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Liebe Wir haben uns im Internet gefunden

Drei Pärchen aus Sachsen-Anhalt erzählen ihre außergewöhnliche Kennenlern-Geschichte.

Von Elisa Sowieja 10.09.2017, 06:00

Mama braucht einen Mann. Dachte sich Tina vor elf Jahren. Sie war damals zwölf – ein Alter, in dem man sich nicht gerade darum reißt, ständig die intensive Aufmerksamkeit seiner Eltern zu erfahren. Mama Jeanette hatte aber nun mal Zeit. Ihr Freund war ein paar Monate zuvor einfach abgehauen. Sie selbst hatte sich danach zwar schon auf der Chatseite von Freenet umgeschaut, aber nie irgendwem geschrieben. Aus Angst vor Schwachköpfen, sagt die Magdeburgerin. Aber es musste es ja mal vorangehen, fand Tina. Sie fragte, ob sie denn vielleicht helfen dürfte.

Tina loggte sich ein unter „Fischlein123" ein und formulierte eine Nachricht: „Ich bin Tina, zwölf Jahre alt und suche einen neuen Freund für meine Mutti. Ihr alter ist in Australien." Den Text schickte sie an willkürlich ausgesuchte Namen. Damals war es ja noch nicht Usus, sein Profil mit Fotos und Details zu Alter, Hobbys und der liebsten Sockenfarbe zu versehen. Der erste Mann antwortete nur: „Du spinnst doch." Der Zweite war eher an Tina als an ihrer Mutter interessiert – schnell löschen.

Die dritte Nachricht ging an „Andy85", das Profil von Ulis Sohn. Er war damals 20 und sofort begeistert: „Ehrlich? Ich suche eine neue Frau für meinen Vater!" Uli Lube, erfuhr die Zwölfjährige, war auch verlassen worden und lebte in Naumburg. Ist ja nicht so weit weg. Mal checken, ob die beiden zusammenpassen. Tina tippte: „Mutti ist sehr freundlich und kommt mit allen gut klar." Andy schrieb: „Mein Vater ist total lieb, er möchte nicht enttäuscht werden." Hm, könnte was werden.

Ein paar Tage später verkündete Tina ihrer Mutter  die frohe Botschaft: „Ich hab einen Mann für dich!" Ihre Reaktion: „Und ich bin Arnold Schwarzenegger." Ungefähr zur gleichen Zeit rief Andy seinen Vater bei der Arbeit in der Druckerei an: „Vati, kannste nachher vorbeikommen? Beeil dich." Dann erzählte er ihm von Tina und Jeanette und präsentierte die Nachrichten. Uli zögerte erst, weil er noch kein Bild von Jeanette gesehen hatte. Dann schrieb er ihr trotzdem.

In den nächsten Wochen bewegte nicht viel, die Nachrichten zwischen den beiden plätscherten vor sich hin. Was wohl auch daran liegt, dass Uli, wie er sagt, kein Mann großer Worte ist. Doch eines Abends fasste sich Jeanette ein Herz, rief bei ihm an – und legte erst nach vier Stunden wieder auf. Danach legten die beiden den Turbogang ein. Gleich am nächsten Wochenende wollten sie sich sehen.

Und die Kinder? Die mischten selbstverständlich weiter mit. Einen Tag, bevor Uli nach Magdeburg fuhr, schickte Andys Bruder Jeanette eine lange Mail: die Bedienungsanleitung für seinen Vater. Und am nächsten Abend, als Uli vor ihrer Wohnung stand und Tina am Fenster vergeblich darauf wartete, dass er hochkommt, da schrieb sie Andy: „Dein Vater steigt nicht aus." Er rief Papa daraufhin auf dem Handy an und fand heraus, dass der tierisch Muffensausen hatte und vor lauter Aufregung schon auf seiner Armatur Gummibärchen nach Farben sortierte. Irgendwann hatte er dann zum Glück doch den Mut, zu klingeln. Zwei Monate später zog Uli nach Magdeburg, im folgenden Jahr machte er sie offiziell zu „Frau Lube". Zur Hochzeit trug Jeanette dann konsequenterweise auch ein Kleid aus dem Internet.

Dass Heidy mal eine Magdeburger Schwiegermutter besuchen würde, war für sie vor zehn Jahren ungefähr so wahrscheinlich wie ein Date mit einem Astronauten. Magdeburg war ihr nicht mal ein Begriff. Verständlich, wenn man in Peru lebt. Und Interesse an einem Partner hatte sie auch keines. Aber ihr Deutsch-Lehrer hatte dieses Internet-Portal empfohlen, LaBlue. Dort könne man super mit Muttersprachlern plaudern, meinte er – als Übung für ihr anstehendes Au-Pair-Jahr in Österreich. Dass LaBlue eine Partnerbörse ist, hatte er wohl nicht mitbekommen.

Dennis Peckman war dort auch unterwegs – aus Langeweile. Der gebürtige Magdeburger, seit seiner Ausbildung lebt er in Baden-Württemberg, war nach einem Mountainbikeunfall über Monate krankgeschrieben. Er klickte sich gerade leidenschaftslos durch ein paar Frauenprofile, als sein Blick auf die Ländereinstellungen fiel. Peru. „Ich hatte einfach Lust, mit jemandem zu erzählen", sagt der 43-Jährige, während er und seine Heidy in einem Magdeburger Café einträchtig in ihren Tassen rühren. „Peru klang reizvoll, ich wollte mehr über das Land erfahren." Deshalb war‘s ihm auch egal, dass zum einzigen Profil kein Foto gehörte.

Heidy bekam eine Menge Post. Aber während die anderen baggerten, fragte Dennis nach den Inkas. Das gefiel ihr. Außerdem mochte sie sein Foto: vor einem Zug, er ist nämlich Lokführer. Heidy zuckt grinsend mit den Schultern. „Ich fand ihn halt süß." Die Zwei fingen an, sich zu schreiben. Anfangs zeigte sie die Nachrichten noch ihrem Patenonkel. Sie verstand kaum Deutsch, er umso besser, und wer konnte schon wissen, ob dieser Dennis nicht irgendwas im Schilde führte.

Drei Monate später begann dann ihr Jahr in Österreich, nach drei weiteren Monaten trafen sie sich schließlich – auf halber Strecke in München. Für das besondere Treffen wählten die beiden einen besonderen Tag: Silvester. Gefeiert wurde gleich mit Familienanschluss; Dennis‘ Sohn Nils, damals Vier, war mit von der Partie.

Der Abend startete eher holprig: „Ich hatte eigentlich eine Party erwartet", erzählt die 35-Jährige. Stattdessen saßen sie zu dritt am Wohnzimmertisch und aßen Soljanka. Extrascharf. Er dachte, Peruaner mögen es scharf. Sie löffelte tapfer. Trotzdem überzeugte dieser Abend Heidy endgültig von Dennis. „Er ging so liebevoll mit seinem Sohn um", schwärmt sie. Das berührte sie auch deshalb, weil sie selbst eine Tochter hat. Estrella, acht, war damals bei der Oma in Peru.

Eigentlich wollte Heidy ja in Peru ihr unterbrochenes Lehramts-Studium abschließen und dann mit ihrem Bruder eine Sprachschule eröffnen. Aber das erledigte sich nun schnell. An Silvester 2008 machte Dennis ihr einen Antrag, die Hochzeit folgte ein Jahr später. Heidy zog mit Estrella nach Deutschland und begann eine Ausbildung in der Gastronomie der Bahn. Inzwischen ist sie auch mit dem deutschen Essen versöhnt, erzählt Heidy. Dem Zwiebelrostbraten sei Dank.

Genaugenommen haben sich Katja und Ben Röbbeling gar nicht übers Internet kennengelernt. Exakt muss es heißen: Er hat sie im Internet wiedergefunden. Denn die erste Begegnung hatten die Wernigeröder in der realen Welt. Allerdings kann Katja sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Naja, es ist ja auch schon lange her.

Als sie um die 15, 16 Jahre alt war, ging sie oft mit Freunden ins Napoleon – eine urige Kneipe mit dunkler Holzvertäfelung und Kaiserporträts an den Wänden. „Da muss er mich ein paarmal gesehen haben." An einem Abend unterhielten sich die beiden sogar, erzählt Ben. Durch gemeinsame Freunde waren sie am selben großen Tisch gelandet. „Ich wollte sie schon damals haben." Doch er unternahm nichts. „Weil ich zu schüchtern war."

In den Jahren danach hatte er immer mal eine Freundin. Katja ging ihm aber nie ganz aus dem Kopf. Dann, 2011 – die beiden waren inzwischen Anfang 20, sie Zahnarzthelferin und er Soldat – beschloss Ben, sie auf Facebook zu suchen. Die Freundeslisten von gemeinsamen Bekannten sind bei so etwas Gold wert. Er schrieb sie an. Ihr erster Gedanke: „Wer ist das denn?" Außerdem hielt sie eigentich nicht viel von Internetbekanntschaften. „Ich dachte, da gibt‘s so viele komische Gestalten." Doch dann stöberte sie aus Neugier auf seinem Profil herum. Sie entdeckte drei, vier bekannte Gesichter und befand: Okay, der gehört wohl nicht zur komischen Sorte. Man kann ja mal was trinken gehen.

Bis aus den Harzern ein Paar wurde, dauerte es allerdings nochmal ein Jahr. Bei den Treffen mit Ben – ein Kinobesuch und ein hochprozentiger Kneipenabend – hatte sie zwar viel Spaß. Aber ihr machte damals noch eine Ex-Beziehung zu schaffen. Zum Glück blieb Ben hartnäckig, ein Jahr später schrieb er sie nochmal an. Die beiden trafen sich auf einen Kaffee. Diesmal funkte es endlich auch bei ihr. „Es waren die blauen Augen." Wieso sind ihr die nur nicht früher aufgefallen? Katja lacht. „Vielleicht war‘s ja immer zu dunkel!"