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Leseranwältin Vom schwierigen Umgang mit der Mohrenstraße

01.09.2025, 07:00
Leseranwältin Heike Groll
Leseranwältin Heike Groll VS

Eine Tageszeitung berichtet vor allem über aktuelle Themen. Informiert sie „zu spät“, erregt das Kritik. Aber kann es auch das Gegenteil geben, ein „zu aktuell“? In der Rubrik „Aufgespießt“ ging es kürzlich darum, dass das Verwaltungsgericht die Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin in letzter Minute gestoppt habe. Nur: Als der Text anderntags zu lesen war, hatte noch am Abend zuvor das Oberverwaltungsgericht (OVG) diese Entscheidung aufgehoben, und die Umbenennung war doch erfolgt. In einem Leser weckt das Zweifel, ob zuvor wirklich sauber recherchiert worden war. Aktuell zu berichten, fordert er, dürfe nicht „voreilig“ heißen.

Grundsätzlich muss Sorgfalt vor Schnelligkeit gehen. Gemäß Pressekodex sind Informationen „mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt“ zu prüfen. Das Maß der Sorgfalt ist nicht absolut festgelegt, aus gutem Grund. Dürften Journalisten erst dann über ein Thema berichten, wenn alle Eventualitäten geklärt sind (was bei langwierigen Entwicklungen Jahre dauern kann), wäre eine kritische Berichterstattung gar nicht möglich.

Journalistische Sorgfalt bemisst sich also nach den Umständen, unter anderem Schwere eines Vorwurfs und Seriosität der Quellen. Auch Redaktionsschluss und Drucktermin gehören dazu.

Ein gedrucktes Medium lebt immer mit der Möglichkeit, dass die Realität die Berichterstattung überholt. Mit Blick auf die Sorgfaltspflicht ist im Fall oben entscheidend: Hätte man bis zum Redaktionsschluss um 22 Uhr damit rechnen müssen, dass die höhere Instanz binnen Stunden das Urteil kassieren würde? Nicht, wenn es keinerlei Anzeichen gegeben hätte.

Die Nachrichtenagentur dpa vermeldete jedoch kurz nach 14 Uhr, dass Beschwerde eingelegt worden sei, und gegen 21.40 Uhr über die OVG-Entscheidung – man hätte den Text also mindestens ändern müssen. Die noch bessere Lösung wäre gewesen, bereits am Nachmittag ein anderes Thema fürs „Aufspießen“ zu wählen.