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Beamte im Streifendienst berichten von zunehmenden Angriffen und fordern höhere Strafen Polizeifamilie: Banges Warten nach jedem Einsatz

Von Matthias Fricke 15.10.2013, 03:12

Burg l In Sachsen-Anhalt wird durchschnittlich mehr als dreimal am Tag ein Polizist im Dienst Opfer einer Straftat. Die Tendenz ist steigend. Zunehmende Aggressionen stellen die Beamten dabei auch im ländlichen Bereich fest. Die Gewerkschaften fordern eine Verschärfung der Strafen.

Der Teekessel pfeift. Susanne Neubert nimmt ihn vom Herd und guckt immer wieder ungeduldig auf die Uhr. Eigentlich müsste ihr Mann Ingo schon lange vom Dienst zurück sein. Der 45-Jährige ist seit 20 Jahren Streifenpolizist im Jerichower Land.

Ihre wachsende Unruhe kommt nicht von ungefähr. In den letzten Jahren haben sich die Meldungen von Übergriffen auf Polizisten gehäuft. Auch ihr Mann wurde schon mehrmals im Dienst verletzt.

"Ich werde mich nie daran gewöhnen. Wenn seine Kollegen mit dem Streifenwagen vorfahren und in Uniform vor unserer Tür stehen, schlägt mir das Herz jedes Mal bis zum Hals. Da mache ich mich auf alles gefasst", sagt sie.

Die Mitarbeiterin einer Medizinfirma hat Angst vor der Nachricht, dass ihr Mann irgendwo verletzt im Krankenhaus liegt. Oder schlimmer noch, gar nicht mehr vom Dienst nach Hause kommt.

"Schon auf der Anfahrt hieß es: Schüsse fallen. Da war bei uns auf Anhieb Stille im Funkwagen." - Ingo Neubert, Polizeiobermeister

Dass diese Sorge nicht unbegründet ist, zeigen immer wieder Attacken auf Beamte im Streifendienst. Nicht irgendwo in Großstädten wie Berlin oder Hamburg, sondern mitten in Sachsen-Anhalt.

Am 5. Juli hat es Neuberts Kollegen aus dem Burger Revier erwischt. Bei der Personalienkontrolle von Randalierern in der Kreisstadt im Jerichower Land schlug einer der Jugendlichen dem 55-jährigen Beamten eine Sektflasche auf den Kopf. Einen zweiten Schlag konnte er noch abwehren. Eine weitere geworfene Flasche in Richtung des angegriffenen Polizisten verfehlte nur knapp den Beamten. Erst als er seine Dienstwaffe zog, flüchteten die Angreifer. Schwer verletzt musste der Familienvater ins Krankenhaus gebracht werden. Er war wochenlang dienstunfähig.

Polizeiobermeister Ingo Neubert ist inzwischen nach seiner Nachtschicht zu Hause eingetroffen. "Es gab ausnahmsweise mal keine Schlägerei. Wir mussten nur viel schreiben", begründet er seiner Frau sein Zuspätkommen.

Es gibt eigentlich kaum eine Situation im Polizeialltag, die ungefährlich ist. "Jeder kleine Familienstreit oder jede gemeldete Ruhestörung hat hohes Gewaltpotenzial", erklärt Neubert. Er erinnert sich an eine solche Situation im vergangenen Jahr: "Es war nur zehn Minuten nach Dienstbeginn. Schon auf der Anfahrt hieß es: Schüsse fallen. Da war bei uns auf Anhieb Stille im Funkwagen. Wir wissen in solchen Fällen nie, wie unser Gegenüber reagiert. Die Angst, den Abzug der Pistole drücken zu müssen, schwingt dabei natürlich immer mit. Das ist das Schlimmste, was einem Polizisten passieren kann." Der Waffengebrauch bestätigte sich an diesem Tag aber zum Glück nicht.

Dafür die Gewaltbereitschaft der drei Frauen und vier Männer in der Burger Wohnung. Sie leisteten Widerstand, schlugen wild um sich. Den Beamten blieb nichts anderes übrig, als ihr Pfefferspray einzusetzen. Es gab ein Handgemenge, bei dem Neubert verletzt wurde. "Ich habe mir einige Bänder in der Hand abgerissen. Zwei Monate war ich dienstunfähig", sagt er.

Der Burger Polizeibeamte beobachtet bereits seit Jahren einen sinkenden Respekt gegenüber den Ordnungshütern und spricht auch über eine immer niedrigere Hemmschwelle.

Neubert: "Wir müssen inzwischen schon aus Gründen der eigenen Sicherheit warten, bis wir eine ausreichende Zahl von Beamten zusammenhaben. Das war früher alles anders."

Sein Chef, Innenminister Holger Stahlknecht (CDU), fordert null Toleranz bei Angriffen auf Polizeibeamte. Er sagt: "Erst vor kurzem stand ich am Krankenbett eines Polizisten. Ich betrachte den Anstieg der Gewalt gegenüber unseren Beamten mit großer Sorge." Eine Strafverschärfung halte er zurzeit aber nicht für erforderlich.

SPD-Innenexperte Rüdiger Erben sieht es ähnlich und meint, dass vor allem die Justiz viel härter durchgreifen muss. "Es kann nicht sein, dass derjenige, der einen Polizisten angreift, milder bestraft wird, als jemand, der eine Privatperson schlägt. Dass ein Polizist Gewalt aus beruflichen Gründen aushalten muss, diese Einstellung muss endlich auch aus den Köpfen der Richter raus." Den Polizeigewerkschaften geht diese pauschale Forderung aber nicht weit genug. Wolfgang Ladebeck von der Deutschen Polizeigewerkschaft: "Wir brauchen einfach eine stärkere Rückendeckung durch die Politik. Es kann außerdem nicht sein, dass solche Gewalttäter nur mit dem Ableisten von Arbeitsstunden und Geldstrafen davonkommen."

Es müsste auch der bloße Angriff auf Polizisten unter Strafe gestellt werden. Zum Beispiel fällt der einfache Wurf mit einer Flasche in Richtung eines Beamten nicht unter den Strafrechtsparagrafen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte". Uwe Petermann von der Gewerkschaft der Polizei: "Das ist aber nötig, wenn man der steigenden Gewalt wirksam begegnen will."

Es sei denn, die Angreifer werden wegen eines anderen Deliktes angeklagt. So sprach das Magdeburger Landgericht einen Demonstranten im Dezember vergangenen Jahres nach einem Flaschenwurf in Richtung der Polizei für schuldig. Allerdings nur, weil er mit einem Schal vermummt war. Es stellte einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar.

Petermann: "In den meisten Fällen kommen die Täter leider davon. Und wenn nicht, dann sind die Strafen oft lächerlich. Hinzu kommt, dass in Sachsen-Anhalt ein Polizeibeamter oft Jahre warten muss, bis die Heilfürsorge bei solchen Unfällen die Kosten erstattet."

Der Burger Polizeiobermeister Ingo Neubert muss jeden Tag erneut ausrücken, ohne zu wissen, was ihn beim nächsten Einsatz erwartet: "Ich trage inzwischen immer meine schusssichere Weste, egal bei welchen Einsatz. Das bin ich vor allem meiner Familie schuldig."