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Rechtes TreffenKollektives Nicken in der Opferecke

Mehr als 200 Gäste haben an einer als Klima-Konferenz deklarierten Veranstaltung in Magdeburg teilgenommen. Die Volksstimme war auch dabei.

17.11.2019, 23:01

Magdeburg l „Rechts oder links? Nicht, dass das eine Gewissensfrage wäre, aber....“ Der Mann, der die pinken Papierarmbänder für geladene Gäste verteilt, schwelgt im eigenen, siegessicheren Lachen. Eine Antwort ist nicht notwendig. Das weiß auch die ältere Frau aus Genthin und beugt sich vertraut zu ihm rüber. „Da müssen wir doch nicht lange überlegen.“ Kurzer Schulterklapps. „Links war ich früher lange genug.“ Rechter Arm raus. Pinkes Armband angelegt. Beide freuen sich.

Ich ernte an der Tageskasse auf meine aufgesetzt naive Frage, ob es noch Karten gebe, ein kantiges „Ja“. Das mache 70 Euro – plus Name, Anschrift und Telefonnummer. Skepsis. Die Frau mit den braunen Locken fragt sich offensichtlich, was ich hier wolle. Der ausgebuchte Saal wird dominiert von Männern zwischen 50 und 70 Jahren, gefolgt von Frauen dieser Altersschicht und jungen Männern. Meine Sozialgruppe – jung, weiblich – ist bei der als Klima-Konferenz deklarierten Veranstaltung eher die Exotin.

Das gilt nicht für die AfD. Parlaments-Geschäftsführer Robert Farle sowie die Bundestagsabgeordneten Jan Nolte, dessen Frau bei CompactTV arbeitet, und Martin Hohmann, werden von Chefredakteur Jürgen Elsässer als Ehrengäste begrüßt.

Auch André Poggenburg wird erwähnt. Im politischen Alltag als fraktionsloser Einzelkämpfer kaum noch wahrgenommen, drehen sich die Leute hier zu ihm um, zeigen auf ihn, bitten um Selfies. Hier fühlt sich der Patriot wohl.

Nachdem Elsässer alle Ergebnisse der letzten Landtagswahlen heruntergebeten hat, sagt er das, was seine Gäste hören wollen: „Die blaue Welle rollt auch in Sachsen-Anhalt und das ist gut so.“ Applaus. Da draußen hätte es einen Umzug der Greta-Jugend gegeben, merkt er an und meint damit die rund 300 Menschen, die an der Demo der Kampagne „Keine Bühne für neue Nazis“ teilgenommen haben. „Aber die Beteiligung hielt sich doch in Grenzen, meine Damen und Herren, denn wir sind hier im Osten und der Osten bleibt Deutsch“, verkündet Elsässer wie ein Prediger zu seinen Gläubigen. Ein Satz, der sich jeder Logik entzieht. Aber das stört niemanden. Tosender Applaus.

Elsässer weiß, wie er die Massen erreicht. Seine Massen. Früher linksradikal, gilt er mit seinem Magazin heute als einer der wichtigsten Medienkanäle der Neuen Rechten. Er emotionalisiert, stellt „Compact“ gern in die Opferecke, um dann an das „wir“-Gefühl seiner Zuhörer zu appellieren und den Gerechtigkeitssinn heraufzubeschwören. Die Inhalte seiner Aussagen sind wie kleine Knallerbsen: Kaum was drin, aber laut genug, um die Masse kurz zum Aufschrecken und kollektiven Nicken zu bewegen.

Michael Limburg eröffnet die Runde. Das Gründungsmitglied von EIKE, ein eingetragener Verein, der sich als Institut bezeichnet, aber nicht wissenschaftlich publiziert, gilt als bekannter Leugner des menschengemachten Klimawandels. Der Treibhauseffekt sei ein „irreführender Marketinggag“ und CO2-Erzeugung solle belohnt werden. Limburg erhält für seine Thesen, die von alten wissenschaftlichen Experimenten eher mit Mühe getragen und an zwei große weiße Leinwände projiziert werden, ähnlich viel Zustimmung wie Holger Strohm. Der hätte hier früher nicht reingepasst. Ein Segen für Elsässer. Strohm sei der Öko-Aktivist, der mit dem Buch „Friedlich in die Katastrophe“ die Geburtsbibel der Antiatom-Bewegung geschrieben habe, „aber jetzt auf unserer Seite ist“. Wie jeder vernünftige Mensch, so Elsässer, gelte Strohm heute als Rechter.

Und der spricht darüber, dass der Umweltschutz für wirtschaftliche Interessen missbraucht werde und zitiert viel aus einem Buch von Rainer Mausfeld. Leicht verdientes Geld. Auch sein Freund Dirk Fleck, Autor des Buches „Öko-Diktatur“, darf anschließend noch aus Uni-Vorträgen von 1994 vorlesen. Bevor er Limburgs Vortrag als „zu billig“ kritisiert, da der Wissenschaftsstreit so alt sei wie die Wissenschaft selbst und er zahlreiche Studien nennen könne, die gegen Limburgs Thesen sprechen, atmet er tief ein. Wohlwissend, dass Kritik nicht erwünscht ist. Elsässer wird wenige Minuten später sagen, er sei natürlich näher bei Herrn Limburg und teile den ökologischen Katastrophismus nicht, „aber wir, wir vertreten die Vielfalt.“ Der Gönner der Demokratie.

Es folgt: Oliver Hilburger. Das Gründungsmitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“ ist auch Gründer der Mini-Gewerkschaft „Zentrum Automobil“, die bei Daimler elf von 755 Betriebsratsmitgliedern stellt. Vor wenigen Monaten sprach Thüringens Verfassungsschutz-Präsident Stephan Kramer im „Handelsblatt“ von einer langfristigen Strategie der rechten Arbeitnehmervertreter, um rechtspopulistisches Gedankengut zu verbreiten. Hilburgers „Vortrag“ ist eine Aneinanderreihung gewerkschaftsfeindlicher Parolen. DGB und IG Metall. „Da gibt es keinen Unterschied zwischen Antifa, linksextrem und Gewerkschaften.“ Belege liefert er nicht. Dafür appelliert er am Ende an die AfD, die „Gärungsprozesse“ innerhalb der Partei zu beenden und deutet an, dass die Bundesspitze wohl dafür verantwortlich ist, dass Dirk Spaniel nicht wie angekündigt referiert.

Dazu schweigt Elsässer. Er entlässt seine Gäste lieber in die Pause. Bevor dann der von ihm als „Rudi Dutschke des patriotischen Lagers“ angekündigte Martin Sellner, Sprecher der Identitären Bewegung Österreich, die Laudatio für den offen rechten Rapper Chris Ares halten darf. Zeit zu gehen.