1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Artgerechte Tierhaltung in Schernebeck

Landwirtschaft Artgerechte Tierhaltung in Schernebeck

Familie Herms in Schernebeck hat ihren eigenen, ökologischen Betrieb gegründet und das Schlachten auf den Hof zurückgeholt.

Von Sibylle Sperling 04.01.2018, 23:01

Schernebeck l Direkt hinter ihrem Vierseitenhof weiden 15 Rinder, einige schwarze und rote Angus, ein paar helle Charolais, Sommer wie Winter grasen sie hier und es fühlt sich so an, als gehe es ihnen richtig gut. Einen Stall kennen die Tiere nicht und sie werden ihn auch nicht kennenlernen, genauso wenig wie einen LKW, der sie am Ende ihres Lebens zu einem weit entfernten Schlachthof abtransportiert … Während die Schneeflocken vom Himmel fallen, macht sich eine fünfköpfige Familie für ein Foto bereit, sie haben was zu feiern, denn seit einigen Wochen ist es so weit: der Traum vom eigenen Hofladen samt Schlachthaus hat sich zum Jahresende erfüllt.

Mit 18 hatte Ariane Herms sicher nicht vorgehabt, diesen Weg zu gehen. Aber ihre berufliche und familiäre Entwicklung haben sie zu einer Idealistin, die für ökologische Landwirtschaft und artrechte Tierhaltung steht, werden lassen. Damals waren ihre Pläne andere. Ariane Herms sagt, es sei das LPG-Image gewesen, was sie davon abgehalten habe, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten. Der hatte einst in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) gearbeitet. „Er war Brigadier und musste unter ganz anderen Bedingungen arbeiten. Das erschien mir damals unattraktiv.“

So geht die Cobblerin zum Studieren nach Magdeburg, später arbeitet sie in einem Büro als Bauingenieurin. Und genau hier, inmitten dieser städtischen Enge und dem Grau des Betons, muss wohl die Sehnsucht nach einem „grünen“ Leben und das Heimweh nach einer Kindheit zwischen Tieren und Natur aufgekeimt sein. Es ist das Jahr 2004, als sie zusammen mit ihrem jetzigen Mann beschließt, sich einem verfallenen Vierseitenhof anzunehmen. Zwar schüttelt die halbe Welt den Kopf, doch wenn sich zwei angehende Bauingenieure, einer davon im Holzbau, in eine Bruchbude verlieben, ist das kein Weltuntergang. Das Paar empfindet das Gehöft, das sich Schernebeck in der Einheitsgemeinde Tangerhütte befindet, vielmehr als Einladung, selbst Hand anzulegen.

2018 erinnert nichts mehr an die einst verfallenen Gebäude: Das Wohnhaus hat längst frische Backsteine, neues Eichenfachwerk und honigfarbene Holzfenster bekommen und wer der Pflasterung durchs Hoftor folgt, wird in der Hofmitte an einem Kirschbaum vorbeigeführt. Vor wenigen Monaten haben sich dahinter noch Reste einer alten Scheune befunden, jetzt zeigt sich an derselben Stelle ein neues Backsteinhaus, das die Familie in ein Schlachthaus samt Hofladen umfunktioniert hat. BIOHOF 7 heißt das Unternehmen. „Die Sieben steht für die sieben Stufen unserer Produktion - von der Geburt des Kalbes bis zum Fleischverkauf“, so die Hofbesitzerin.

Die Rückkehr aufs Land hatte auch die Sehnsucht nach einem sinnerfüllten Beruf vor Ort mit sich gebracht. „Ich wollte nicht nur auf dem Land wohnen, sondern auch hier arbeiten, ich wollte Familie und Beruf miteinander vereinbaren,“ erzählt die 40-Jährige. 2010 beendet sie das Hin und Her zwischen Stadt und Land und steigt in den Landwirtschaftsbetrieb ihres Vaters, der Warnke Agrar-GmbH, ein. Zeitgleich kehrt auch ihr Bruder, ein studierter Physiker und Historiker, in die Heimat zurück, um dem Vater unter die Arme zu greifen.

Beide Kinder nehmen ein Landwirtschaftsstudium auf, der Familienbetrieb wird auf ökologisch betriebene Landwirtschaft umgestellt und erhält 2011 die Bio-Zertifikation.

Inspiriert durch die hier auf den Elbwiesen praktizierte Mutterkuhhaltung möchte Ariane Herms einen Schritt weitergehen. Sie träumt von einem eigenen Betrieb, bei dem alles in einer Hand bleibt. Ihre Rinder sollen nicht nur im Freien grasen und Kälber zur Welt bringen. „Ich hatte den Wunsch, die Tiere von der Geburt bis zum Tod verantwortungsvoll zu begleiten. Bisher mussten sie in weit entfernte Schlachthöfe. Das sorgt für Stress und wirkt sich negativ auf die Fleischqualität aus.“

Ihre Alternative: Die Rinder im eigenen Hof betäuben und schlachten zu lassen. Erfahrene Fleischer raten ab, sagen, dass kein vernünftiger Mensch heute noch ein Schlachthaus baue, zu viele Auflagen und die EU-Zertifizierung … Doch die Landwirtschaftsstudentin lässt sich nicht abbringen, besucht mit ihrem Mann andere Schlachtbetriebe und beantragt Kredite sowie Fördergelder.

Schritt für Schritt nimmt ihre Idee Gestalt an: 2013 erhält ihr zunächst noch kleiner Mutterkuh-Betrieb seine Bio-Zertifizierung, drei Jahre später beginnen sie, Schlachthaus und Hofladen zu bauen. Noch wird nur für den eigenen Bedarf geschlachtet. Dass ihr Biohof 7 zum Jahresende die EU-Zulassung bekommen hat, während gleichzeitig die benachbarte Agrargenossenschaft eine Nachfolge sucht, erscheint Ariane Herms wie eine Fügung. Der Betrieb hat 200 Hektar Weideland, die teilweise direkt hinter dem neu gebauten Schlachthaus liegen. Die inzwischen absolvierte Landwirtin schlägt zu. „Es hat einfach alles zusammengepasst! Jetzt haben wir ausreichend Wiesen und Futter für die Tiere!“ Auch hier soll auf Bio umgestellt und die Mutterkuh-Haltung ausgebaut werden.

Als Großunternehmerin sieht sich Ariane Herms jedoch nicht. „50 bis 60 Rinder jährlich zu schlachten, reicht uns aus. Wir möchten das Wohl jeder Kuh im Blick behalten und regional erzeugen und wirtschaften“. Am heutigen Freitag ist Premiere. Ab jetzt verkauft Ariane Herms jede Woche freitags ihr Rindfleisch direkt vom Hof.

Natürlich gönnt sich die Familie hin und wieder eigenes Rindfleisch. „Das ist dann was Besonderes.“ Die Leidenschaft fürs Kochen teilt sie mit ihrem Vater. In ihrem Laden, in dem weitere regionale Produkte verkauft werden sollen, möchte sie eine Küche integrieren. Wie bereitet man ein Steak zu? Welches Stück eignet sich für einen Rinderbraten? Die Landwirtin will ihre Kunden wieder für traditionelle Fleischgerichte begeistern und Kochkurse anbieten. Seminare über ökologische Landwirtschaft, Mutterkuh-Haltung und Rindfleisch sollen folgen, um die Grundsätze ihrer Landwirtschaft transparent zu machen.

Lutz Herms hat im Hofladen Fenster eingebaut, durch eins kann man dem Fleischer bei der Arbeit zusehen, das andere gibt den Blick auf die Weiden frei. Man sieht die Rinder, die Charolais und die Angus grasen, und irgendwann könnten sogar Schweine hinzukommen.