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Sachsen-Anhalt Für Justizministerin wird es eng

Nach Ausbruchsversuch des Attentäters Stephan B.: Brisante E-Mail aufgetaucht.

Von Michael Bock 17.06.2020, 19:37

Magdeburg l Eigentlich wollten Ministerin Keding und ihr Staatssekretär Hubert Böning (beide CDU) am Mittwoch die Wogen glätten. Sie hatten die Rechtspolitiker der Koalitionsfraktionen für 11 Uhr zu einem Videochat eingeladen, um Rede und Antwort zu stehen zum Ausbruchsversuch des Halle-Attentäters. Doch aus dem erhofften Befreiungsschlag wurde nichts. Im Gegenteil: Nach dem etwa zweistündigen Austausch rücken Vertreter der Koalitionsfraktionen zunehmend von der Ministeriumsspitze ab.

Es seien weitere offene Fragen entstanden, sagte Silke Schindler (SPD). Für Erstaunen bei den Politikern sorgte gestern vor allem die plötzlich aufgetauchte E-Mail eines ranghohen JVA-Bediensteten. Der Sicherheitsbeauftragte hatte sich Anfang März dieses Jahres an das Justizministerium gewandt und Missstände im Gefängnis in Halle beklagt. Eine Referatsleiterin bekam die brisante E-Mail, leitete sie aber nicht in die höhere Ebene weiter. Es passierte also nichts.

Widersprüche gibt es zudem nach wie vor in der Frage, ob die Anstaltsleitung eigenmächtig die sogenannte Sicherheitsverfügung gegen den Gefangenen lockerte. Es steht Aussage gegen Aussage. In den Koalitionsfraktionen verstärkt sich zunehmend der Eindruck, dass der Fluchtversuch von Stephan B. nur die Spitze des Eisbergs ist. Von völligem Chaos in der JVA ist die Rede. Kritisiert wird, dass Informationen nur tröpfchenweise bekannt würden.

Die SPD hatte der Ministerin bereits am Dienstag ein Ultimatum gestellt. Die Sozialdemokraten forderten Keding unmissverständlich auf, „Widersprüche und Unklarheiten“ aufzuklären. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle drohte: „Gelingt das nicht, sehe ich das Vertrauen der Fraktion in die Arbeit der Hausspitze des Justizministeriums erschüttert.“

Parteikollegin Schindler sagte nach dem Videochat: „Ich hätte nicht gedacht, dass es noch schwieriger werden kann. Die Ministerin muss Konsequenzen ziehen“. Es könne nicht nur bei Maßnahmen gegen JVA-Bedienstete bleiben. Deutlicher wurde Schindler nicht.

Vorige Woche musste zunächst die Vize-Anstaltsleiterin ihren Posten räumen. Sie sitzt jetzt im Justizministerium.

Grünen-Rechtspolitiker Sebastian Striegel sagte: „Es verdichtet sich der Eindruck, dass die Geschehnisse nicht nur individuelles Fehlverhalten vor Ort waren, sondern dass es massive strukturelle Probleme gibt.“

Ins Visier gerät immer mehr Staatssekretär Hubert Böning. Die eigene Partei geht auf Abstand. CDU-Rechtspolitiker Jens Kolze gestern: „Ich sehe die Dinge kritisch.“ In der CDU würden Stimmen nach personellen Konsequenzen lauter. Auf die Nachfrage, ob das auf den Staatssekretär ziele, antwortete Kolze mit „Ja“. Böning stand bereits vor drei Jahren in der Kritik. Seinerzeit warfen ihm Richter unzulässige Einflussnahme auf ein Verfahren vor.

Doch auch die Ministerin wackelt. In Teilen der CDU-Fraktion werden bereits Planspiele betrieben. Getuschelt wird, dass Finanz-Staatssekretär Klaus Klang und der ehemalige Präsident des Landesverwaltungsamtes, Thomas Leimbach, ins Justizministerium wechseln könnten. Als Finanz-Staatssekretär wird gerüchteweise der zum rechten CDU-Flügel gehörende Landtagsabgeordnete Lars-Jörn Zimmer ins Spiel gebracht.

Die Linke hat bereits den Rücktritt der Ministerin und ihres Staatssekretärs gefordert. Beide würden versuchen, ihre Verantwortung auszusitzen, sagte Linke-Rechtspolitikerin Eva von Angern. Dabei habe das Aktenstudium zu dem Fall „erschreckende Erkenntnisse“ offengelegt: „Das Justizministerium hatte monatelang kein Interesse an der Haft des Rechtsterroristen.“ Die Linke hat für die Landtagssitzung am nächsten Dienstag eine aktuelle Debatte beantragt.