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Entlang der Elbe Schwein gehabt: Beim Schlachter in Ferchland

Auf dem Elberadweg treffen sich Fahrrad-Enthusiasten aus halb Europa - unterwegs auch zwischen Parey und Jerichow.

Von Oliver Schlicht 08.08.2012, 05:13

Parey l Über einen langgestreckten Feldweg direkt an der Elbe entlang surrt das Fahrrad in Richtung Parey. Bei bedecktem Himmel und straffem Wind scheinen heute nicht ganz so viel Radwanderer unterwegs zu sein. Doch kurz bevor der Weg an einer Flussschleife in das Dorf abbiegt, fällt der Blick auf ein Pärchen, das unten am Strand sitzt. Steve und Julie Miller, beide Ende 20, aus Birmingham in England, machen Pause. Teatime? "Nein, nur Wasser", sagt Steve und zeigt schmunzelnd auf seine Trinkflasche.
Er ist Lehrer für Geschichte und will in Städten wie Hamburg, Dessau und Dresden Geschichte entdecken, die nichts mit Weltkriegen zu tun hat, wie er betont. Julie zeichnet derweil Skizzen in einen DIN-A-5-Block. Landschaften mit Fluss und Wolken sorgsam mit Bleistift ausgeführt. Abgestorbene Bäume, halb im Wasser hängend, an denen Treibgut vorbeizieht. "Manchmal ist es wie im Dschungel", schwärmt die junge Engländerin.
In Parey an der Hauptstraße betreibt Andreas Mattmann eine kombinierte Auto- und Fahrradwerkstatt. Der junge Mechaniker ist der einzige "Retter in der Not" zwischen Burg und Tangermünde. Schläuche und Mäntel gehen gut, erzählt er an der kleinen Werkbank im Hinterzimmer seines Ladens. "Ein bis drei Reparaturen kommen täglich zusammen. Gebrochene Speichen, kaputte Tretlager." Manche Kunden haben "diese richtig teuren Dinger". Da kann es mit den Ersatzteilen schwierig werden. Mattmann: "Das dauert im Extremfall zwei Tage, bis ich das besorgen kann. Na, dann freut sich Björn, wenn die bei ihm übernachten."
Gemeint ist Björn Thomas, Gastwirt, Hotelier und "Erfinder" eines Erlebnisdorfes. Am Ortsrand von Parey hat der umtriebige Gastronom in den vergangenen drei Jahren eine große Ferienclubanlage aufgebaut, die der Besucher eher an der Ostsee oder im Schwarzwald erwarten würde, aber nicht in der Einsamkeit des Jerichower Landes. An einem still gelegenen Seitenarm des Elbe-Havel-Kanals entstanden ein Seehotel, schwimmende Pontonzimmer, zwei Feier-Pontonboote für jeweils 50 Leute, ein überdachter Biergarten und ein großer Spielplatz.
Auslöser war - wen verwundert es - der Elberadweg. "Anfangs wollten wir nur ein paar Finnhütten und einen Spielplatz für Radler-Familien bauen. Dann kam uns die Idee mit den schwimmenden Hotelzimmern", erzählt Björn Thomas. Schließlich wurden mit dem Seehotel und dem Biergarten etwas größere Brötchen gebacken. Knapp zwei Millionen Euro investiert Thomas bis Jahresende in den Ausbau des Erlebnisdorfes. 80 Hotelbetten werden es dann sein. 45 Arbeitsplätze entstanden. Vorerst letzte Ausbaustufe sind vier Sechs-Bett-Häuschen auf einer noch schilfbewachsenen Halbinsel an der gegenüberliegenden Seeseite. So können die Gäste mit dem Ruderboot zum Frühstück fahren.
Thomas: "Nur mit Fahrradtouristen wäre das nicht zu betreiben. Aber jetzt zur Hauptsaison kommt noch jeder vierte Gast vom Elberadweg." Familienfeiern und Kurzurlauber mit Kindern, die drei Tage bleiben, machen das Hauptgeschäft aus. 19260 Euro betrug der Übernachtungsumsatz von März bis Juli 2011 kurz nach der Hotel-Eröffnung. Im gleichen Zeitraum 2012 sind es knapp über 80000 Euro.
Wir verlassen Parey weiter Richtung Norden. Über Derben führt der Weg wenig spannend direkt an der Landstraße entlang. Die Elbe scheint hier weit weg zu sein. In Ferchland angekommen, erregt eine imposante Hofeinfahrt die Aufmerksamkeit. Im Hof stehen Räder - lautes Schweinegrunzen ist zu hören, ungewöhnlich helle Rindviecher dösen in offenen Stallungen.
Bei der Landschlachterei Ferchland ist heute Verkaufstag. Doch was suchen Fahrradtouristen beim Schlachter? "Ick weeß och nich. Die müssen irgendwie alle mittenanda in Verbindung stehen", scherzt Inhaber Carsten Pietrzak. Es sind wohl mehr die Tipps in vielen Radwanderführern, die den Hof populär gemacht haben. "Sogar die ¿Brigitte\' war mal da, um über uns zu berichten. Ich dachte erst, so eine Omazeitung, das bringt doch nischt. Aber dann ging die Post richtig ab", schwärmt der Ferch- lander Bauer. Schön ist: Es kommen auch jüngere "Omas".
Hinter der alten Backsteinfassade des Hofes verbirgt sich ein seit 2006 hochmodern ausgebauter Schlachtbetrieb. 50 Schweine und ein Rind an zwei Schlachttagen pro Woche werden zu Wurst und Fleisch verarbeitet und komplett über drei Verkaufswagen und auf dem Hof verkauft.
Was die Radfahrer vor allem anlockt, ist - neben ein paar Übernachtungsbetten - frisch zubereitete und in Kunstdarm und Gläsern abgefüllte Hausmannskost. Hühnerfrikassee, Soljanka, Bratklops, Kesselgulasch, Königsberger Klopse und mehr. Alles von einer Köchin gleich neben dem Schlachtraum täglich frisch zubereitet.
Das kommt an bei den hungrigen Radfahrern. "Watt soll ick sagen. Die Töppe werden immer jrößer, wo wir kochen", so Bauer Carsten Pietrzak charmant brandenburgisch.
Ordentlich Schwein gehabt - auf dem Teller. Weiter geht es. Gleich hinter Ferchland offenbart der Elberadwanderweg seine ganze Schönheit. Auf dem Deich nach Jerichow geht der Blick über die weite Landschaft. Ein Lastkahn schiebt sich langsam flussabwärts an den Wiesen vorbei, auf denen ein paar Schwarzweißgescheckte grasen.
Erreicht der Radwanderer Jerichow, führt der Weg außen an der Siedlung entlang. Was für ein Anblick: In der Nachmittagssonne taucht plötzlich wie aus dem Nichts über den Wiesen auf einer Anhöhe die riesige Klosteranlage von Jerichow auf. Im zwölften Jahrhundert errichtet als Bollwerk an der Ostgrenze des deutschen Landes. Heute eine freundliche Heimstätte kulturinteressierter Fahrradwanderer.
Lesen Sie am Donnerstag im vierten Teil der Serie "Immer der Elbe nach", weshalb der Maler Manfred Beckmann im Dorf Buch schon seit drei Jahren am gleichen Bild malt.