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Luftfahrtmuseum Überflieger aus Wernigerode im Sammelfieber

Der Ingenieur Clemens Aulich sammelt Flugzeuge und zeigt diese im Museum. Nun wurde auch die "Dach-Transall" eröffnet - mit einer Rutsche.

Von Julia Bruns 28.02.2019, 00:01

Wernigerode l Eine Transall C-160 auf dem eigenen Museumsdach – ist das für einen passionierten Flugzeugsammler und Hobbypiloten schon die Erfüllung des persönlichen Lebenstraums? „Ich bin relativ nah dran“, räumt Clemens Aulich im Gespräch ein. Es ist am einem Sonntag, einem herrlicher Frühlingstag im Harz. Die Leute müssen sich die Handflächen vor das Gesicht halten, um im gleißenden Gegenlicht einen genauen Blick auf das imposante silberne Flugzeug zu werfen, das bis vor wenigen Jahren noch weltweit im Einsatz der Bundeswehr war.
Vor wenigen Minuten hat der Unternehmer Clemens Aulich eine weitere Attraktion im Luftfahrtmuseum in Wernigerode freigegeben: Durch eine Röhrenrutsche können die Besucher vom Dach des neuen Anbaus runtersausen. Kinder juchzen. Wer älter als sechs Jahre ist, darf sich trauen. Auch Erwachsene, natürlich auch der Museumsbesitzer selbst, sausen das Spielgerät herunter.
Die eigentliche Sensation ist aber nicht die Rutsche, die von einer sächsischen Spezialfirma für Evakuierungs- und Erlebnisrutschen innerhalb von nur zwei Tagen montiert wurde: Highlight ist die Transall C-160D, eine 22?Tonnen schwere militärische Transportmaschine mit einer Flügelspannweite von 40?Metern bei einer Länge von 32?Metern, Spitzname „Silberne Gams“ wegen des silbernen Anstrichs und der Gemse, dem Wappentier und Maskottchen des Lufttransportgeschwaders 61 in Landsberg-Penzing. Sie steht direkt neben dem Eingang der Rutsche: auf dem Dach.
Erst im Oktober 2018 wurden der Rumpf und weitere Teile der „Silbernen Gams“, wie der Vogel genannt wird, auf das Dach des Luftfahrtmuseums gehievt. Die Vorplanungen reichen vier Jahre zurück. „Wir mussten das ganze Gebäude statisch komplett anders auslegen“, erklärt Clemens Aulich. „Nicht nur wegen des Gewichts von 22 Tonnen, vor allem wegen der Lastenverteilung.“ Weithin sichtbar sollte sie sein, und so mehr Besucher auf das Museum aufmerksam machen. 65.000 Menschen finden jährlich den Weg in die Ausstellung – 100.000 sollen es künftig sein. Die Idee zu dem Coup hatte der Ingenieur 2014. „Wir hatten 25.000 Besucher – und damit einfach zu wenig. Ich stand vor der Entscheidung, zu schließen oder etwas Richtiges draus zu machen.“ Er investiert einen zweistelligen Millionenbetrag, baut eine Halle mit Cafeteria, Museumsshop, Besucherzentrum und zwei Hangars an. Schon damals war klar, dass eine Transall das Dach schmücken soll.
Das Luftfahrtmuseum befindet sich auf 6000 Quadratmetern in vier Hangars am Gießerweg, einem Industriegebiet, das nicht mit dem verspielten Märchengassencharme der historischen Altstadt Wernigerodes punkten kann. Wobei – aus dem Cockpit der Transall hat man ihn, den berühmten Schlossblick, nach dem die Fotoapparat-zückenden Touristen allerorten trachten.
„Vielleicht bieten wir hier oben Veranstaltungen an“, sagt Clemens Aulich, der im Cockpit Platz genommen hat. Kein ungewöhnlicher Ort für ihn. „Ich habe zwar eine Lizenz, aber eine Transall bin ich noch nicht geflogen“, sagt er. Wen wundert‘s: Den Flugschein hatte er eher als die meisten Menschen ihren Führerschein. Zweimal im Monat ist er in schwindligen Höhen unterwegs, meisten allerdings mit dem Helikopter.
„Ich habe schon als Kleinkind immer im Flugzeug gesessen“, blickt Clemens Aulich zurück – zurück in die 1960er Jahre der Bundesrepublik, zurück in die Kindheit in Braunschweig, als er bei seinem Großvater mitfliegen konnte, der als Fluglehrer tätig war. „So bin ich auf dem Flugplatz groß geworden“, sagt der 57-Jährige.
Sprichwörtlich „Kerosin im Blut“ zu haben, das trifft wohl auf nur wenige Menschen so zu wie auf den Diplomingenieur, der im Grundschulalter sein erstes Kleinflugzeug, eine Cessna 172, im elterlichen Garten ausgestellt hatte, mit 16 Jahren den Flugschein machte – aber dann doch lieber kein Pilot werden wollte.
„Das war mir nicht abwechslungsreich genug. Es hätte mich beruflich nicht interessiert“, sagt der Flugzeug-Enthusiast, der parallel Maschinenbau und Medizin in Aachen studiert hatte, zunächst als Arzt und dann für VW tätig war. Als Geschäftsführer manövrierte er später diverse Großunternehmen aus bewegtem Fahrwasser, unter anderem als Geschäftsführer der VEM motors GmbH in Wernigerode.
1992 wurde Clemens Aulich in diesem Rahmen mit der Sanierung und Privatisierung des Areals des ehemaligen Elektromotorenwerks beauftragt. An diesem Standort fand er die ehemalige Versandhalle vor, mit der er seiner Sammelleidenschaft Raum geben konnte. Damals schon besaß er 50 Flugzeuge und Hubschrauber, die er bundesweit eingelagert hatte.
Am 1. Juni 1999 öffnete das Museum, für dessen Vermarktung sich Ehefrau Madeleine Aulich maßgeblich verantwortlich zeichnet. Ausgestellt sind insgesamt über die 1000 Stücke, darunter mehrere Großexponate wie die Mirage III RS, den Segelflieger „L Spatz“ oder den Hubschrauber vom Typ „Hughes 269 A“, übrigens das einzige Modell, das in einem deutschen Luftfahrtmuseum zu sehen ist. In zwei Flugsimulatoren, unter anderem in einem Helikopter des Typs Bell UH-1D, können Besucher austesten, ob sie als Piloten taugen.
Mit der Faszination für das Fliegen geht eine Sammelleidenschaft einher, die bis heute anhält. Dabei ist das Flugzeug-Sammeln nicht so einfach. Der Markt ist klein und überschaubar. „Es werden einfach nicht so viele Flugzeuge gebaut wie Autos“, erklärt er.
Chancen hätten Sammler, wenn Maschinen ausgemustert werden, zum Beispiel über die Vebeg GmbH, eine Treuhandgesellschaft zur Verwertung von ausgemustertem Eigentum des Bundes und anderer öffentlicher Auftraggeber. Auch auf Ebay werden Flugzeuge und Hubschrauber gehandelt. Einmal habe er sieben MiG-21 – den sowjetischen Abfangjäger – gekauft. „Nicht, um Geld damit zu verdienen“, betont er. „Sondern zum Tausch.“ Auch im Falle der Transall, die weltweit in humanitären Einsätzen geflogen wurde, um Hilfsgüter zu transportieren, spielte dem Sammler die Ausmusterung zugunsten des als Pannenfliegers in Verruf gekommenen Nachfolgers Airbus A400 M in die Karten.
Die 1972 gebaute Transall C-160 stammt vom Lufttransportgeschwader 61 in Landsberg-Penzing, dem früheren Stationierungsstandort der taktischen Transportflugzeuge mit der Kennnummer 51-01. Der bayerische Fliegerhorst Penzing wird im Zuge der Ausmusterung der Maschinen von der Bundeswehr geschlossen; voraussichtlich 2024. Im Dezember 2017 setzte die Transall zu ihrem letzten Landeanflug in Ballenstedt an. Es ist die zweite Maschine dieses Typs im Besitz von Clemens Aulich. Die erste steht in Ballenstedt.
„Es wird immer schwieriger, an Flugzeuge zu kommen“, sagt der zweifache Familienvater. In der Sammlerszene, die weltweit vernetzt ist, kenne man sich. „Aber die Industrie möchte mittlerweile nicht mehr, dass Maschinen in den Drittgebrauch gehen. Vielfach werden sie heutzutage eher verschrottet.“ Und selbst? „Ich verkaufe nur sehr, sehr selten.“
Mittlerweile sind es 100 Flugzeuge und Hubschrauber, die Clemens Aulich besitzt. Rund 60 sind in der Ausstellung zu sehen. Der Rest lagert in zwei weiteren Hallen, wo die Maschinen permanent restauriert werden. 18 Mitarbeiter beschäftigt der Braunschweiger mit dem Museumsbetrieb, davon sechs in der Werkstatt. „Wir wechseln unsere Exponate immer mal wieder, damit es abwechslungsreich bleibt“, sagt er.
Seine Zielgruppe seien keine „Technik-Nerds“, wie er betont. „Wir wollen Familien erreichen. Deshalb sollen noch mehr Experimente und Angebote geschaffen werden, die junge Leute an Technik und Aerodynamik heranführen.“
Eine weitere Halle zu bauen, hält er für unnötig. „Niemand kommt, weil zehn Flugzeuge mehr zu sehen sind“, ist er überzeugt. Eins stehe fest: Ein A380 kommt ihm nicht ins Haus.