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Schulleiter Gesucht, gefordert, unterbezahlt

Hohe Belastung, Personalmangel, schlechte Bezahlung: Grundschulleiter in Sachsen-Anhalt sind wenig attraktiv. Woran liegt das?

Von Alexander Walter 04.04.2017, 01:01

Magdeburg l Corina Haase kommt mit schnellen Schritten aus dem Treppenhaus. Ein Klimpern mit dem Schlüsselbund – schon schwingt die Tür zum Büro nach innen: „Setzen Sie sich schon mal, ich muss nur noch schnell ...“, sagt die Leiterin der Grundschule Stadtfeld in Magdeburg noch. Dann ist sie auch schon wieder verschwunden. Man ahnt es: Es ist ein Satz, den diese Frau häufiger sagen muss.

Die taffe Mittfünfziger hat in diesem Augenblick vier Stunden Dienst hinter sich, vier weitere werden noch folgen. Der Tag begann mit der Krankmeldung einer Kollegin. Schon vor der ersten Stunde musste sie einen Vertretungsplan schreiben. Danach ging‘s in den Vertretungsunterricht – Mathematik. Anschließend Sport, Englisch und abermals Sport. Damit nicht genug, an diesem Tag ist außerdem der Zahnarzt zu Besuch.

Die Reihenfolge für die Untersuchungen der Klassen hat Haase schon am Vortag organisiert. In der Turnhalle bitten die Ruderer des SC Magdeburg heute zudem zum Sichtungstraining. Haase musste mit dem Hausmeister abstimmen, dass die Trainings-Ergometer rechtzeitig in der Halle stehen. Jetzt hat ein Schüler Migräne: ein Telefonat mit der Mutter, dann darf der Junge nach Hause gehen.

Es ist der ganz normale Alltag einer Grundschulleiterin in Sachsen-Anhalt. Für ihren Job als Kapitän auf dem Tanker Grundschule hat sich die Magdeburgerin trotzdem bewusst entschieden. Seit 19 Jahren ist sie Leiterin und hat nach der Fusion zweier Schulen zuletzt noch einmal offiziell das Stellenverfahren durchlaufen. „Ich liebe meinen Beruf und mache ihn noch heute fast jeden Tag gern“, sagt Haase.

Die Grundschulleiterin weiß aber auch, Bedingungen wie an ihrer Schule in einem gründerzeitlichen Viertel der Landeshauptstadt gibt es nicht überall im Land. Erst vor drei Jahren wurde ihr 100 Jahre altes Gebäude, das Abbild einer Bilderbuchschule, komplett saniert. „Die räumliche Ausstattung ist einfach traumhaft“, sagt Haase. Mit 20 Lehrern für 250 Kinder ist sie auch personell gut aufgestellt. „Den Unterricht können wir in aller Regel gut abdecken“, sagt sie. – Corina Haase lässt keine Zweifel zu: Es läuft gut an ihrer Schule, und das liegt auch an der engagierten Leiterin.

Grundschulen mit Schulleitern wie Corina Haase gibt es viele im Land. Und doch ist der Job immer weniger gefragt. Tatsächlich sucht Sachsen-Anhalt händeringend Grundschulleiter, 53 von 449 Stellen blieben vergangenes Jahr unbesetzt. Das waren 24 mehr als noch 2015 (29), oder fast 12 Prozent.

Bei der Frage danach, woran das liegen könnte, muss Corina Haase erst einmal überlegen: „Ich glaube, man muss die Herausforderung mögen und gern mit Kindern arbeiten, das liegt nicht jedem“, sagt sie.

Torsten Olle, Leiter an der nur wenige Kilometer entfernten Grundschule Klosterwuhne, kann sich die Zurückhaltung der Kollegen schon eher erklären. „Wenn eine verbeamtete Kollegin an einer kleinen Grundschule Leiterin wird, kriegt sie gerade mal 161 Euro Amtszulage“, sagt er. Insgesamt verdient sie damit weniger als normale Lehrer an anderen Schulformen, je nach Alter 3200 bis 4400 Euro brutto. Hinzu kommt: Leiter an kleinen Grundschulen müssen mitunter auch eigene Klassen leiten. „Dann überlegt man natürlich, ob man sich das antun muss“, meint Olle.

Der 51-Jährige selbst leitet eine große Grundschule im von Plattenbauten geprägten Magdeburger Norden. Das Viertel ist ein sozialer Brennpunkt: 70 seiner 350 Schüler sind Zuwanderer, viele Eltern beziehen Hartz IV. Neben zwölf Unterrichtsstunden wöchentlich muss Olle sich ums Gebäude, Finanzen, Personal oder den Kontakt zu den Eltern kümmern. „Meine Tür ist immer offen, als Leiter bist du der Manager“, sagt er.

Trotz der Größe seiner Schule gehört auch der 51-Jährige nicht zu den Top-Verdienern unter den Lehrern: „Ein angestellter Berufsschullehrer bekommt genauso viel Gehalt wie ich“, sagt er. Die Arbeit der Kollegen will Olle dabei keinesfalls kleinreden. Aber: „Fürs gleiche Geld muss ich hier eine ganze Schule organisieren.“

Die Enttäuschung begann für Torsten Olle schon mit dem Stellenantritt als Leiter. Als er vor Jahren die Position übernahm, befand sich sein Vorgänger noch im Aufstiegsverfahren, erzählt er. Die Folge: Olle musste zwar sofort die Aufgaben des Schulleiters übernehmen. Offiziell hatte er die Stelle aber noch nicht: „Ich musste fünf Jahre auf mein Geld warten“, erzählt er.

Die Arbeit selbst wäre gut zu schaffen, erzählt der 51-Jährige. Wenn, ja wenn, da nicht die vielen Vertretungsstunden wären. Schon 54 Stunden hat er in diesem Jahr angehäuft, und das obwohl Klassen wegen fehlender Lehrer bereits aufgeteilt wurden. Eigentlich soll er die Stunden irgendwann abbummeln, sagt Olle. Wann das klappt, weiß er aber nicht.

Ums Geld könne es ohnehin nicht gehen, wenn man den Schulleiter-Job an einer Grundschule ausüben will, meint der Leiter. „Mir war und ist es wichtig, Schule zu gestalten“, sagt er. Doch dazu fehle leider das Personal. Oft fragten ihn Kollegen, wie sie zusätzliche Aufgaben noch stemmen sollen. Meist müsse er dann mit den Schultern zucken, „Ich verwalte den Mangel“, sagt Olle.

Ein Beispiel sind die rund 70 Kinder mit Sprachförderbedarf an seiner Schule. Seit 2015 seien immer mehr Syrer und Afghanen ins Quartier gezogen. Den Vertrag des Sprachlehrers hat das Land nach dem Jahreswechsel nicht verlängert, die Kinder sitzen nun oft im Regelunterricht. „Wir haben es jetzt in Eigeninitiative hinbekommen, mit drei Ehrenamtlern Förderangebote zu schaffen“, sagt Olle. Dabei sei hier eigentlich das Land in der Pflicht.

Das Gleiche gelte für die Inklusion. Dabei sollen benachteiligte Schüler gemeinsam mit anderen lernen und im Unterricht gezielt gefördert werden. Dafür aber müssten mehr qualifizierte Förderschulkräfte eingesetzt werden, mahnt Olle. Weil das nicht geschehe, würden solche Schüler oft in den Normalunterricht geschoben.

Am Ende sieht auch Corina Haase Probleme. So seien Stundenzuweisungen für die Einrichtung von Klassen für Schüler mit Lese-Rechtschreib-Schwäche, Freizeitangebote und die Profilbildung der Schule gestrichen worden, sagt sie. Zudem sei die Schule mit pädagogischen Mitarbeitern unterversorgt. „Trotz hoher Motivation werden die Bedingungen schwieriger“, sagt sie.

Das Bildungsministerium hat Handlungsbedarf erkannt. So gibt es Gespräche mit dem Finanzministerium, die Attraktivität des Grundschulleiterpostens zu verbessern, sagt Bildungsmininster Marco Tullner (CDU). Darüber müsse man hinterfragen, welche Aufgaben von Schulleitungen zu erfüllen sind. Wo möglich, wolle man die Schulen von Bürokratie entlasten. Schon jetzt bemüht sich das Ministerium zudem, Leiterstellen erst gar nicht unbesetzt zu lassen.

Ausschreibungen würden teils mehr als ein Jahr im Vorfeld veröffentlicht, so Tullner. Mit Qualifizierungsangeboten wecke man zudem das Interesse der Lehrer. Torsten Olle erkennt die Bemühungen an. Aber er hat Zweifel, ob das reicht. „Damit Leiter ihren Job lange ausüben wollen, müssen die Bedingungen stimmen“, sagt er. Dazu gehöre mehr Personal, nicht nur bei Lehrern, auch bei pädagogischen Mitarbeitern und Schulsozialarbeitern. Seite 4