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Landessozialgericht spricht im aktuellen Jahresbericht von Personalmangel an Sozialgerichten / 35000 unerledigte Verfahren Rekord mit 26000 Sozialklagen: Zwei von drei Klagen zu Hartz IV

Von Silke Janko 16.06.2011, 06:35

Bei den drei Sozialgerichten Sachsen-Anhalts ist im vergangenen Jahr eine Rekordzahl von Sozialklagen eingegangen. Zwei Drittel der 26000 Neueingänge betreffen Hartz-IV. Wegen der hohen Arbeitsbelastung der Richter sind derzeit 35000 Klageverfahren nicht entschieden.

Halle. Fast jeder 90. Sachsen-Anhalter hat 2010 eines der drei Sozialgerichte in Magdeburg, Halle und Dessau-Roßlau angerufen, heißt es im Jahresbericht des Landessozialgerichtes Sachsen-Anhalt. Insgesamt gingen bei den Sozialgerichten 26000 Klagen ein, so viel wie nie zuvor. Zwei von drei Neueingängen betreffen allein die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV). Das ist bundesweit eine der höchsten Quoten. Im Streit zwischen den Arbeitsagenturen und den Hartz-IV-Empfängern geht es vor allem um die Kosten der Unterkunft (Angemessenheit der Wohnfläche), um Rückforderungen gegen die Hartz-IV-Empfänger und Sanktionsmaßnahmen (ob eine Tätigkeit zumutbar ist).

Der Präsident des Landessozialgerichtes, Erhard Grell, spricht zwar von einer leichten Entspannung - weil der jährliche Zuwachs der Klagen mit knapp fünf Prozent nicht mehr so hoch wie in den Rekordjahren 2007 (plus 23 Prozent) und 2008 (plus 19 Prozent) ist. Dennoch hat sich seit 1994, innerhalb von 17 Jahren, die Zahl der Klagen verfünffacht.

Obwohl die Zahl der Richter an den drei Sozialgerichten von 54 im Jahr 2008 auf derzeit 63 aufgestockt wurde, reicht der Personalbestand nicht aus, um die Klagen abzuarbeiten. Daher sei die Zahl der unerledigten Verfahren ebenfalls auf einen Rekordstand von 35000 gewachsen. Grell sieht aus diesem Grund auch das Vertrauen der Bürger in die Sozialgerichte gefährdet.

99 Richter an den Sozialgerichten

"Wir sind bemüht, die Situation zu entschärfen", erklärte Ute Albersmann, Sprecherin des Justizministeriums in Magdeburg. Von den derzeit 99 Richtern in der Sozialgerichtsbarkeit (in den drei Sozialgerichten und im Landessozialgericht in Halle) waren sieben im Jahr 2010 auf Probe eingestellt worden. Weitere zwei Bedienstete aus der Landesverwaltung wurden als Richter für die Sozialgerichtsbarkeit gewonnen.

Wegen der Klageflut müssen die Kläger, die beispielsweise zu Bescheiden von Arbeitsagenturen, Rententrägern, Krankenkassen oder Sozial- und Versorgungsämtern eine gerichtliche Klärung suchen, daher immer länger auf eine Entscheidung des Sozialgerichts warten. Derzeit beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer 15,4 Monate, 2008 war sie noch rund zwei Monate kürzer (13,1 Monate).

Dabei, so stellten die Sozialrichter fest, hatten die klagenden Versicherten bzw. Leistungsberechtigten in fast jedem zweiten Verfahren (47 Prozent) ganz oder teilweise Recht erhalten. Bei strittigen Fragen zwischen Arbeitsuchenden und Jobcenter/Arge liegt die Erfolgsquote für die Kläger sogar bei 52 Prozent, allerdings mit abnehmender Tendenz. Vor drei Jahren lag die Erfolgsquote sogar bei 58 Prozent.

Dagegen fallen die Streitigkeiten zu anderen Sozialrechtsfragen, beispielsweise zur Rente, nur zu 40 Prozent für den Kläger aus.

Entspannung erhofft man sich von einer Pauschgebühr, die die beklagten Arbeitsagenturen als beklagte Prozessgegner künftig zahlen sollen. Die Verfahren für die Kläger sollen weiterhin kostenfrei bleiben. Bisher waren die Arbeitsagenturen von der Gebühr in Höhe von 150 Euro (auf Ebene der Sozialgerichte) befreit. "Wir begrüßen das Vorhaben ausdrücklich", erklärte Dirk Hüntemeyer, Sprecher des Landessozialgerichtes. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass die Jobcenter bzw. Arbeitsagenturen überflüssige Streitigkeiten mit den Arbeitsuchenden vor Gericht vermeiden. Über die Einführung dieser Pauschgebühr wird seit Jahren gestritten, ihre Einführung vorerst nicht in Sicht. Widerstand gibt es vor allem von den Arbeits- und Sozialministern, weil auf die Arbeitsagenturen in Deutschland weitere Kosten in Millionenhöhe zukommen würden.