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Nordharzer Städtebundtheater „Im Weißen Rössl“: Alpen-Klischees und schräge Typen

In Quedlinburg hat jetzt auch das „Weiße Rössl“ wieder geöffnet. Das Nordharzer Städtebundtheater hat sich mit Ralph Benatzkys Erfolgsstück zurückgemeldet.

Von Joachim Lange Aktualisiert: 07.06.2021, 10:01
Am Samstag hat sich das Nordharzer Städtebundtheater in Quedlinburg mit dem Stück "Im Weißen Rössel" bei seinem Publikum zurückgemeldet.
Am Samstag hat sich das Nordharzer Städtebundtheater in Quedlinburg mit dem Stück "Im Weißen Rössel" bei seinem Publikum zurückgemeldet. Foto: Ray Behringer

Quedlinburg - Sie spielen wieder! Weil sie es wollen. Und weil sie es wieder dürfen. Zwei Neuproduktionen sind startklar. Das Nordharzer Städtebundtheater mit seinen Spielstätten in Halberstadt und Quedlinburg hatte schon in der ersten Lockdown-Pause mit einem Feuerwerk von Premieren geglänzt und so ganz altmodisch analog den Kontakt zu seinem Publikum gehalten.

So selbstverständlich, wie man denken könnte, ist das keineswegs. In Halle etwa, der Händel- und gerne sich selbst so nennenden Kulturhauptstadt Sachsen-Anhalts, bleibt die Oper mit regulären Produktionen – warum auch immer – nach wie vor in der Versenkung verschwunden. Zumindest für ihr Publikum. An der Saale war man nicht mal in der Lage, einen Beitrag zu den digitalen Händelfestspielen beizusteuern.

Während dort also – abgesehen von ein paar Freiluftgalas – bis Spielzeitende im Hof der Moritzburg Opernwindstille herrscht, weht im Nordharz ein frischer Wind! Das viel kleinere Zweistädtetheater und sein noch viel kleineres Orchester nutzen ganz selbstverständlich die neuerliche Öffnungschance, um mit neuen Produktionen wieder vor Publikum zu spielen.

Stück voller schräger und liebenswerter Typen

In Quedlinburg jetzt sogar mit dem passenden Stück fürs pandemiegebeutelte Zuschauergemüt: Ralph Benatzkys „Im Weißen Rössl“. Natürlich wiehert dieser Gaul über einer echten Schmonzette. Alpenblick- und Salzkammergutklischees en masse.

Schräge, aber liebenswerte Typen im Hotel – mit allen Liebeshändeln, die sich anbieten. Der Zahlkellner Leopold und Wirtin Josepha. Der Rechtsanwalt Dr. Siedler und die Fabrikantentochter Ottilie. Und die Gelehrtentochter Klärchen und Jungunternehmer Sigismund, mit dem Beinamen der Schöne. Da darf dann auch der Kaiser persönlich nicht fehlen und ein paar Lebensweisheiten fürs Gästebuch beisteuern.

Diese ziemlich übercolorierte Kitschpostkarte hat einen Vorteil: Die Musik zündet. Da löst ein Hit den anderen ab. Allesamt gut verankert im kollektiven Gedächtnis zumindest des Operettenpublikums. Dabei stammen gar nicht alle von Benatzky.

„Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ und „Die ganze Welt ist himmelblau“ hat Robert Stolz, den Hit vom schönen Sigismund Robert Gilbert beigesteuert. Was Eric Charell da 1930 mit seiner Revue-Operette fürs Berliner Schauspielhaus zu Wege gebracht hat, war ein Senstationserfolg, dem auch die Verbannung, in die die Nazis das Stück wegen der beteiligten jüdischen Künstler schickten, auf Dauer nichts anhaben konnte.

Nicht zuletzt wegen weichgespülter Kinoversionen in den 50ern mit Johannes Heesters und in den 60ern mit Peter Alexander. Einen echten ernsthaften Erneuerung steuerte die Berliner „Bar jeder Vernunft“ 1994 bei. Im Kammerspielformat und mit Starbesetzung von Max Raabe über Otto Sander bis zu den Geschwistern Pfister.

Aber mal ehrlich: Wer würde nicht gerne das Balkonzimmer mit Seeblick nehmen, auch wenn der herrliche Blick als Kitschpostkartenmotiv gilt? Und wer würde da nicht selber ein paar Selfies mit dem Handy machen?

Regisseurin verzichtet auf Neuinterpretationen

In Quedlinburg versuchen Regisseurin Birgit Kronshage und Ausstatterin Sabine Lindner denn auch gar nicht erst, Neudeutungs-Ehrgeiz zu entfalten. Sie (und Choreographin Julia Morawietz) achten in der Personenführung auf Abstand und bauen das Gebot dazu dezent augenzwinkernd mit ein. Jan Rozehnals Chor ist zwar in der Größe überschaubar, wird aber dadurch zu einem Ensemble von spielfreudigen Solisten.

Und dann nimmt man es heutzutage ja schon als souveräne Ironie wahr, wenn aus dem ins Balkonzimmer zeitweise eingesperrten Dr. Seidler eine österreichische Quarantäne für den Südkoreaner Max An wird. Oder, dass das „Zigeunerschnitzel“ noch nicht von der Speisekarte verschwunden ist.

Auch sonst belassen sie im Nordharz die Kirche im Dorf, sprich den gemalten Kulissen ihr Alpenformat, dem Wolfgangsee das klare Badewasser und dem Balkon den Seeblick. Also dem Publikum das Vergnügen eines Ausflugs in die Idylle.

Bei der Pointe, den Kaiser (Gijs Nijkamp) nur im Traum Josephas auftauchen zu lassen, ließe sich zwar eine Handbreit mehr von psychologisch durchschlagendem Witz denken. Etwa, wenn ihr Leopold als Kaiser erscheinen würde. Aber was soll’s.

Spielfreude des Ensembles zündet

Die Spielfreude des Ensembles zündet. Musikalisch stellt sich auch die Balance zwischen Graben und Bühne schnell ein. Bettina Pierags hält als souveräne Rösslwirtin ihren Laden höchst glaubwürdig zusammen. Michael Rapke hat für seinen Leopold eine so angenehm gemäßigtes Österreichisch bereit, wie Klaus-Uwe Rein seinen Wilhelm Giesecke mit maßvollem Berliner Genöle immer kurz vor der Knallcharge rettet.

Maximiliane Schünemann als seine Tochter Ottilie ist die jugendliche Frische in Person. Thea Rein ein wunderbarer Piccolo, den man bei der Beförderung wohl einfach jahrzehntelang vergessen hat. Tobias Amadeus Schöner ergänzt seinen bürgerlichen Namen mit einem originellen Sigismund samt Bauch und Glatze. Allesamt inklusive der spielfreudigen (Chor-)Besucher im Rössl lassen sich mit Lust auf ihre Typen ein.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil Fabrice Parmentier im Graben die Hitmechanik mit seinen Harzer Sinfonikern wie geschmiert am Laufen hält.

Das (immer noch umständehalber) ausgedünnte Publikum simulierte nach jedem Hit und am Ende mit seinem Beifall einen vollen Saal!