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Lebensmut Kleine und große Wünsche eines Kämpfers

Maximilian aus Halberstadt verliert seine Bewegungsfähigkeit. Die Lebenserwartung ist überschritten aber sein Kopf steckt voller Ideen.

Von Manuela Bock 17.02.2019, 14:39

Halberstadt l Was zuerst auffällt, sind die Pyramiden an der Wand. Dann der Drache an der Decke, der vor der Mittelalter-Burg aus Legosteinen schwebt. Wer über die Schwelle des Zimmers von Maximilian Frühauf tritt, macht in vielerlei Hinsicht den Schritt in andere Welten. Der 22-Jährige wohnt in der Caritas Integrativ-Einrichtung in Halberstadt. Im „St. Josef Haus“ kann jeder Bewohner mitbestimmen, wie sein Zimmer aussehen soll. Er hat dabei sofort klare Vorstellungen. Er liebt Ägypten, das Mittelalter und Historisches. Er mag Kämpfe und Ritter. In seiner Hand steckt ein Schwert, gebastelt aus einem Stock. „Damit kann ich jeden zum Ritter schlagen“, sagt er und blinzelt ins Licht, das sich durch die Lücke im Vorhang schiebt. Sonne ist gut. Sie macht diesen Tag heute noch ein bisschen besser. Hier im „ägyptischen Zimmer“ zählt jeder Tag. Jede Stunde.
Maximilian Frühauf hat von Geburt an eine leichte Intelligenzminderung und eine schwere Form der Muskeldystrophie Duchenne, eine muskuläre Erbkrankheit, die fast nur Jungs bekommen. Sie beginnt im Kleinkindalter mit einer Schwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur und schreitet rasch voran. Für die Betroffenen fühlt sich der Verlauf an, als würden sie von unten her versteinern. Seine Beine kann er schon lange nicht mehr bewegen. Der Muskelabbau ist zum Oberkörper gekrochen, weitet sich auf Organe aus. Die Lunge ist inzwischen betroffen. Seinen Rollstuhl bedient er über kleine Finger-Bewegungen am Joystick. Mediziner haben ihm eine Lebenserwartung von 21 Jahren vorausgesagt. Jetzt ist er 22. In naher Zukunft wird er ans Bett gefesselt sein. Aber in seinem Kopf ist viel in Bewegung. „Ich will noch ganz viel erleben“, sagt er gleich zu Beginn des Gespräches. Wer etwas von ihm erfahren möchte, darf nicht zimperlich sein, muss direkte Fragen stellen. Auch, wenn es ums Sterben geht.
Maximilian Frühauf weiß, was mit ihm geschieht. Der Tod ist in seinem Bewusstsein. Seine Patientenverfügung hat er bereits verfasst. Als er einen Bewohner sieht, der mit „Maschinen“ am Leben erhalten wird, sagt er damals: „Das will ich nie haben.“ „Wenn es irgendwie geht, erfüllen wir ihm auch den Wunsch, dass er bis zum Schluss bei uns bleiben kann und nicht in ein Krankenhaus muss“, sagt Heike Scheffler. Die Pädagogische Leiterin kennt viele Schicksale der Bewohner im Fachwerkhaus. Bewegende und traurige. Aber in Mitleid versinkt sie – wie alle anderen, die hier arbeiten – trotzdem nicht. „Für uns steht an erster Stelle, den Menschen Mut zu machen und als feste Größe im Alltag für sie da zu sein“, meint sie. Darum spricht sie auch mit Maximilian Frühauf hin und wieder über den Tod, sagt: „Den können wir ja nicht ausblenden.“
Als er im Fernsehen eine Dokumentation über Grabsteine sieht, fragt er nach, wie man den wohl aussucht und warum man überhaupt einen braucht. Es ginge ums Erinnern, einen Ort, an dem man derer gedenkt, die nicht mehr auf der Welt sind, erklärt Heike Scheffler. Erinnern findet Maximilian gut. Er denkt gern daran zurück, als er 2014 mit seinem persönlichen Betreuer eine Nilkreuzfahrt mit Badeaufenthalt in Hurghada gemacht hat. Aus vielen Töpfen hat das Team die Mittel dafür zusammengeholt, hat geplant und Hürden aus dem Weg geräumt. „Das war eine außerordentliche Kraftanstrengung, aber wir wollten ihm unbedingt diesen Wunsch erfüllen“, sagt die Pädagogische Leiterin.
Die großen und kleinen Wünsche des Maximilian Frühauf zu erfüllen, ist vielen Menschen im Umkreis des 22-Jährigen wichtig. Er ist den Bewohnern und dem Team ans Herz gewachsen. Das hat viel damit zu tun, wie der junge Mann selbst mit seiner Erkrankung umgehe, meint Heike Scheffler. Und mit seinem „frohen Wesen und diesem Lebenswillen“. Seine Geschichte ist mit dem Halberstädter Haus verknüpft. Mit vier Jahren kommt Maximilian Frühauf in die Einrichtung. Damals läuft er die Flure auf und ab und hat bereits einen langen Weg durch andere Häuser, unter anderem einem Kinderheim, hinter sich. Wie die Krankheit verlaufen würde, war damals hier jedem klar. Dass Maximilian allerdings so wissbegierig und lebensfroh sein würde, konnte niemand ahnen. Das treibt hier alle an. „Wenn es nach ihm ginge, würden wir jeden Tag unterwegs sein“, sagt Sebastian Schöler, der ihn auf den meisten Wegen begleitet. Das Schloss Neuschwanstein zu sehen, ist zurzeit sein größter Traum. Aber auch kleine Wünsche stehen auf der Tagesordnung. Raus in den Park zu gehen, gehört dazu oder andere Bewohner zu besuchen – häufig auch seine Freundin, die in der oberen Etage wohnt. Alle größeren Aktionen sind mit Anstrengungen verbunden. Für ihn und auch für die Mitarbeiter. Bei Ausflügen muss viel organisiert, logistisch geplant werden. „Wir sind froh, dass wir uns damals so für die Reisen eingesetzt haben“, sagt Sebastian Schöler. „Jetzt wären sie nicht mehr möglich.“ Die Zeit, sie läuft gegen Maximilian Frühauf.
Die zurückliegende Zeit jedoch ist bei ihm. Was er erlebt hat, erzählt er gern und lacht oft dabei. Im Dezember hat er das Musical „Der König der Löwen“ in Hamburg gesehen, sprudelt es aus ihm heraus. „Die Masken waren toll“, sagt er. Kein Wunder, dass er das hervorhebt, meint Sebastian Schöler: „Als Maximilian die Arme noch bewegen konnte, hat er viel gebastelt.“ Zu den kreativen Stunden in der Tagesförderung geht er immer noch gern, verweist auf ein gemaltes Skelett, das an seiner Zimmertür hängt: „Das haben wir da auch gemacht.“ Was Besucher zusammenzucken lässt, ist für Maximilian kein Problem. „Ich weiß, dass ich sterbe, aber das ist ja noch nicht jetzt“, sagt er. Im Jetzt und Heute guckt er gern Videos, spielt am Computer oder kuschelt mit seinen beiden Plüsch-Hunden. Wenn alles anders wäre, hätte er gern Hunde gehabt, verrät er. Und: „Dann wäre ich Polizist geworden.“
Wenn er spricht, klingt das immer herausfordernd und selbstbewusst. Meist blickt er auf die Runde, die sich heute in seinem Zimmer versammelt hat, Nina und Monique vom Intensiv-Pflegedienst sind hier. Seit er künstlich beatmet werden muss, sitzt jemand neben ihm, wenn er schläft. „Das hätten wir allein nicht leisten können, dafür haben wir uns Unterstützung geholt“, sagt Heike Scheffler. „Erst fand ich das komisch, dass immer jemand zuguckt“, sagt Maximilian Frühauf dazu. „Jetzt mag ich das, weil ich gern Menschen um mich habe.“
Das wissen alle hier. Im „St. Josef Haus“ kennt jeder den Bewohner des „ägyptischen Zimmers“. Der mit den vielen Wünschen, Träumen und Vorhaben. „Es klingt komisch“, sagt Heike Scheffler, „aber er macht hier vielen Mut“. Maximilian Frühauf meint kurz dazu: „Umso mehr ich noch erlebe, umso besser. Manchmal denke ich ein bisschen voraus, aber meist von Tag zu Tag“.
Heute ist der Tag mit der schönen Wintersonne und der, wo er so viel über sich sprechen soll. „Ich weiß warum – weil ich immer so viel vorhabe“, sagt er, schaut sich auf dem Kamera-Display die Fotos an und fügt an: „Am besten sind die, auf denen ich lache.“