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Studie 327 Opfer an der innerdeutschen Grenze

Bei der Flucht aus der DDR kamen Hunderte Menschen ums Leben. Eine Studie hat nun ihr Schicksal untersucht.

Von Alexander Walter 08.06.2017, 01:01

Magdeburg l Es war in der Nacht zum 21. April 1973, als der Bauarbeiter Fred Woitke die Flucht aus der DDR wagte. Gemeinsam mit zwei Kollegen raste er in einem LKW auf die Sperranlagen des Grenzübergangs Marienborn an der heutigen Landesgrenze zu Niedersachsen zu. Der Laster „W50“ hatte bereits Alarm ausgelöst und zwei Schlagbäume durchbrochen, als er mit Tempo 80 gegen die heruntergefahrene Rollsperre fuhr.

Das Fahrzeug überschlug sich und blieb auf dem Dach liegen. Fünf Grenzer hatten da bereits das Feuer eröffnet. Ein Kollege Woitkes wurde aus der Frontscheibe geschleudert, er blieb mit Knochenbrüchen zurück. Der 23-jährige Woitke und sein verbliebener Kollege versuchten, nach Westen zu fliehen. Vier Grenzer schossen nun gezielt auf Woitke – solange, bis dieser sich nicht mehr rührte.

Fred Woitke ist eines von vielen Opfern des DDR-Grenzregimes. Eine neue Studie hat nun ihr Schicksal erforscht. An der 1400 Kilometer langen innerdeutschen Grenze starben demnach zwischen 1949 und 1989 327 Männer, Frauen und Kinder. Hinzu kommen 139 Tote an der Berliner Mauer. Unklar bleibt, wie viele Menschen bei der Flucht über die Ostsee ums Leben kamen.

Fest steht aber: Die mehr als 220 Kilometer lange Grenze des Bezirks Magdeburg zu Niedersachsen war ein Schwerpunkt für Fluchtversuche. „Am Grenzübergang Marienborn war besonders viel los“, sagt Politikwissenschaftler Jochen Staadt, Mitherausgeber der Studie vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Uni Berlin.

Viele Opfer waren bei ihrem Fluchtversuch noch jung. Die Hälfte war wie Fred Woitke zwischen 18 und 25 Jahren alt. Im Unterschied zur Berliner Mauer gab es an der innerdeutschen Grenze zudem Minen. „Viele Flüchtlinge wurden furchtbar verstümmelt“, sagt Staadt. Überlebende Minenopfer traf es gleich doppelt. Während andere Flüchtlinge auf eine spätere Ausreise hoffen durften, geschah das bei Minenopfern nie. Der Staat fürchtete, dass der Westen die Verstümmelten für Propaganda-Zwecke nutzen würde.

Die Studie nimmt auch das Schicksal verunglückter Grenzsoldaten in den Blick. Bei Unfällen mit Waffen und Minen kamen demnach 452 Soldaten ums Leben. Allein 44 Polizisten und Soldaten starben bei Suiziden. An der Finanzierung der Studie hat sich neben dem Bund auch Sachsen-Anhalt beteiligt. Die Gedenkstätte Marienborn plant eine eigene Präsentation zu den Forschungsergebnissen.