1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Ungewöhnlich viel Beifall von der Opposition

Landtag Ungewöhnlich viel Beifall von der Opposition

Der Landtag verabschiedete am Donnerstag den Nachtragshaushalt für die Flüchtlingsunterbringung.

Von Jens Schmidt 15.10.2015, 20:09

Magdeburg l Es kam in den vergangenen neun Jahren selten bis eher gar nicht vor, dass der seit 2006 amtierende Finanzminister Jens Bullerjahn Beifall von der Linken bekam. Schon gar nicht, wenn der Mann mit SPD-Buch seinen Etat verteidigte: Stellenabbau, Schuldenbremse um (fast) jeden Preis – aus Sicht der Opposition die pure Folter. Am Donnerstag war alles anders. SPD, Linke und auch Grüne applaudierten laut. Die CDU selten bis eher gar nicht.

Bullerjahn, der 2016 als Minister aufhört, nutzte seine wahrscheinlich letzte Haushaltsrede zu seiner persönlichen flüchtlingspolitischen Grundsatzerklärung. Er musste sie auch nutzen, um seiner angeschlagenen Parteichefin Katrin Budde den Rücken zu stärken. Die Spitzenkandidatin hatte tags zuvor mit dem Parteiaustritt des Magdeburger Oberbürgermeisters Lutz Trümper einen heftigen Hieb im beginnenden Wahlkampf einstecken müssen. Trümper hatte Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) recht gegeben, der das Land an der Belastungsgrenze sieht. Und der 8000 bis 11 000 Flüchtlinge im Jahr für gut integrierbar hält, nicht aber dauernd 30 000 oder 40 000. Budde hält das für deplatziert. Und Bullerjahn stimmte ihr zu. Obergrenzen, Schnell-Abschiebungen – „solche Überschriften lösen keine Probleme, sie schüren zusätzliche Emotionen.“ So lange global keine Lösungen gefunden würden, die Flucht einzudämmen, „so lange sollten wir uns in Sachsen-Anhalt auf das Lösen unserer Probleme konzentrieren“. Bullerjahn räumte ein, dass die im Etat eingeräumten Gelder schon bald wieder nicht mehr ausreichen. Dann würde „nachgesteuert“. Noch müsse kein Straßenprojekt gestrichen, noch müssen keine neuen Schulden aufgenommen werden. „Ob das so bleibt – diese Prognose wage ich nicht.“

Bullerjahn will die Flüchtlinge aber nicht nur unter Kostenaspekten sehen. „Sie sind gerade für Sachsen-Anhalt auch eine Chance.“ Das Bundesland hat seit 1990 fast eine Million Menschen verloren. Und es verliert immer noch Einwohner – obgleich fast alle anderen Bundesländer derzeit Zuwachs verzeichnen.

Swen Knöchel (Linke) dankte Bullerjahn „für die klaren Worte“. Olaf Meister (Grüne) meinte, Haseloffs Obergrenze von 11 000 Flüchtlingen im Jahr mögen „seine Wunschzahl“ sein, hätten aber mit der Realität nichts zu tun. Krimhild Fischer (SPD) meinte, der Flüchtlingsstrom werde nicht abebben, solange die Lage im Nahen Osten sich nicht bessere. „Wie will man denn den Zustrom begrenzen? Grenzanlagen will ich jedenfalls nicht wieder haben.“ Eva Feußner (CDU) meinte, niemand kenne die weitere Entwicklung. „Aber wir wollen uns nicht auf eine jährliche Mindestzahl aufzunehmender Flüchtlinge festlegen.“ Ihre Partei fordert klar eine Begrenzung des Flüchtlingsstroms.

Trotz aller Unwägbarkeiten gab der bald scheidende Bullerjahn den Abgeordneten noch Einiges mit auf den Weg. Sein Vermächtnis sozusagen: Möglichst keine neue Schulden, Rücklagen bis 2020 weiter auffüllen, Verwaltungsstärke auf 18 Bedienstete je 1000 Einwohner anpassen. Bullerjahn riet, ein neues Leitbild Sachsen-Anhalt zu entwickeln – mit vielleicht zehn Prozent Ausländeranteil. Die Stadt Aschersleben erarbeite schon so ein Konzept.