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Am 15. November 1923 begann in Deutschland die Ausgabe der Übergangswährung / Umtauschkurs 1:1 Billion Mark Das Wunder der Rentenmark und das Inflations-Trauma

Inflation ist ein deutsches Schreckgespenst. Deutschland vor 90 Jahren:
Die Währung liegt am Boden, die Preise steigen ins Uferlose. Es
herrschen Hunger und Elend. Die Regierung zieht die Notbremse.

14.11.2013, 01:08

Berlin (dpa). Es ist ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingraben. Im Krisenjahr 1923 erreicht die Inflation unvorstellbare Ausmaße. Die Notenpresse läuft Tag und Nacht. Die Preise explodieren. In Wäschekörben tragen die Menschen nahezu wertlose Geldscheine in die Läden. Ein Brot kostet 105 Milliarden Reichsmark, ein Straßenbahnticket 150 Milliarden Mark, ein US-Dollar 4,2 Billionen Mark. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast 25 Prozent, das soziale Elend nimmt zu. Deutschland steht vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Dann aber kommt eine Währungsreform, die Historiker als "Wunder der Rentenmark" bezeichnen.

Die Vorgeschichte: Nach dem Ersten Weltkrieg hat die junge Weimarer Republik gewaltige finanzielle Probleme. Um den Krieg zu finanzieren, hatte Deutschland massiv Schulden aufgenommen. Dazu kommen nach 1918/19 immense Reparationszahlungen. Vor einem radikalen Sparprogramm scheut die Politik angesichts der instabilen politischen und sozialen Lage zurück. Der Ausweg: Immer neue Staatsschulden. Die Notenpresse wird angeworfen. Die Geldmenge steigt, das Risiko einer Inflation nimmt stetig zu.

Dann kommt das Krisenjahr 1923. Die Lage verschärft sich: Anfang des Jahres besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, weil Deutschland mit Reparationslieferungen im Rückstand ist. Die Kohle- und Koksproduktion im Revier soll als "Pfand" gesichert werden. Die Arbeiter treten in einen "passiven Widerstand", die Regierung zahlt ihnen die Löhne weiter - das Geld kommt direkt aus der Notenpresse. Die wirtschaftliche Lage wird immer schlechter. Politische Unruhen erschüttern die Republik, es gibt kommunistische Aufstände, in München scheitert am 8. November der Hitler-Putsch. Der jungen Republik droht ein Bürgerkrieg.

Der Verfall der Währung geht ungebremst weiter. Die Löhne werden täglich ausbezahlt, die Firmen karren das Geld mit Lastwagen heran. Nur Stunden nach Erhalt der Lohntüte ist ihr Wert oft schon halbiert. "Die Mark rutschte, fiel, überstürzte sich, verlor sich im Bodenlosen", schreibt der Schriftsteller Max Krell. "Städte, Fabriken, Handelsunternehmen (...) ließen Milliardenflocken auf die Straßen schneien." Die Preise steigen auf astronomische Höhen. Mitte November 1923 kostet ein Kilo Roggenbrot 233 Milliarden Mark, ein Kilo Rindfleisch 4,8 Billionen.

Die Löhne können dem Anstieg der Preise für Waren nicht folgen. Erspartes wird über Nacht vernichtet. Immer mehr Bauern weigern sich, ihre Produkte gegen Geld zu verkaufen. Nahrungsmittel werden knapp. Künstler wie Käthe Kollwitz und George Grosz malen hungernde Menschen.

Als der US-Dollar schließlich bei knapp 4,2 Billionen Mark steht, handelt die deutsche Politik. Am 15. Oktober 1923 unterschreiben Reichskanzler Gustav Stresemann und Reichsernährungsminister Hans Luther die Verordnung über die Errichtung einer Deutschen Rentenbank. Der Grundbesitz von Landwirtschaft, Industrie und Gewerbe wird mit einer Hypothek von 3,2 Milliarden Rentenmark belastet. Am 15. November beginnt die Ausgabe der Rentenmark - als Übergangslösung und mit einem Umtauschkurs von einer Rentenmark zu 1 Billion Mark.

Zugleich wird die Notenpresse stillgelegt. Die Rentenbank gibt dem Reich keine Kredite mehr. Es kommt zu drastischen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen. Zehntausende Staatsbedienstete werden entlassen. Der Wechselkurs stabilisiert sich, die Hyperinflation wird gestoppt. Die Bevölkerung nimmt die Rentenmark an.

"Die Rentenmark war nicht wirklich materiell unterfüttert"
Prof. Werner Abelshauser, Universität Bielefeld

Experten sehen als Grund vor allem eins: Vertrauen. Denn die Rentenmark sei nicht wirklich materiell unterfüttert gewesen, sagt der Wirtschaftshistoriker Prof. Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld. Der ihr zugrundeliegende Landbesitz der Wirtschaft sei schließlich nicht mobilisierbar gewesen. "Ihre Stabilität verdankte sie allein der Bereitschaft aller Beteiligten, sie für stabil zu halten."

Der Erfolg der Rentenmark lag vor allem daran, dass direkte Kredite der Reichsbank ans Reich unterbunden wurden, sagt Prof. Ulrich Pfister vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Münster. "Der Staat durfte weniger ausgeben." Acht Monate lang dauert die Übergangszeit. 1924 dann wird wieder eine durch Gold und Devisen gedeckte Reichsmark eingeführt. Die Goldenen Zwanziger Jahre beginnen.

Geboren aber ist das Trauma der Inflation. Die Hyperinflation der 20er Jahre sowie die Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg fließen als Erfahrungen maßgeblich in die Gründung der Bundesbank mit ein. Geldwertstabilität wird die vorrangige Aufgabe der 1957 gegründeten Notenbank - wichtige Eckpunkte gehen später in die Europäische Währungsunion ein.

"Die Angst vor Inflation gehört zur deutschen DNS"
Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI)

Die Inflationsraten in der Bundesrepublik sind - mit Ausnahmen Anfang der 70er und Anfang der 90er Jahre - moderat geblieben. Aber: Die Hyperinflation von 1923 habe sich "tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben", sagt der Ökonom Prof. Max Otte von der FH Worms. "Sie sind ja nachher auch noch mehrfach um ihr Erspartes gebracht worden: 1948, dann in der ehemaligen DDR 1989." Abelshauser spricht von einer "Inflationsphobie" der Deutschen. Eine "harte Währung" zähle zur deutschen Wirtschaftskultur.

"Die Angst vor Inflation gehört zur deutschen DNS", schrieb der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Professor Thomas Straubhaar, unlängst in der Zeitung "Welt". Dabei sei Inflation momentan kein Thema - angesichts einer Inflationsrate von aktuell 1,2 Prozent.