1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Regionale Kultur
  6. >
  7. Büchermassen in Bananenkisten

EIL

Peter-Sodann-Bibliothek in Magdeburg Büchermassen in Bananenkisten

Seit 30 Jahren sammelt der Schauspieler Peter Sodann (85) Literatur, die zu DDR-Zeit erschienen ist. Hunderttausende Bücher zählt die Bibliothek mit Stammsitz im sächsischen Staucha. Auch in Magdeburg stapeln sich die Bücher.

Von Grit Warnat 21.07.2021, 18:34
Alles wird gesammelt: Von Grimms Hausmärchen über Honoré de Balzac bis zur proletarischen Jugendbewegung.
Alles wird gesammelt: Von Grimms Hausmärchen über Honoré de Balzac bis zur proletarischen Jugendbewegung. Foto: Uli Lücke

Magdeburg - Bananenkisten über Bananenkisten, jede randvoll gefüllt mit Büchern, stapeln sich in einer großen Lagerhalle im Magdeburger Ortsteil Buckau. Nebenan, einige Treppen geht es nach oben, immer noch Kartons über Kartons. „Hier ist schon alles sortiert“, sagt Mario Rietz. Handschriftlich sind auf Zetteln die Verlage vermerkt: Aufbau, Kultur und Fortschritt, Volk und Welt, Neues Leben, Mitteldeutscher Verlag. Es waren damals die Großen der Branche, mehr als 200 Verlage gab es in der DDR. Etliche haben die Nachwendezeit nicht überlebt.

Wenig später sitzt Rietz im Büro, nur wenige Meter entfernt vom Lager. Vor ihm: Bücher. Auch hier Bananenkisten. Cover liegen obenauf, die der zu DDR-Zeiten eingefleischte Leser sofort erkennt: Bände der Universal-Bibliothek von Reclam und der Taschenbibliothek der Weltliteratur, einst vom Aufbau-Verlag herausgegeben, Abenteuer von Casanova und Jules Verne.

Das Sichten ist eineMammutaufgabe

Nicht nur, was auf, sondern einst auch unter dem Ladentisch verkauft wurde, landet hier im Lager. Hermann Kant, Michail Scholochow, Brigitte Reimann, Honoré de Balzac, Jack London, William Faulkner liegen zwischen Geografie-Schulbüchern und russischer Grammatik. Politische Ökonomie neben schön illustrierten Kinderbüchern. Vor allem Haushaltsauflösungen lassen die Bibliothek stetig wachsen.

„Das ist eine Mammutaufgabe“, sagt der Schönebecker Rüdiger Gröber mit Blick aufs Sichten, Ordnen, Katalogisieren. Gröber gehört wie Rietz zu fünf ehrenamtlichen Mitstreitern der Peter-Sodann-Bibliothek in Magdeburg. Seit Juni 2019 gibt es in der Landeshauptstadt eine Außenstelle. Dem Lager folgte die Bücherkiste, ein Antiquariat im Stadtzentrum. Das öffnete im Herbst 2020 mit viel Politprominenz, schloss lange wegen der Pandemie und startete vor wenigen Tagen wieder für Leser – und für jene, die Bücher abgeben wollen.

Manche Woche kommen Hunderte Bücher neu hinzu. Deren Zustand muss gecheckt, der Computer bedient werden. Die Masse ist schwer zu bewältigen. Es geht Schritt für Schritt. Autor, Titel, Verlag, Ausgabe. In Staucha landen zwei Exemplare einer Erstausgabe.

Als Bücher auf demMüll landeten

Im kleinen Ort bei Meißen ist der Stammsitz der DDR-Bibliothek des Peter Sodann. Sodann, viele Jahre Theaterchef in Halle und einem breiten TV-Publikum als „Tatort“-Kommissar Bruno Ehrlicher bekannt, hat sie gegründet, um für nachfolgende Generationen zu erhalten, was in DDR-Verlagen zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Fall der Mauer erschienen war.

Der heute 85-Jährige hat gerade wieder in einem Fernsehbeitrag bei MDR betont, dass er es nicht ertragen konnte, dass mit dem Ende der DDR Bücher auf dem Müll landeten.

Sodann hat schon immer polarisiert, auch mit seiner Büchersammlung. Bei einem Besuch in Magdeburg sagte er einmal, wenn man diese Bücher wegwerfe, werfe man die Vergangenheit weg. Als Ostalgiker wird er dafür von einigen belächelt.

Wie viele Bücher es mittlerweile sind, weiß wohl niemand. Auf der Homepage werden rund vier Millionen genannt. In Magdeburg ist nicht mehr viel Platz im Lager. Wenn man Bilder aus Staucha sieht, ist man erstaunt über die Buchmassen, die wohlsortiert in nicht enden wollenden Regalen stehen.

Im restaurierten Gut gibt es einen Buchladen und eine Bücherscheune. Zu lesen ist dort in großen Lettern: „In den Bananenkisten des Westens schlummert das Wissen des Ostens.“

In Magdeburg schiebt Rüdiger Gröber auf einer Sackkarre noch eine buchrandvolle Bananenkiste vor das Büro. „Weggeworfen wird nichts“, sagt Karin Macholl, leidenschaftliche Leserin, wie alle anderen auch, die sich hier ehrenamtlich engagieren und die 2017 von Sodann gegründete gemeinnützige Genossenschaft unterstützen.

Die Arbeit wird nicht weniger. Aus Hannover sollen 20 Kisten kommen. „Keiner wollte sie dort haben“, sagt Rietz, schaut über Bücher hinweg und meint: „Natürlich nehmen wir sie.“