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Sachsen-Anhalt So viele Angriffe auf Bankautomaten wie nie

Mit 35 Aufbrüchen von Geldautomaten in Sachsen-Anhalt hat die Polizei im Jahr 2020 schon einen Rekord registriert.

Von Matthias Fricke 25.01.2021, 00:01

Ilsenburg l Sonnabend, 3.40 Uhr: Eine heftige Explosion im Harzort Ilsenburg reißt die Anwohner aus dem Schlaf. Vier Unbekannte haben mit einem Gasgemisch den Geldautomaten in einem Einkaufszentrum gesprengt. Die Täter hatten zuvor die Eingangstür eingeschlagen, das Gas in den Automaten eingeleitet und zur Explosion gebracht. Die Wucht der Detonation beschädigt auch Teile des Hauses. Zeugen sehen vier dunkel gekleidete und maskierte Männer, die sich mit ausländischem Akzent verständigen. Sie flüchten mit 90.000 Euro in einem dunklen Audi. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk rücken an. Der Gesamtschaden wird später auf 210.000 Euro geschätzt.

Nur 25 Kilometer weiter im Nordharz-Center in Blankenburg hat es bereits am 10. Juni 2020 gegen 3.15 Uhr gekracht. Auch dort konnte nur der Großeinsatz der Feuerwehr Schlimmeres verhindern. Der Sicherheitsdienst berichtete später von zwei Unbekannten, die sich zunächst über die Doppelglastür Zutritt verschafften und in den freistehenden Automaten das Gasgemisch einleiteten.

Dieser wurde bei der Sprengung zerstört. „Eine untere sechsstellige Summe ist verschwunden“, sagt Polizeisprecherin Ilona Wessner. Ob Geld zum Teil erbeutet wurde oder verbrannt ist, blieb offen. Die Zerstörungen waren zu groß. Ob die Taten zusammenhängen, müssen nun die weiteren Ermittlungen ergeben.

Laut Landeskriminalamt (LKA) gab es 15 solcher Sprengungen im vergangenen Jahr. Hinzu kamen 20 weitere Aufbrüche und Versuche durch Herausreißen, Bohren oder Aufschneiden. LKA-Sprecher Michael Klocke: „Seit mindestens zehn Jahren ist dies die höchste Zahl von Angriffen auf Geldautomaten in Sachsen-Anhalt.“ Auch bei den Sprengungen sei es ähnlich. „Da gab es nur im Jahr 2014 genauso viele Fälle“, so Klocke. Die Beute könne oft nur geschätzt werden, weil durch die Zerstörung oft nicht mehr nachvollziehbar ist, wie viel Geld sich im Automaten befand. In den vergangenen drei Jahren waren es mindestens zwei Millionen Euro. Allein im letzten Jahr lag die Summe bei einer Million Euro.

Die höchsten Schäden entstanden bei den Sprengungen. Am häufigsten betroffen waren der Burgenlandkreis (9), der Salzlandkreis (5) und der Landkreis Anhalt-Bitterfeld sowie der Saalekreis mit jeweils vier Fällen. Klocke: „Vor allem hinter den Automatensprengungen stecken oft reisende Tätergruppen, die sich Ziele in ganz Deutschland suchen.“ So schätzt auch die Vize-Präsidentin des Bundeskriminalamtes (BKA), Martina Link, die Situation ein.

Sie erklärte erst Ende Dezember, dass deutschlandweit mit mehr als 400 Automatensprengungen gerechnet wird. Das wäre ebenfalls ein Rekord. Einige der Täter stammen aus Rumänien und Moldawien. Die Hälfte der 132 Tatverdächtigen kamen aus den Niederlanden. Sie waren vor allem in den angrenzenden Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen, aktiv. Dort gab es im Jahr 2020 auch die meisten Sprengungen.

„Die Gruppen aus den Niederlanden haben oft einen nordafrikanischen Migrationshintergrund“, erklärt Sachsen-Anhalts Landeschef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Peter Meißner. Sie handeln sehr professionell und benutzen für die Fluchten hochmotorisierte Autos. Den Anstieg der Automatensprengungen in Deutschland führt Meißner auf eine Verdrängung der Tätergruppen aus den Niederlanden nach Deutschland zurück.

Dort gebe es nur wenige Geldinstitute. Diese haben sich auf ein gemeinsames Sicherheitssystem geeinigt. Dabei wird zum Beispiel das Geld mit Klebstoff unbrauchbar gemacht, nicht wie in Deutschland meist mit Farbpulver. Meißner: „Der Klebstoff ist effektiver, weil das Geld nicht mehr benutzt werden kann.“

Thomas Rienecker vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband: „Mit dem sogenannten Klebesystem kann, wie beim Einfärben des Geldes auch, nur die Verwertung der Beute verhindert, aber nicht die Sprengung unterbunden werden.” Über die jeweilige Sicherheitsvorkehrung entscheide am Ende aber die Bank oder Sparkasse. Dies hänge von der aktuellen Risikosituation des Standortes ab. In Deutschland gibt es laut Bundesbank mehr als 68.000 Geldautomaten.