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Prozessauftakt Drei Anwälte für die Mission Freispruch

Halles Oberbürgermeister muss sich wegen Untreue erneut vor dem Landgericht verantworten. Bei einer Verurteilung droht eine Haftstrafe.

Von Alexander Walter 04.05.2017, 20:39

Magdeburg l Bernd Wiegand ist die Öffentlichkeit sichtbar unangenehm. Kaum im Gerichtssaal angekommen, versenkt sich der Hallenser Oberbürgermeister in sein Notebook. Nur wenige Male wird er während der zweistündigen Verhandlung aufblicken. Statt selbst zu sprechen, lässt er lieber seine drei Anwälte reden.

Zum zweiten Mal binnen zwei Jahren muss sich der 60-Jährige seit Donnerstag, 4. Mai, vor einem Landgericht verantworten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Halle lautet auf Untreue. Gleich am ersten Tag seiner Amtszeit im Dezember 2012 soll Wiegand drei seiner engsten Mitarbeiter zu viel Geld zugestanden haben.

Das Landgericht Halle hatte Wiegand in der Angelegenheit 2015 nach 24 Verhandlungstagen freigesprochen. Doch die Staatsanwaltschaft legte Revision ein, der Bundesgerichtshof (BGH) sah Mängel und ordnete die komplette Neuverhandlung in Magdeburg an.

Konkret geht es um Wiegands Büroleiterin sowie zwei Referenten – einst allesamt Unterstützer im Wahlkampf und bis heute im Amt. Bei der Einstellung hatte Wiegand die Vertrauten in die Erfahrungsstufe fünf eingruppiert. Laut Staatsanwaltschaft wäre aufgrund der Eignung der Bewerber aber nur die Stufe 1 korrekt gewesen. Pro Stelle beträgt die Differenz immerhin 1400 Euro monatlich. Der Stadt Halle entsteht nach Ansicht der Staatsanwaltschaft bis 2019 ein Schaden von 290 000 Euro. Wiegand habe seine „Befugnisse missbraucht“, so die Staatsanwaltschaft.

Die Anwälte Wiegands sehen das naturgegeben anders. Zur Begründung nehmen sie sich mehr als eine Stunde Zeit: „Am Vorwurf ist nichts, aber auch gar nichts dran. Das werden wir belegen“, sagt Verteidiger Michael Nagel. Vielmehr hätten anonyme „Feiglinge“ mit ihrer Anzeige gegen den frisch gewählten, parteilosen Oberbürgermeister „alles andere als Demokratie üben wollen“. Es sei der Verteidigung unverständlich, wie Behörden überhaupt auf die Schuldfeststellung kamen. „Manche haben offenbar den Blick für das Maß verloren“, sagt Nagel.

Die Verteidiger argumentieren mit einem Grundsatz kommunalen Wirtschaftens. Ihm zufolge müssen Bürgermeister sich bei Einstellungen zwar an Vorgaben der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit orientieren. Dabei hätten sie aber Ermessensspielraum, betont Anwalt Jan Schlösser. So könnten in die Eingruppierung auch Faktoren wie Mitarbeiter-Motivation und Zufriedenheit einfließen. Die Anwälte untermauern ihre Ansicht mit der Auffassung der Bundesanwaltschaft: Nach dem Freispruch des Landgerichts Halle hatte auch diese beim Revisionsentscheid vorm Bundesgerichtshof Freispruch für Wiegand gefordert.

Der Vorsitzende Richter Gerhard Köneke macht allerdings deutlich: So einseitig ist die Sache nicht. „Alles ist auf null gesetzt. Das hier ist eine kontroverse Geschichte“, sagt er. Im Kern hat das Landgericht die Aufgabe, zu prüfen, ob sich Wiegand an geltendes Tarifrecht hielt. Nur wenn es Schwierigkeiten beim Finden von Personal gegeben haben sollte, gibt es einen Ermessensspielraum. Genau das hatte das Landgericht Halle laut BGH bei seinem Urteil unzureichend berücksichtigt.

Der erste Prozesstag wurde vom Fehlalarm eines Rauchmelders unterbrochen, bei dem das Gerichts-Gebäude geräumt wurde. Angesetzt sind vorerst zehn Verhandlungstage. Bernd Wiegand will sich am zweiten Prozesstag, Freitag, 5. Mai, zu seinem Vorgehen äußern. Im Fall einer Verurteilung drohen bis zu fünf Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Bereits ab einer Strafe von einem Jahr müsste Wiegand nach geltendem Beamtenrecht aber seinen Posten räumen.