Leseranwältin Die Vielseitigkeit der Wirklichkeit korrekt abbilden

Ein paar Tage lang sorgte er für Schlagzeilen, der zwei Meter lange Wels im fränkischen Brombachsee, der Badegäste verletzt hatte und von der Polizei erschossen worden war. Auch über das weitere Schicksal des Tiers berichtete die Volksstimme, so am 1. Juli unter der Überschrift „Bissiger Riesenwels komplett verspeist“. Darin schildert ein Gastwirt, wie gut die 120 Portionen Fischfilet seinen Gästen geschmeckt hätten. Gar nicht in Ordnung, findet eine Leserin, das verharmlose, dass ein Lebewesen getötet worden sei.
Journalisten müssen aus mehreren Perspektiven prüfen, ob die Veröffentlichung eines Texts zulässig ist, unter anderem (außer bei Kommentaren) auf Ausgewogenheit achten. Der Artikel der Nachrichtenagentur dpa dreht sich vor allem um den gastronomischen Aspekt.
Dpa zeichnet jedoch auch die Vorgeschichte nach und stellt die Beweggründe der Polizei, das Tier zum Schutz der Badenden zu erschießen, der Kritik der Tierschutzorganisation Peta gegenüber, die Strafanzeige wegen des aus ihrer Sicht unnötigen und schmerzhaften Todes gestellt hat.
Der Text ist stellenweise etwas salopp formuliert („Promi-Wels“), insgesamt aber in nachrichtlichem Ton gehalten. Darstellung der unterschiedlichen Sichtweisen, Verzicht auf Sensationshascherei – journalistisch saubere Arbeit. Der Artikel enthält sich eines Urteils. Wer im juristischen Sinne recht hat, müssen Gerichte entscheiden. Wer moralisch im Recht ist, darüber kann sich jeder Leser eine eigene Meinung bilden.
Ein weiterer Blick gilt dem Inhalt. Ist das Thema für viele interessant? Das ist hier gegeben. Ein solches Geschehen wie im Brombachsee kommt nicht alle Tage vor, die Menschen reden in ganz Deutschland darüber. Gefällt der Inhalt allen? Nein. Gerade bei kontroversen Themen kann das gar nicht anders sein, es ist im Gegenteil sehr gut so. Denn erst Rede und Gegenrede zusammen zeichnen ein Bild, das so vielseitig ist wie die Wirklichkeit selbst.