederzeit zur herkömmlichen Art des Eingriffes zurückgehen“, sagt Dr. Turial.

Der Spezialist hat an anderen Kliniken bereits „Frühchen“ ab 500 Gramm Geburtsgewicht operiert. Kinder kleiner als eine Handfläche, weltweit einmalig. Womit nach Meinung vieler Ärzte die Möglichkeiten ausgereizt sind. Die Diskussion über das ethisch Machbare ist auch auf diesem Gebiet entbrannt.

Dr. Turial sieht allerdings noch Entwicklungsmöglichkeiten. „Künftig werden Eingriffe wohl schon ab 400 Gramm möglich sein“, sagt er.

Dr. Hardy Krause befasst sich als Kindertraumatologe mit Verletzungen im Kindesalter. Der Oberarzt gehört ebenfalls zum Team Turials und bricht eine Lanze für die Eingriffe mit den „winzigsten Instrumenten der Welt“. Die Belastung sei für die kleinen Patienten viel geringer und es geb keine hässlichen Narben.

Jessica Bernau hat ihre Tochter Dr. Turial vorgestellt. Alles ist in schönster Ordnung. Nun verlangt die „junge Dame“ in Rosa nach der Flasche. Genüsslich zuzelt sie am Sauger. Kaum zu glauben, dass ihre Speiseröhre einst eine Ernährung nicht zuließ.

„Ich habe nach dem Eingriff alle halbe Stunde angerufen. Immer hieß es: Tilda ist noch im OP-Saal.“ Dann habe das Telefon geklingelt: Der Eingriff ist gut verlaufen. „Zuerst lag sie noch auf der Intensivstation. Danach kam sie auf die Kinderstation. Ich habe mir ein Mutter-und-Kind-Zimmer genommen, damit ich Tag und Nacht bei meinem kleinen Liebling bleiben konnte.“ Am 4. März sei Tilda aus der Klinik entlassen worden.

An ihre ersten Lebenstage und vielleicht auch an das OP-Team rund um Dr. Turial werden Tilda später nur drei kleine „Mückenstiche“ am Rücken erinnern.

Die kleinsten Instrumente der Welt –  1,9 Millimeter –  die beim Eingriff bei Neugeborenen eingesetzt werden.
Die kleinsten Instrumente der Welt – 1,9 Millimeter – die beim Eingriff bei Neugeborenen eingesetzt werden.
Foto: Uniklinik Magdeburg
Jessica Bernau mit Tochter Tilda. Von links: Dr. Salmai Turial, Oberärztin Dr. Selinde Mertz und Oberarzt Dr. Hardy Krause.
Jessica Bernau mit Tochter Tilda. Von links: Dr. Salmai Turial, Oberärztin Dr. Selinde Mertz und Oberarzt Dr. Hardy Krause.
Foto: Bernd Kaufholz