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Heimbewohner Sachsen-Anhalt: Zweimal geimpft und doch isoliert

Pflegeheimbewohner in Sachsen-Anhalt sind bis auf wenige Ausnahmen seit Wochen geimpft. Dennoch gelten noch immer strenge Besuchsauflagen. Bei Bewohnern und Angehörigen schwindet das Verständnis für die verordnete Isolation. Nicht wenige sehen sich ihrer Rechte beraubt.

Von Alexander Walter und Gesine Biermann Aktualisiert: 7.5.2021, 06:01

Magdeburg. Christina K. ist verzweifelt. Wenn sie von ihrem Vater erzählt, stehen ihr die Tränen in den Augen. Seit November kann sie den 84-Jährigen in dessen Magdeburger Pflegeheim nur einmal pro Woche besuchen. Und dann auch nur allein, sagt sie. Dabei hat ihr Vater schon im Februar seine zweite Corona-Impfung erhalten.

Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) greift spätestens 15 Tage nach der Zweitimpfung der volle Impfschutz. Geimpfte spielen laut RKI danach kaum noch eine Rolle als Viren-Überträger.

K. kann trotzdem weiter nur wöchentlich zu ihrem Vater. Laut Corona-Verordnung des Landes (s. Infokasten) stünde ihr indes ein Besuch täglich zu. Parallel gilt allerdings auch eine Corona-Testpflicht für Besucher. „Das Heim ist mit dem Testen aber so überfordert, dass ich nur alle sieben Tage einen Termin bekomme“, sagt K. So wie ihr geht es vielen.

Petra F. aus der Altmark berichtet, auch ihre Mutter sei komplett geimpft. Besuche seien dennoch weiter nur einmal pro Woche möglich. „Am Wochenende ist die Tür einfach zu. Da kommen Sie gar nicht rein.“

Auch der Magdeburger Klaus M. kann seinen 99-Jährigen Vater nur einmal pro Woche im Heim besuchen. „Dabei ist nicht nur mein Vater zweimal geimpft, sondern auch ich bin es“, sagt M. Sein Vater bekam die zweite Spritze sogar schon im Januar.

Ihren wirklichen Namen wollen alle drei Betroffenen lieber nicht nennen. „Ich möchte keinen Ärger mit dem Personal vor Ort bekommen“, sagt etwa Petra F. Denn: Als Grund für die strikten Regeln werde immer wieder auch Personalmangel genannt.

Eine, die sich mit Namen nennen lässt, ist Angelika Klabunde. Ihre Mutter lebt in einem Heim der Johanniter in Gardelegen. Mittlerweile habe sich die Lage dort etwas entspannt, erzählt sie. Ihre Mutter durfte auch schon raus, „außerhalb des Heimes mit mir spazieren gehen“. Ein Besuch täglich sei inzwischen möglich. Aber auch aktuell sei Besuch nur eine Stunde am Tag erlaubt, und jeweils von nur einer Person. Das Land hält sich bedeckt. „Vorsicht ist gut. Aber ist das jetzt noch vertretbar, dass man die individuellen Freiheiten so einschränken muss?“, fragt Klabunde.

Die Johanniter verwiesen mit Blick auf die Besuchsvorgaben in Gardelegen am Donnerstag auf die Festlegungen der Corona-Verordnung des Landes. Lockerungen der Besuchsregelungen für geimpfte Bewohner seien vor dem Hintergrund geltender Vorgaben der Politik „nicht möglich“, hieß es.

Die Fakten indes sprechen eine klare Sprache: Laut Gesundheitsministerium hatten alle Heimbewohner in Sachsen-Anhalt schon kurz nach Beginn der Impfkampagne Impfangebote erhalten. Auch Zweitimpfungen seien in der Regel erfolgt.

Neue Corona-Regeln ab Montag

Der Ethikrat hat deshalb die Aufhebung der Besuchsauflagen gefordert. Warum hält Sachsen-Anhalt trotzdem bis heute daran fest? Das Haus von Petra Grimm-Benne (SPD) hielt sich auch auf mehrfache Nachfragen gestern bedeckt, äußerte sich nur allgemein: Eine neue, ab Montag geltende Corona-Verordnung liege noch nicht final vor, hieß es etwa. Am Freitag sollen die Änderungen vorgestellt werden.

Ein Sprecher verwies zudem auf die Landespressekonferenz vom Dienstag. Zwischen Ankündigungen für geplante Lockerungen etwa für die Außengastronomie wurde die Situation der Heimbewohner auch dort aber nicht erwähnt.

Hat die Politik die Senioren schlicht vergessen? Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) erklärte immerhin, er habe den Bund aufgefordert, die Grundrechte für Geimpfte und Genesene klarer zu stellen. Gestern beschloss der Bundestag nun tatsächlich, dass die Gruppe Rechte zurückbekommen soll. Profitieren Heimbewohner? Unklar.

Die Isolation der Senioren, führt derweil mitunter zu skurrilen Szenen: In der Altmark postierte sich kürzlich die Familie einer 90-Jährigen vor deren Heim. Mit Glückwunschschildern gratulierten sie der Oma zum Geburtstag. Die aber konnte nur vom Fenster aus winken.

„Die Lebenszeit der alten Leute vergeht“, sagte eine Angehörige danach. Viele Senioren würden nicht mehr verstehen, warum sie ihre Familie kaum sehen dürfen. Und nicht nur sie.

Die Rechtslage:

Die Besuchsregelungen für Heime sind in der Corona-Eindämmungsverordnung des Landes geregelt. Darin heißt es sinngemäß (Paragraf 9, Abs. 3 – 6):

Die Träger der Heime legen in Abschätzung der Gefährdung die Besuchsregeln fest. Jeder Bewohner darf aber von täglich höchstens einer Person Besuch erhalten.

Der Zutritt darf nur nach einem Corona-Test mit negativem Ergebnis gewährt werden. Die Heime müssen Antigen-Tests vorhalten, durchführen und das Ergebnis auf Verlangen eines Besuchers auch schriftlich bestätigen. Die Einrichtungen müssen die Belange von Besuchern „angemessen berücksichtigen“, heißt es weiter. Ein Besuchsverbot kann nur bei einer bestätigten Corona-Infektion in Abstimmung mit dem Gesundheitsamt festgelegt werden.

Die Corona-Verordnung des Landes gilt formal erst ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von weniger als 100 Neuerkrankungen je 100000 Einwohner. Bei Werten darüber (am Donnerstag alle Regionen außer Magdeburg und Börde) gilt das Bundes-Notbremsegesetz. Konkrete Regelungen für den Pflegeheimbereich fehlen hier aber.