Christiane Sawilla aus Löderburg hat ihre einzige Tochter durch einen Verkehrsunfall verloren Mit dem Tod ist Sarah zum Engel geworden
Bei einem tragischen Verkehrsunfall bei Schönebeck ist am 31. Oktober 2009 die 21-jährige Sarah Patzelt ums Leben gekommen. Für ihre Mutter brach an diesem Tag die Welt zusammen. Ihr Lebensmittelpunkt ist nun ihre verstorbene Tochter, wie die Löderburgerin betont. In Magdeburg will sie demnächst eine Gruppe für verwaiste Eltern gründen.
Löderburg. Engelfiguren aus Ton säumen die Erde. Hier und da ist ein Herz aus Stein. Rosa Blüten blühen. Friedlich ist es. Beschaulich. Fast schon malerisch. Für Christiane Sawilla ist dieser Ort ein Rückzugsort. Hier tankt sie Kraft. Hier trifft sie sich täglich mit ihrer Tochter. Plaudert mit ihr, tauscht das Geschehene aus, lacht. Lauschig ist es für die Löderburgerin. Hier ruht ihre Tochter. Sarah Patzelt ist am 31. Oktober 2009 bei einem Verkehrsunfall gestorben. Der Wendepunkt im Leben von Christiane Sawilla. Seither ist nichts mehr, wie es einmal war.
"Wir waren alles miteinander", sagt Christiane Sawilla. Als eine normale Mutter-Tochter-Beziehung schätzt sie rückblickend das ein, was sie mit ihrem einzigen Kind erlebt hatte. "Je älter sie wurde", erzählt sie im Plauderton, "und vernünftiger, umso mehr konnten wir miteinander reden."
"Ich wusste gar nicht, was jetzt passiert"
Christiane Sawilla blickt zurück, zurück an jene eine Nacht. Den 31. Oktober 2009 wird die Löderburgerin nicht mehr vergessen. "Das ist der Wendepunkt in meinem Leben", schätzt die 45-Jährige ein. "Abends war Sarah noch bei mir", erinnert sie sich. Sarah hatte schon ihre eigene Wohnung in Staßfurt. Fast täglich hatte sie ihre Mutter in Löderburg besucht. So auch an diesem Abend. Die junge Frau wollte von der Mutter direkt nach Schönebeck fahren, eine Freundin treffen. "Wir haben uns noch ganz normal wie immer verabschiedet", berichtet Christiane Sawilla. "Zum Glück sind wir nicht im Streit auseinandergegangen, das passiert ja auch mal", erklärt sie.
Morgens um fünf Uhr habe die Polizei an ihrer Tür geklingelt. "Ich wusste gar nicht, was jetzt passiert", erinnert sie sich. Die Beamten hatten ihr ein Foto vom Unfallort, von Sarah, gezeigt. "Sarah sah aus wie immer", berichtet sie. "Sie hatte keinen blauen Fleck, nichts."
Der tragische Unfall ereignete sich auf der L69 zwischen Biere und Schönebeck. Auf der Brücke über die A14 überquerten Wildschweine die Fahrbahn. Sarah konnte offenbar nicht mehr ausweichen. Der Wagen drehte sich. In diesem Moment prallte ein Auto aus Richtung Schönebeck mit dem Wagen von Sarah zusammen. Die Polizei vermutet, dass die junge Frau an einem Genickbruch starb. Die Familie in dem anderen Wagen überlebte.
Für Christiane Sawilla bricht die Welt zusammen. Sie bekommt nichts mehr mit. Alles rauscht an ihr vorrüber. Die Löderburgerin kann sich kaum noch an diese Nacht, in der sich alles für sie geändert hat, erinnern. "Ich weiß nur noch, dass mir die Beamten das Bild gezeigt haben. Aber richtig realisiert habe ich das nicht." Stattdessen habe sie funktioniert. "Ich habe alle angerufen", weiß sie noch. Und dann? "Na die Beerdigung, alles musste ja organisiert werden", sagt die sympathische Frau schlicht. Und danach? "Dann kam das große Loch."
Ein Jahr lang sei nichts mehr gegangen, blickt die ehemalige Justizangestellte zurück. "Ich konnte einfach nicht mehr." Sie habe auf der Couch gelegen, am Tisch gesessen. Doch von Leben im eigentlichen Sinn konnte da nicht die Rede sein. "Irgendwann bin ich zur Reha mit Schwerpunkt Trauerarbeit", benennt Christiane Sawilla den Punkt, von dem an es nach und nach bergauf ging. Zurück von der Reha besucht die Löderburgerin eine Gruppe "Verwaiste Eltern" in Magdeburg. Der Austausch mit anderen sei hilfreich, so die Löderburgerin. Den Schmerz lindern, das ginge trotzdem nicht. "Man wird nie richtig damit klarkommen", ist sie überzeugt.
Umso mehr schätzt sie die Arbeit in der Gruppe. "So doof das auch klingen mag, aber man merkt auch, dass es noch schlimmere Schicksalsschläge geben kann", versucht sie zu erklären. "Da war zum Beispiel eine Mutter, deren Tochter wurde vergewaltigt und getötet." Der eigene Verlust wird anhand eines solch schlimmen Beispiels natürlich nicht weggewischt. Vielmehr geht es um das Reden über das Erlebte und das Verarbeiten.
"Sarah hat immer gelacht", beschreibt die Schwarzhaarige ihre Tochter. Lebenslustig sei sie gewesen. "Sie musste auf jeder Party am Start sein."
Auffällig sind die Tätowierungen, die den Körper der Löderburgerin zieren. Christiane Sawilla trägt ein ärmelloses Shirt. Unübersehbar sind die Bilder, die die Frau täglich und überall an ihre Tochter erinnern. Beide Arme sind tätowiert. "Am rechten Oberarm habe ich ein Porträt von Sarah", sagt sie und streicht über die Stelle. Dann streckt sie den rechten Unterarm nach vorn. Ein Schriftzug ist zu erkennen: "Deine dich immer liebende Tochter Sarah." Der Satz ist in einer geschwungenen Schrift dargestellt. "Das ist Sarahs Originalschrift", erklärt Christiane Sawilla. So habe ihre Tochter einmal eine Nachricht unterschrieben, die die Mutter aufgehoben hat.
Mit dem Todestag ist Sarah für Christiane Sawilla ein Engel geworden. "Für uns ist es nun ein Ritual, den Geburtstag und den Engelgeburtstag zu feiern", berichtet die Löderburgerin. Zu diesen Anlässen im März und am 31. Oktober kommen Freunde und Familie bei Sawillas zusammen. "Wir schauen dann gemeinsam Fotos und kurze Videos an", sagt sie. Dann werden auch mal Luftballons vom Friedhof gen Himmel geschickt. Die verwaiste Mutter erinnert sich an einen Moment im Winter. "Ich war mit meinem Mann am Grab", beginnt sie. Eine zarte Träne kullert über die Wange. "Da habe ich gefragt, wie Sarah jetzt wohl aussehen wird." Ihr Mann habe darauf wie selbstverständlich geantwortet: "Na wie wohl. Sie sieht aus wie immer, nur dass sie jetzt zwei Flügel hat." Die Emotionen brechen über Christiane Sawilla herein. Sie weint.
Mehrmals am Tag fährt Christiane Sawilla zum Friedhof. Sie pflegt das liebevoll gestaltete Grab ihrer Tochter. Direkt daneben steht eine kleine Bank. Sie ist pink. "Pink ist Sarahs Lieblingsfarbe", sagt Christiane Sawilla. Das zieht sich bei der Grabgestaltung durch. Rosa Plüschherzen, Kerzen und Blumen. Alles ist nach dem Geschmack von Sarah. Christiane Sawilla fühlt sich wohl hier. Stundenlang kann sie hier sitzen. Dass sie mit ihrer Tochter redet, daraus macht sie keinen Hehl. "Ich muss ihr doch erzählen, was los ist." Es ist normal für die verwaiste Mutter. Und sie ergänzt: "Wir lachen dann auch gemeinsam."
Es scheint so, als lebe Christiane Sawilla nur noch für ihre Tochter. Seit dem 1. Januar ist sie erwerbsunfähig, bezieht eine Rente. Eine Folge des frühen Todes ihres Kindes.
Inzwischen hat die hinterbliebene Mutter ein neues Hobby. Sie malt. Doch auch hier dreht sich alles um ihr Kind. Ein Bild hängt beispielsweise im Wohnzimmer. Es zeigt eine Kerze, die den viel zu frühen Tod ihrer Sarah symbolisieren soll.
Christiane Sawilla will demnächst in Magdeburg eine neue Gruppe für verwaiste Eltern gründen und diese leiten. Erfahrungen weitergeben und von anderen lernen, nicht in Selbstmitleid versinken, sondern weiterleben. So gut es geht weiterleben.