Leseranwältin Distanz zu allen Beteiligten einhalten

Es gibt schwierige Gespräche, die man am besten nicht allein führt, sondern eine Vertrauensperson mitnimmt. Etwa wenn es um einen schweren Konflikt am Arbeitsplatz geht oder ein Arztgespräch, bei dem Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen sind. Kommt dann noch die Sorge hinzu, dass womöglich nicht alle wichtigen Informationen vom Gesprächspartner auf den Tisch gelegt werden, dann liegt der Gedanke durchaus nahe, sich an eine Redaktion zu wenden. Die Journalistinnen und Journalisten sind schließlich Fachleute dafür, Informationen ans Tageslicht zu befördern und gegebenenfalls Missstände aufzudecken. Und so bat kürzlich auch ein Volksstimme-Leser darum, dass ein Reporter ihn als Zuhörer zu einem solchen Gespräch begleiten möge.
Dahinter steht großes Vertrauen in unsere Unabhängigkeit und unsere „Wächter-Rolle“, das uns sehr ehrt. Doch genau diese beiden Punkte sind auch der Grund, dass wir solche Wünsche nicht erfüllen können. Als Journalisten dürfen wir zwar in Kommentaren Partei ergreifen und unsere Meinung sagen. Wenn wir uns ein Bild über ein Thema machen, Informationen recherchieren und Hintergründe zusammentragen, dürfen wir dies jedoch nicht.
Wir müssen, das verlangen unsere Berufsregeln, die gleiche Distanz zu allen Beteiligten halten. In einem Bericht müssten wir die Sichtweise dessen wiedergeben, der uns als Zuhörer zu einem Gespräch dazu gebeten hat. Wir müssten in gleicher Weise auch die Sichtweise des Gesprächspartners und ggf. weiterer Beteiligter darstellen. Würden wir als Zeugen im Auftrag einer der beiden Seiten fungieren, wäre das mit unserer Rolle nicht vereinbar.
Abgesehen davon sind viele Gespräche für die Betroffenen unbestritten äußerst relevant – als Journalisten kommen wir aber erst dann ins Spiel, wenn die Erörterung etwa einer persönlichen medizinischen Frage Aspekte birgt, die für eine breitere Öffentlichkeit relevant sind.