Fußball Osterland in Sicht
Der Stendaler Sören Osterland ist jüngster Fußballlehrer Deutschlands und trainiert mit Stefan Effenberg den Zweitligisten SC Paderborn.
Paderborn l In Paderborn kann man wirklich gut leben. Die Stadt in Nordrhein-Westfalen zählt zwar 150 000 Seelen, aber der Verkehr fließt so schön ruhig durch die Straßen und die Blätter fallen so schön langsam von den Bäumen und die Teenager knutschen so schön lange auf den Parkbänken. Paderborn ist Leben in Zeitlupe. „Die Stadt passt in die Kategorie zwischen Stendal und Magdeburg, in zwei Stunden hat man fast alles gesehen“, sagt Sören Osterland, der jüngste Fußballlehrer Deutschlands, der in Stendal geboren und aufgewachsen ist und in Magdeburg studiert und gelebt hat. „Das gefällt mir.“ Genauso wie sein Job in Paderborn: „Von Anfang an hat alles gepasst.“
Bei Osterland ist alles markant. Grundsätzlich geht der 29-Jährige sehr aufrecht, nur den Oberkörper und den Kopf mit dem leuchtend blonden Haar beugt er leicht nach links. So bleibt er auch in weiter Ferne immer in Sicht. Zudem spricht er sehr betont und mit einer tiefen und durchdringenden Stimme. Das macht es dem Spieler leichter, die Philosophie Osterlands zu inhalieren. Seit Oktober inhalieren sie die Spieler des Zweitligisten SC Paderborn.
In den Heimspielen nimmt das beschauliche Paderborn also das Tempo auf, das ihm von Trainer Stefan Effenberg und Co-Trainer Sören Osterland diktiert wird. Für das „Enfant terrible“ Effenberg, Champions-League-Sieger und deutscher Meister mit Bayern München, ist es die erste Trainerstation überhaupt, für Osterland die erste im Profifußball – und damit der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere, die schon während seiner Laufbahn als aktiver Spieler bei Lok Stendal, bei Optik Rathenow, vor allem aber beim 1. FC Magdeburg vor neun Jahren als Co-Trainer der U 17 des FCM begann.
Nicht etwa eine Knieverletzung, wie so oft kolportiert, hat ihn 2010 gezwungen, die Position im zentralen Mittelfeld aufzugeben und endgültig an die Taktiktafel zu wechseln. „Es war meine freie Entscheidung“, betont der junge Mann mit der Abiturnote 1,0. Wie es auch seine freie Entscheidung war, Wirtschaftspädagogik zu studieren. „Es ist eben nicht mein Ding, andere Menschen aufzuschneiden oder zum Mond zu fliegen.“ Osterland sucht die Nähe zu den Menschen. Nur die beziehungsreife Nähe zu einer Lebenspartnerin fehlt ihm derzeit noch.
Auch am ersten November-Dienstag hat er Nähe zugelassen. Nähe zu den Fans, wie er es mag. Mit der Herbstsonne im Rücken stiefelt Osterland über den Trainingsplatz, der in Paderborn den vielsagenden Namen Paderkampfbahn trägt, und verordnet Einlass der wartenden Fans am Eingangstor zur eigentlich nichtöffentlichen Einheit. Letztlich sehen 41 Augenpaare die Angriffsbemühungen ihrer Helden und hören die Anweisungen von Effenberg. „Stefan trifft immer die letzte Entscheidung, aber es ist ein gutes Gefühl, mit ihm gemeinsam darauf hingearbeitet zu haben“, erklärt Osterland.
Er selbst trägt die Taktiktafel, verschiebt Tore, stellt Hütchen auf. Und zuweilen nimmt er filigran Bälle an, passt sie präzise weiter. Aber seine erste Aufgabe ist es, die Gegner zu analysieren und den Matchplan für die Mannschaft zu erstellen. „Das ist annähernd 100 Prozent Osterland“, sagt er zu seinem Anforderungsprofil in Paderborn.
Osterland ist auch ein toller Spieler geworden. „Im Fußball muss man sich aber manchmal nur auf seinen Instinkt verlassen“, erklärt er. Er hat während der 90 Minuten zu viel gedacht, für sich und für andere. „Das hat mich als Spieler weniger vorankommen lassen, als es möglich gewesen wäre.“ Als Trainer aber „kommt mir das zugute, immer zwei, drei Schritte vorausschauen zu können“.
Osterland schloss wie Effenberg 2012 den Lehrgang an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef ab, seither standen die beiden im regelmäßigen Kontakt. „Mein Co-Trainer ist natürlich ein Experte am Laptop. Er hat auch viel für mich geschrieben beim Lehrgang. Hätte ich selber getippt, würde ich heute noch da sitzen“, hat Effenberg bei seiner Vorstellung in Paderborn lächelnd erklärt. Osterland beendete derweil auch diesen Kurs mit der Note 1,0. Als 26-Jähriger. Nie war ein Fußballlehrer in Deutschland jünger. Das Zeugnis, sagt Osterland, „kann man sich an die Wand hängen. Aber es ist nicht von Interesse für die eigentliche Arbeit.“
Seine bisherige Arbeit war nach Verkündung seines Engagements in Paderborn fast ebenso schnell in aller Munde wie die Sensation, dass Effenberg Trainer wird. Die Medien gaben Osterland in den vergangenen Wochen ganz neue Beinamen, über die er schmunzeln kann. Sie lauten zum Beispiel „Gehirn des Teams“ oder „Das Auge“. Er muss lange darüber nachdenken, welchen Namen er sich selbst geben würde –und sagt schließlich: „Letztlich sind keine Titulierungen wichtig, sondern Titel.“ Die hat er noch nicht gewonnen.
Dabei war er schon gut unterwegs in der Welt des runden Leders: Er war ein Jahr lang Assistent von Mehmet Scholl bei der U 23 des FC Bayern München (Regionalliga Süd). Er war bis Juni 2015 zwei Jahre lang Trainer bei der U 23 von Hannover 96 (Regionalliga Nord), bis ihm die Verantwortlichen erklärten, er sei für den Job zu jung. „Mein Lieblingssatz zu diesem Thema ist: Ich bin zu langsam gealtert. Aber als Trainer muss man das akzeptieren, wenn der Verein seine Philosophie ändert.“ Im Sommer ging er nach Ungarn, wurde Scout des dortigen Nationaltrainers Bernd Storck, trainierte selbst die U-19-Auswahl. Sah die Färöer-Inseln, sah Nordirland, lernte eine andere Talenteförderung kennen. „Ich habe in drei Monaten die Erfahrung gesammelt, die ich sammeln wollte.“
Sein Wechsel zurück ist ein Beispiel für die Schnelllebigkeit in dem Geschäft. Osterland landete am 11. Oktober, 19 Uhr, mit dem Flugzeug in Budapest, nach seiner Scouting-Tour in Nordirland. Wenig später lag er „absolut fertig“ im Hotelbett. Dann rief Effenberg an und unterbreitete Osterland das Angebot, mit ihm den gescheiterten Markus Gellhaus in Paderborn zu beerben. Und Ungarn war Geschichte.
Osterland konnte nicht mal seine Eltern Siegrid und Peter, die seine gesamte Karriere unterstützt haben, informieren. „Wichtige Dinge spreche ich mit ihnen ab, aber manchmal muss man sie vor vollendete Tatsachen stellen.“ Wie die Tatsache Paderborn. Endlich Bundesliga. Idealerweise nur drei Stunden Fahrtzeit vom Heimatort Stendal, von der Familie und den Freunden entfernt. Auch Gunnar wird das freuen, obwohl beide wohl eher seltener über Fußball reden. Sein Bruder, ein Polizist, hat nie gespielt – oder wie Osterland lachend erklärt: „Zum Glück hat er es nie versucht.“
Osterland will in Paderborn nicht nur ein Versuch sein. Er will den Mut des Zweitligisten rechtfertigen, wenngleich „ich mir nichts beweisen muss“, sagt er. Nicht nur Osterland ist ein Beispiel dafür, dass sich Clubs auf der Trainerposition immer häufiger verjüngen. Auch Julian Nagelsmann, erst 28 Jahre, der ab der neuen Saison Coach beim Bundesligisten in Hoffenheim wird und bereits mit den A-Junioren der TSG eine Meisterschaft feierte, gehört dazu. „Ich denke schon, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Traineralter gedrückt wurde. Mein Lieblingssatz dazu: Das Alter ist kein Qualitätsmerkmal, sondern der Erfolg“, sagt Osterland. Dennoch: „Ich finde es beachtlich, dass man Julian Nagelsmann die Möglichkeit in Hoffenheim gibt. Darauf bin ich gespannt, und ich wünsche ihm alles Gute.“
Das wünscht Osterland übrigens auch dem FCM. Noch immer hält er den Kontakt zu den Blau-Weißen, schreibt sich Nachrichten mit Sportchef Mario Kallnik oder Trainer Jens Härtel. Auch sie haben ihn zum neuen Posten beglückwünscht, wie Osterland überhaupt aus der Heimat „absolut positive Reaktionen“ erhalten hat, „was mich darin bestätigt, auf dem richtigen Weg zu sein“.
Osterland feiert am 6. Dezember seinen 30. Geburtstag, Dann sind eigene Wünsche gefragt. Wo also sieht er sich in der Zukunft? Er denkt nach. Er erzählt, dass er sich eines Tages eine Rückkehr zu Bayern München vorstellen kann – oder zum FCM. „Magdeburg wäre der letzte Verein, den ich ausschließen würde“, sagt Osterland. „Es wäre schön, wenn man die Karriere planen könnte. Das kann man aber nicht, und deshalb will ich mich nicht festlegen.“ Denn letztlich entscheidet allein der Erfolg, dass Osterland immer in Sicht bleibt.