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Corona Sachsen-Anhalt Uni Magdeburg empfiehlt Luftfilter und widerspricht Umweltamt

Die Uni Magdeburg hat Luftfilter getestet und rät dem Land dringend zum Kauf. Das Landesumweltamt hingegen bremst.

Von Jens Schmidt 23.07.2021, 05:00
Uni-Professor Frank Beyrau und Schulleiterin Simone Tietge an einem Luftreiniger. 16 solcher Geräte werden seit März  in der Magdeburger Grundschule "Am Elbdamm" getestet.
Uni-Professor Frank Beyrau und Schulleiterin Simone Tietge an einem Luftreiniger. 16 solcher Geräte werden seit März in der Magdeburger Grundschule "Am Elbdamm" getestet. Foto: Uli Lücke

Magdeburg - Die weiße „Kiste“ sieht aus wie ein hoher Kühlschrank, steht hinten in einem Klassenzimmer der Magdeburger Grundschule „Am Elbdamm“ und rauscht leise vor sich hin. Professor Frank Beyrau, Verfahrenstechniker von der Uni Magdeburg, lässt etwas Nebel  versprühen: Weiße Wölkchen wabern über den Fußboden, werden von der Apparatur unten eingesogen – oben strömt ein klarer Luftstrom wieder in  den Raum. Beyrau demonstriert damit, was passiert, wenn verbrauchte Luft einer Schulklasse gereinigt wird.

Im Inneren des Geräts „siebt“ zunächst  ein Vorfilter gröbere Partikel aus, ein weiterer, sogenannter Hepa-Filter fängt dann kleinste Aerosole auf. Um diese Tröpfchen  geht es vor allem – denn über sie  können  sich Coronaviren   in einem Klassenraum schnell verbreiten, erklärt Beyrau. Luftreiniger sollen neben regelmäßiger Lüftung und Hygiene helfen, die Ansteckungsgefahr zu senken.

Der Einsatz von  Technik  war lange umstritten. Die Uni Magdeburg startete daher im März an der Magdeburger Grundschule den Testlauf: In 16 Räumen stehen nun diese Luftfilter-Anlagen. Zugleich wurden  Aerosol-Messgeräte installiert. „Bereits nach zehn Minuten sinkt die Aerosol-Belastung um mehr als die Hälfte, und im weiteren Verlauf bleibt sie auf sehr niedrigem Niveau“, berichtet Beyrau. Sein Fazit: Die Geräte wirken.

Genutzt wurde drei Fabrikate deutscher Hersteller. Die Kosten liegen zwischen 2800 und 3700 Euro pro Stück. Es gibt auch Billig-Geräte für die Hälfte, doch von denen rät Beyrau ab: zu laut, zu wenig Leistung. Die Testgeräte saugen pro Stunde  fünfmal die gesamte Raumluft an und pusten die gereinigte Luft in zwei Meter Höhe wieder aus – und damit nicht in die Nacken der Schüler.

Schuldirektorin Simone Tietge  sagt: „Das Rauschen nimmt man im Unterricht kaum wahr.“ Klar: Fenster müssen dennoch geöffnet werden, da die Geräte keine Frischluft von außen ansaugen.  Aber das geschehe  jetzt vorrangig in den Pausen – und nicht mehr alle 20 Minuten während des Unterrichts. „Im Winter war das sehr unangenehm.“  Und im Sommer, wenn draußen die Luft steht,  bringen selbst offene Fenster kaum Besserung.

Einmal im Jahr müssen die Vorfilter gewechselt werden (gut 100 Euro), alle zwei Jahre die feineren Hepa-Filter (etwa 250 Euro).  Die Stromkosten  liegen bei  etwa fünf Euro je Monat und Gerät.

Also alles klar für den Großeinkauf für Sachsen-Anhalts Schulen? Mitnichten.  Die Experten streiten sich, Förderrichtlinien sind noch längst nicht klar. Noch im Februar stufte die Fachbehörde vom Landesumweltamt  die Luftreiniger als „nicht geeignet“ ein. Das Umweltbundesamt sah sie immerhin als „Ergänzung“ – Fensterlüftung habe aber auch in der kalten Jahreszeit Priorität. Einzig hochgerüstete raumlufttechnische Anlagen seien sinnvoll: Diese ziehen Frischluft von außen an und pusten Abluft wieder hinaus. Allerdings sind diese Anlagen auf die Schnelle nicht zu installieren. Anfang Juli präsentierte das Max-Planck-Institut Mainz eine einfache Frischluft-Abluft-Alternative: Ein Ventilator wird in die Außenwand oder in ein Fenster installiert, die Frischluft gelangt über ein gekipptes Fenster in den Raum. Daraufhin wies Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) Umweltministerin Claudia Dalbert (Grüne) an, den Einsatz von Luftreinigern durchs  Landesumweltamt erneut zu prüfen.

Nun liegt das Ergebnis vor, doch die Behörde fasst Luftreiniger weiterhin mit spitzen Fingern an: In gut belüftbaren Räumen reiche Fensterlüftung. Nur in schlecht belüftbaren Zimmern mit reinen Kippfenstern etwa  könne Technik helfen. Dann aber sollten es nur Anlagen sein, die auch Frischluft anziehen. Von Luftfiltergeräten (wie an der Grundschule Magdeburg) wird weiterhin abgeraten. „Das ist keine Lösung, weil sie die Abluft im Raum verteilen“, sagt Robin Sircar. „Im schlechtestes Fall nutzen sie nichts. Viren könnten  im Raum noch verteilt werden.“

Uni kontra Umweltamt

Den Test der Magdeburger kennt das Amt in Halle nicht. Uni-Professor Beyrau rollt mit den Augen. „Die Abluft leistungsfähiger Geräte ist fast vollständig von Aerosolen gereinigt. Eine Erhöhung der Infektionsgefahr sehe ich bei nahe null.“ Vor allem: Einbauarbeiten seien nicht nötig. Das Gerät wird an die richtige Stelle gestellt - Stecker rein, das wars.

In der Politik ist man für die unkomplizierte Variante offen. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD): „Wir werden diese Geräte anschaffen, sobald Fördergelder bereitstehen.“ Das Bildungsministerium sagt zu, alle Technologien zu fördern. Einzelheiten würden mit Berlin geklärt. So die Frage, ob Schulträger Geräte jetzt schon kaufen dürfen und die Anschaffung nachträglich gefördert kann. Professor Beyrau rät zum Tempo, denn der Markt sei sicherlich bald leergefegt.

Beyrau zeigt einen Filtereinsatz. Damit wird die Luft von Aerosolen und Viren gereinigt.
Beyrau zeigt einen Filtereinsatz. Damit wird die Luft von Aerosolen und Viren gereinigt.
Foto: Uli Lücke