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Antje Schmutzer und Anja Kolbe haben nach der Pleite des Drogeriediscounters den Neuanfang geschafft. Von Andreas Stein Neuanfang: "Erst bei Schlecker, jetzt beim Bäcker"

16.01.2013, 01:22

Vor einem Jahr meldete Deutschlands ehemals größte Drogeriekette Schlecker Insolvenz an. Die Wunden der Pleite sind in Sachsen-Anhalt längst nicht verheilt: Viele alte Filialen stehen leer, 500 Ex-Mitarbeiter suchen immer noch einen Job. Die Volksstimme stellt zwei Frauen vor, die es bereits geschafft haben.

Magdeburg l Petra Friedrich kann den Blick aus dem Fenster ihres Schuhgeschäfts am Markt in Loburg (Jerichower Land) kaum ertragen. Tag für Tag schaut die 60-Jährige auf die leeren Räume der ehemaligen Schlecker-Filiale. Seit der ersten Schließungswelle im März vergangenen Jahres ist der Drogeriediscounter dicht - und seitdem bleibt auch bei ihr die Kundschaft weg. "Das Schlecker-Aus bedroht meine Existenz", sagt Petra Friedrich, die bereits seit 1991 ihr Schuhgeschäft betreibt. Schlecker war der einzige Drogeriemarkt des Möckeraner Ortsteils, viele der 2000 größtenteils älteren Loburger deckten sich hier mit Seife, Strumpfhosen und Zahnpasta ein. Jetzt müssen sie nach Zerbst oder Burg fahren. Petra Friedrich plagen mittlerweile Existenzängste. "Ich baue auf meine Stammkundschaft, aber ob das ausreichend ist, bleibt abzuwarten."

Nach einem Jahr ist klar: Die Schlecker-Pleite hat tiefe Wunden in Sachsen-Anhalt hinterlassen. Gerade in kleinen Städten und Dörfern wie Loburg haben die rund 160 Drogeriefilialen in Sachsen-Anhalt eine wichtige Rolle als Nahversorger gespielt. Nur vereinzelt sind bislang Billigmärkte und Discounter wie Kik, Tedi oder NKD in die Lücken gestoßen - die Masse der ehemaligen Schlecker-Läden steht leer.

"Schade um den schönen Job!"

Nicht viel besser erging es dem ehemaligen Personal: Erst 300 der 783 Ex-Schlecker-Mitarbeiter, zumeist Frauen, haben einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Das entspricht in etwa dem Bundesschnitt. Der Rest absolviere Praktika, Maßnahmen oder eine berufliche Weiterbildung, teilt die Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Halle, mit. Offenbar haben vor allem Frauen jenseits der 50 Probleme, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Mehr Glück hatten Antje Schmutzer aus Angern (Landkreis Börde) und Anja Kolbe aus Löderburg (Salzlandkreis). "Schade um den schönen Job", sagt Antje Schmutzer noch heute, wenn sie an ihre Schlecker-Zeit denkt. 18 Jahre arbeitete die gelernte Bürokauffrau bei der Drogeriekette, zuletzt in Tangerhütte als Filialleiterin und nach der dortigen Schließung bis zum endgültigen Schlecker-Ende im Juni 2012 in Stendal. Früher habe ihr die Arbeit alles bedeutet - das Team war eingespielt, konnte quasi autark arbeiten. Schlecker sei immer ein guter Arbeitgeber gewesen, der pünktlich den Lohn zahlte, berichtet die 41-Jährige. Erst in einem mehrjährigen Erziehungsurlaub habe die Mutter eines drei- und eines vierjährigen Sohnes gelernt, dass es auch ohne Arbeit geht: "Meine Kinder sind wichtiger." Relativ gelassen sah Antje Schmutzer deshalb der Pleite entgegen und stellte sich darauf ein, länger Zuhause zu sein oder eine Umschulung zu machen. Doch der Zufall wollte es anders: Mitte Juli 2012, zwei Wochen nach ihrem letzten Arbeitstag, saß Antje Schmutzer beim Friseur in Zielitz und schnappte auf, dass der Besitzer des Lotto-Ladens nebenan sein Geschäft aus gesundheitlichen Gründen aufgeben wolle. Sie reagierte sofort und fuhr schon am nächsten Tag dorthin, bot dem Besitzer, Lotto und der Post die Übernahme an.

Die Beteiligten wollten, dass es weitergeht und stimmten zu - und nach zwei Schulungen steht Antje Schmutzer seit dem 1. September im Schatten des "Kalimandscharo" in ihrem eigenen Laden, verkauft Briefmarken, Lotto-Tippscheine und Geschenkartikel. Ohne Urlaub arbeitet sie jede Woche von Montag bis Sonnabend. Das sei anstrengend, gesteht die 42-Jährige. "Aber ich lebe dafür." Antje Schmutzer ist eine von nur drei ehemaligen Schlecker-Angestellten in Sachsen-Anhalt, die den Weg in die Selbstständigkeit gewagt haben.

"Es tat weh, im Laden die Regale abzubauen."

Die Löderburgerin Anja Kolbe arbeitet sogar weiter in ihrer alten Schlecker-Filiale - auch wenn die jetzt komplett anders aussieht. Anfang Dezember 2012 öffnete die Bäckerei Stelmecke aus Borne (Salzlandkreis) dort einen Laden mit Café. Im nasskalten Winterwetter ist es der Renner bei den Löderburgern, die rund ein halbes Jahr lang keinen eigenen Bäcker hatten. Und hinterm Tresen steht mit Anja Kolbe ein vertrautes Gesicht. Die meisten Kunden kennt die 41-Jährige aus ihrer Schlecker-Zeit persönlich. Zehn Jahre hatte die gelernte Verkehrskauffrau dort mit viel Herzblut gearbeitet, bis Dezember 2011 der Hammer fiel. "Es tat weh, im Laden die Regale abzubauen", denkt die Mutter von zehnjährigen Zwillingen an die Pleite zurück.

Dann hörte sie im Dorf munkeln, die Bäckerei Stelmecke wolle eine Filiale eröffnen und gab eine Initiativbewerbung ab - mit Erfolg. "Ich bin glücklich. Es war höchste Zeit, wieder rauszukommen", sagt Anja Kolbe. Neue Arbeit am alten Platz - besser hätte es nicht laufen können. "Erst bei Schlecker - und jetzt beim Bäcker!", scherzt sie.

Dass die meisten ihrer ehemaligen Kolleginnen bislang nicht so viel Glück hatten, ist beiden Frauen schmerzlich bewusst. Sie wollen dennoch zuversichtlich in die Zukunft schauen. Antje Schmutzer sagt: "Ich hoffe, dass ich hier bis zur Rente arbeiten kann."