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Lehrermangel Seiteneinsteiger in Sachsen-Anhalt erwartet

Sachsen-Anhalt steht eine Einstellungswelle fachfremder Lehrkräfte bevor, dass das schiefgehen kann, zeigt das Beispiel Sachsen.

Von Alexander Walter 15.03.2018, 00:01

Stendal l Nein, Christoph Rosenbaum war wirklich nicht wählerisch. Als er sich 2016 für den Schuldienst in Sachsen-Anhalt bewarb, nahm er gleich das erste Angebot an. Das Profil: Comenius-Sekundarschule im altmärkischen Stendal, Fach: zunächst nur Deutsch für Zuwanderer. Da hätte wohl nicht jeder sofort zugeschlagen, das räumt er selbst ein.

Rosenbaum wollte es trotzdem wissen. 14 Jahre als Uni-Dozent in der Slowakei lagen damals hinter ihm. „Der Druck zu publizieren, war ungemein groß“, erzählt der Magister für Slawistik/Osteuropäische Geschichte und Betriebswirtschaft, der in der Slowakei auch Deutsch als Zweitsprache unterrichtete. „Man musste sich ständig legitimieren.“ Das habe ihn immer unzufriedener werden lassen.

Von einem Freund kam der Tipp: ‚Du, in Sachsen-Anhalt suchen sie Seiteneinsteiger im Lehramt.‘ Über das Land zwischen Elbe und Harz wusste der gebürtige Rostocker damals wenig. „Von der Schule kannte ich nur die Magdeburger Börde als Kornkammer der DDR“, erzählt der schlanke Akademiker mit schmaler Brille und lächelt vielsagend.

Dass er mitsamt seiner Frau und den drei Kindern dann tatsächlich kam, schreibt Rosenbaum vor allem seiner Schulleiterin Heidemarie Henning zu. „Sie hat sich zwei Stunden Zeit genommen, mir am Telefon Rede und Antwort zu stehen“, sagt er. Das und die Aussicht auf eine Festanstellung habe ihn schließlich überzeugt.

Die Maßstäbe senkte die Rektorin für Rosenbaum deshalb freilig nicht. Von Anfang an musste er fast voll unterrichten. Hinzu kamen Klassenleiterfunktion, Elterngespräche, Dienstberatungen. Bei gleicher Belastung wird Rosenbaum schlechter bezahlt als viele klassische Lehrer. Der Grund: Ihm fehlt die geforderte Fachausbildung.

So wie ihm geht es manchem. Rosenbaum ist einer von 181 Seiteneinsteigern im Land. Das heißt: Er ist Hochschulabsolvent im Lehrerberuf ohne anerkannt gleichwertige Berufsausbildung. War der 39-Jährige bei seiner Einstellung 2016 noch eine Art Pionier, ändert sich das gerade.

Weil die Hochschulen bis 2023 nicht einmal die Hälfte des Einstellungsbedarfs von 730 Lehrern jährlich ausbilden, wird Sachsen-Anhalt zunehmend auf Fachwissenschaftler angewiesen sein.

Chemiker, Musikpädagogen, Mathematiker, Sprachwissenschaftler – sie alle werden in den kommenden Jahren immer häufiger „echte“ Lehrer ersetzen. Wohin die Reise gehen könnte, machte Bildungsminister Marco Tullner (CDU) erst im Januar deutlich: Bei rund 1000 geplanten Lehrer-Einstellungen 2018, seien allein im Sommer bis zu 200 Plätze für Seiteneinsteiger-Kurse reserviert. Wie viele es tatsächlich werden könnten, ist noch unklar. „Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen zum kommenden Schuljahr steigen“, bekräftige Tullner gestern.

Das liegt auch daran, dass die Bundesländer sich im Konkurrenzkampf um „echte“ Lehrer gegenseitig ständig überbieten. Berlin etwa zahlt frisch ausgebildeten Grundschullehrern seit Januar deutlich mehr Geld.

Auch Thüringen hat zu Beginn des Schuljahres die Verbeamtung wieder eingeführt. Für Schlagzeilen sorgt aktuell Sachsen: Das Land hat ein ganzes Paket gegen den Lehrermangel geschnürt, will ab dem neuen Schuljahr ebenfalls verbeamten. Erklärtes Ziel des Kultusministers Christian Piwarz (CDU): abgewanderte Lehrer zurückholen. Maßnahmen wie diese dürften auch Sachsen-Anhalt treffen: 31 Absolventen stellte das Land 2017 allein aus Sachsen ein.

Das Bildungsministerium wird um Seiteneinsteiger also nicht herumkommen. Mit dem für Sommer erwarteten neuen Schulgesetz will Tullner daher möglichst vielen den Lehrerberuf schmackhaft machen.

So sollen sie fehlende Qualifikationen nachholen – und auch das Referendariat berufsbegleitend abschließen können. Ihre Berufsperspektiven würden sich so deutlich verbessern. Auch eine Verbeamtung wäre möglich.

Für Thomas Lippmann, Fraktionschef der Linken, haben die Pläne aber einen Haken: Um für ein Referendariat infrage zu kommen, müssen Bewerber zwei anrechenbare Fächer vorweisen können. Das traf zuletzt nur auf jeden siebten eingestellten Seiteneinsteiger zu, sagt er. Lippmann fordert, das Referendariat entweder für Absolventen mit nur einem Fach zu öffnen. Oder aber berufsbegleitend zu qualifizieren, um danach durch ein Anerkennungsverfahren zu verbeamten. Wie die Neauankömmlinge den Start in den Schulalltag schaffen sollen, ist damit aber noch nicht beantwortet. Lernen kann Sachsen-Anhalt aus Erfahrungen in Sachsen. Das Nachbarbundesland stellte bereits im Schuljahr 2016/17 Seiteneinsteiger in Größenordnungen von 50 Prozent ein. Das allerdings ohne sich Gedanken über deren Qualifikation zu machen, sagt GEW-Sprecher Jürgen Thamm. Die Folgen seien „dramatisch problematisch“. So fanden anfangs dreimonatige Seiteneinsteiger-Kurse während der Schulzeit statt. Die Folge: Die neuen Lehrer fielen erstmal wochenlang aus. Viele Seiteneinsteiger seien überfordert gewesen, jeder siebte schied in den ersten beiden Jahren aus.

Inzwischen hat die Landesregierung reagiert. Die Kurse finden jetzt vor Dienstbeginn statt. Anschließend sollen die Neulinge fehlende Qualifikationen durch ein berufsbegleitendes Studium nachholen.

GEW-Sprecher Thamm hält auch das für unausgegoren. Viele Einsteiger seien mit der Doppelbelastung aus Studium und Arbeit überfordert. Wie die Hochschulen die Weiterbildung personell stemmen sollen, sei offen. Außerdem fehlten die Seiteneinsteiger während der Weiterbildung auch jetzt tageweise in den Schulen. Der Anteil der Seiteneinsteiger an den Neueinstellungen in Sachsen steigt derweil immer weiter. Bei der letzten Runde im Februar lag er bei 62 Prozent.

Mit solchen Zahlen rechnet das Magdeburger Bildungsministerium zwar nicht. Doch auch Seiteneinsteiger in Sachsen-Anhalt müssen qualifiziert werden. Schließlich kommen viele von ihnen ganz ohne methodisch-didaktische Grundlagen. Wiederholen sich die Fehler aus Sachsen? Das Bildungsministerium will das verhindern. Schon jetzt gibt es für Einsteiger zwei Sorten von Seminaren: einen 40-Stunden-Kompaktkurs und einen EU-finanzierten 200-Stundenkurs. Die Neulehrer müssen sich für die Teilnahme anmelden. Die Kurse beginnen, wenn es genügend Interessenten gibt.

Mit der wachsenden Seiteneinsteigerzahl will Marco Tullner das System ab Sommer auf neue Füße stellen. Dann sollen alle Bewerber mit einem vierwöchigen Kurs starten. Damit allerdings könnten Seiteneinsteiger – wie einst in Sachsen – in den ersten Wochen für den Unterricht ausfallen. Manche Frage ist noch offen, am Kursangebot werde derzeit gearbeitet, sagte Tullner.

Die Diskussionen in Magdeburg verfolgt Christoph Rosenbaum aus der Ferne. Trotz aller Hürden hat er sich an seiner neuen Arbeitsstätte von Anfang an wohl gefühlt. Das liege vor allem am guten Team seiner Schule, sagt er. Die Kollegen hätten ihm den Einstieg denkbar leicht gemacht. Anders als mancher Kollege hat Rosenbaum zudem das Glück, bereits Lehr-Erfahrungen einbringen zu können. „Die wichtigsten Kniffe bei der Vermittlung von Grammatik kannte ich schon von der Uni“, sagt er. Mitgebracht hat Rosenbaum auch die Empathie für Kinder. „Bei einem leeren Blick, weiß ich genau, ich muss es nochmal und anders erklären.“

Auch mit den Weiterbildungsangebot des Landes ist der Seiteneinsteiger zufrieden. Er gehört zu jenen, die bereits einen der 200-Stundenkurse belegen. Verbeamtung? Wäre interessant, ist aber kein Muss. Eine Bezahlung, die seine Erfahrungen als Dozent berücksichtigt, das wäre aber schön, sagt er. Wird er bleiben? „Mal sehen“, sagt der 39-Jährige salomonisch. „Ich kann‘s mir vorstellen, aber ich habe auch eine Familie.“ Seiner Frau und ihm fehlten doch ein wenig die Berge in der Slowakei, gesteht er schließlich.

Der Kommentar zum Thema von Alexander Walter.