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Personalproblem Altmärker Ärzte werben Magdeburger Studenten

In Sachsen-Anhalt fehlen Landärzte. Die Uni Magdeburg probiert mit einem Projekt, dagegen anzukämpfen - und setzt auf Praxis.

08.07.2019, 23:01

Osterburg l Das Problem brennt auf den Nägeln: Neue Allgemeinärzte braucht das Land! 140 Hausarztstellen sind aktuell nicht besetzt. Prognosen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) angesichts der Altersstruktur deuten auf eine Verschärfung der Situation hin: Jeder sechste praktizierende Hausarzt in Sachsen-Anhalt ist im Rentenalter, in zehn Jahren werden mehr als 260 Allgemeinmediziner fehlen.

Weil es mit der medizinischen Grundversorgung vor allem im ländlichen Raum düster aussieht, packt jetzt die Universität Magdeburg mit ihrer „Klasse Hausärzte“ das Problem an: Künftig sollen bis zu 20 Studenten ab dem ersten Semester gezielt und praxisnah an die Allgemeinmedizin und eine hausärztliche Tätigkeit herangeführt werden. Das Besondere daran: Jedem Studierenden wird ein Hausarzt als Mentor zur Seite gestellt. Dieser soll ihm im Rahmen der Praxistage die Abläufe in seiner Niederlassung aufzeigen, ihn bei der Arbeit am Patienten anleiten, die Besonderheiten seiner Gemeinde nahebringen und so eine feste Bindung zur Region schaffen.

Das klang auch für Volkmar Schröter und Ingo Ungewickell nach einem guten Plan. Sie ließen sich von der KV nicht lange bitten, das im Oktober startende Uni-Programm zu unterstützen. Für sie war es quasi eine Frage der Berufsehre“, sich als Mentoren zur Verfügung zu stellen. Denn beide sind Hausärzte aus Leidenschaft und Überzeugung.

Überhaupt gibt es auffällig viele Ähnlichkeiten zwischen den Landärzten aus der Altmark: Beide sind in Sachsen-Anhalt geboren, fast gleich alt, haben in Magdeburg Medizin studiert, sind verheiratet, Väter und inzwischen in Osterburg fest verwurzelt. Unisono erklären sie ihren Job auf dem platten Land zum Traumberuf: „Hausarzt in einer ländlichen Region zu sein, ist genau unser Ding.“

Dabei war es mit der Allgemeinmedizin bei beiden keine Liebe auf den ersten Blick. „Die Erkenntnis musste erst langsam im Ausbildungsprozess reifen“, blickt Ungewickell, der eigentlich die chirurgische Richtung einschlagen wollte, zurück. „Aber die Jahre als Assistenzarzt im Krankenhaus haben mir klargemacht: Das ist nicht meine Ding.“ Oft habe er 36 Stunden durchgearbeitet und lange am OP-Tisch gestanden. Das Schlimmste sei gewesen, „dass aufgrund der hohen Schlagzahl kaum Zeit für die Patienten blieb. Das Persönliche blieb auf der Strecke“, so der Ex-Leistungsruderer.

Auch Schröter hatte sich nicht mit der Absicht ins Medizinstudium gekniet, um wie sein Vater Hausarzt zu werden. „Mich hat die Kardiologie gereizt.“ Aber auch hier scheiterten die Illusionen am Krankenhausalltag als Assistenzarzt. „Ist es wirklich das, was ich will“, stellte er die „Fließbandarbeit“ infrage. 2001 ergab sich wie bei Ungewickell ein Jahr zuvor die Möglichkeit, sich in Osterburg als Hausarzt selbstständig zu machen: „Wir hatten beide Glück, in eine etablierte, gut laufende Praxis einzusteigen. Das hat natürlich vieles einfacher gemacht.“

Auch im Kampf um den Nachwuchs sind beide selbst aktiv geworden. Sie stehen seit Jahren dem Universitätsklinikum Magdeburg jeweils als Lehrpraxis für Allgemeinmedizin zur Verfügung. Der Grund: Ihre Zunft ist vom Aussterben bedroht. Nachfolger – selbst in wirtschaftlich erfolgreichen Praxen - sind oft nicht in Sicht, wissen beide. Plakatives Beispiel sei die Landarztpraxis in Werben, im Landkreis Stendal: „Unser Kollege Dr. Rudolf Anton sucht seit Ewigkeiten einen Nachfolger. Um die Versorgung seiner Patienten sicherzustellen, praktiziert er weiter. Mit 79 Jahren wohlgemerkt.“

Aus Sicht der Fachärzte für Allgemeinmedizin haben viele Gründe zum akuten Hausärzte-Mangel in Sachsen-Anhalt beigetragen. „Zu unseren Studienzeiten hieß es, werdet nur nicht Arzt, davon gibt es in Deutschland genug. Oder wenn, geht nach Australien, Neuseeland oder sonst wohin“, so Schröter.Heute sei es umgekehrt und das Geschrei groß. Auch von politischer Seite wurde zu wenig über den Tellerrand geschaut und jahrelang, ähnlich wie bei den Lehrern, am Bedarf vorbei geplant. Hinzu kommen hausgemachte Probleme: Die Allgemeinmediziner haben keinen leichten Stand, werden sie von den „richtigen“ Spezialisten, aber auch von den hohen Gelehrten belächelt.

In ihrer Tätigkeit als Mentoren im neuen Förderprogramm sehen die Osterburger nun die Chance, „Werbung in eigener Sache zu machen“, so Ungewickell. „Es gibt nach wie vor große Vorurteile, die dazu führen, dass die Allgemeinmedizin oder eine Niederlassung als Hausarzt als unattraktiv gelten.“ Die gemachten Erfahrungen zeigen das Gegenteil: „Man ist als Landarzt breit aufgestellt und hat aufgrund der Selbstständigkeit viele Freiheiten. Die Arbeit ist facettenreich, wir decken vieles ab.“ Das Bild der Patienten sei unselektiert, das der Krankheiten bunt gemischt. „Vom Säugling bis zum Greis, vom Schnupfen über Herz-Kreislaufbeschwerden bis hin zum Seelenschmerz - als Hausarzt sind wir erster Ansprechpartner für mehr als 10 000 Menschen in der Stadt und im Umland.“ Auch das Argument der angeblich geringeren Verdienstmöglichkeiten entkräftet er: „Das ist Jammern auf hohem Niveau. Wir verdienen gut.“ Die Masse macht’s.

Auch Schröter („Ich hätte lieber mehr Zeit für die Patienten als mehr Geld“), macht seinen Job dem Mediziner-Nachwuchs schmackhaft: „Auf dem Lande zu arbeiten, ist viel persönlicher, familiärer, sozialer.“ Man kennt sich aus der Nachbarschaft, dem Sportverein, der Kita oder Schule – über Jahre hinweg wird ein Vertrauensverhältnis aufgebaut. „Die Patienten tragen uns, und wir sind jederzeit für sie da.“ Auch wenn das in der Praxis viel Arbeit und mehr Aufwand bedeutet, ergänzt er mit Blick auf einen Einzugsbereich von weit über 1000 Patienten, einem Aktionsradius von 35 Kilometern und weiten Wegen bei den Hausbesuchen. Das ziehe jede Menge bürokratischen Aufwand und nicht selten eine 60-Stunden-Woche nach sich. Doch das gehört nun mal dazu, so Schröter: „Work-Life-Balance hin oder her - das muss man wissen und eben wollen.“

Was sie an ihrer Mentoren-Tätigkeit außerdem reizt, ist die Win-Win-Situation. Ungewickell: „Durch die jungen Mediziner kommt frischer Wind in unseren Alltag. Man hinterfragt den eigenen routinierten Arbeitsablauf und auch seine didaktische Sichtweise.“

Aber auch eigene Ideen würden sie zum neuen Programm gerne einbringen wollen. Zum Beispiel, im Studium künftig betriebswirtschaftliche Dinge mit einfließen zu lassen. „Viele junge Ärzte haben Angst vor dem Schritt in die Selbstständigkeit.“ Das sei normal und nachvollziehbar, sagt Ungewickell mit Blick auf die eigenen Erfahrungen. „Eine eigene Praxis zu führen, war auch für mich anfangs ein Riesenhammer. Denn man führt tatsächlich ein kleines Unternehmen und trage dazu auch noch Verantwortung für seine Mitarbeiter.“

Dennoch könne und wolle er sich gar nichts anderes mehr vorstellen, zieht der 49-jährige Ungewickell eine positive Bilanz: „Als Hausarzt eine eigene Praxis zu übernehmen, ist das Beste, was ich machen konnte. Ich habe es nie bereut.“ Und auch für den ein Jahr jüngeren Kollegen ist es No-Go, in einem Krankenhaus oder medizinischen Versorgungszentrum angestellt zu sein. Selbst eine gut gehende Praxis in einer Großstadt mit weniger Patienten und halbwegs geregelter Arbeitszeit würde ihn nicht reizen: „Es ist gut so, wie es ist. Ich bin mein eigener Herr und würde als Landarzt mit keinem mehr tauschen wollen.“