Historische Meldungen aus der Volksstimme Offener Brief an die Mitropa: Bier und Bohnenkaffee für durstige Kinderkehlen?
Es war am Freitag, dem 16. Juli, als ich zwischen 11 und 12 Uhr mit meiner Familie verreisen wollte. Da wir noch etwas Zeit hatten, gingen wir in die Mitropa-Gaststätte Wernigerode, um unseren Durst zu stillen. Das Thermometer zeigte 35 Grad im Schatten an. Durst, Durst, Durst – und das bei den meisten Menschen.
Wie sich aber die Mitropa-Gaststätte auf die seit Wochen anhaltenden extremen Witterungsbedingungen einstellte, erlebten wir dann. Bier und Bohnenkaffee waren im Angebot.
Für mein Kind bat ich um ein Glas Wasser. "Dürfen wir nicht ausschenken", bekam ich als Antwort. Mehrere Familien waren mit ihren Kindern in der Mitropa-Gaststätte, Gruppen aus Kinderferienlangern kamen überhitzt und durstig an.
Die Enttäuschung sprach aus allen Kinderaugen. Manches Kind griff zum Bierglas der Eltern. Täglich verkünden Presse, Funk und Fernsehen die Wetterlage, bemühen sich die Werktätigen in allen Bereichen, der Hitzewelle Herr zu werden.
Daß auch in solchen Tagen einmal alkoholfreie Getränke ausgehen können, ist verständlich, obwohl die Kolleginnen und Kollegen der Getränkeindustrie seit Wochen schon mehr alkoholfreie Getränke bereitstellen als ihr Plan vorsieht. Um so unverständlicher ist es da, daß eine Gaststätte wie die Mitropa, in der Tausende Reisende ihren Durst löschen möchten, in solch einer Situation nicht mitzieht und die Initiative ergreift, die durstigen Kehlen zu befriedigen.
Bei 35 Grad im Schatten stellt niemand mehr Ansprüche an ein bestimmtes alkoholfreies Getränk. Deshalb empfehle ich, es einmal mit einem gekühlten Kräutertee oder Fruchtsaftgetränk zu versuchen und es vor allem den Kindern für ein paar Pfennige anzubieten.
Der Umsatz dürfte wohl in diesem Falle nicht die dominierende Rolle spielen. Außerdem würde in erheblich größerem Maße dem Gesetz zum Schutz der Kinder und Jugendlichen Rechnung getragen.
Und noch eins: Jeder Bürger unseres Staates hat das Recht, auf Wunsch den Objektleiter zu sprechen und nicht wie geschehen, daß die Bitten der Gäste vom Bedienungspersonal negiert und völlig überhört werden.
Eine öffentliche Stellungnahme von der Leitung der Mitropa, wie die Gaststätte Wernigerode die Bemühungen der Werktätigen in der Hitzeperiode mit ihren Mitteln unterstützt hat und künftig unterstützen wird, erwartet im Interesse aller Bürger auf der Lokalseite der "Volksstimme"
Herbert Sengelaub, Abgeordneter der Stadtverordnetensversammlung Wernigerode
Harzer Volksstimme, 22. Juli 1976