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Tag der Bundeswehr Bundeswehr: Das Land läuft auf Reserve

Zum Tag der Bundeswehr am morgigen Samstag sprach Matthias Fricke mit dem Chef der Reservisten Sachsen-Anhalts, Oberst d.R. Hans Thiele.

07.06.2018, 23:01

Volksstimme: Das Erste, was sich ehemalige Soldaten oft gegenseitig fragen, ist: Wo haben Sie denn gedient?
Hans Thiele: In Augustdorf in Nordrhein-Westfalen bei der Panzerbrigade 21 für zwei Jahre. Danach war ich 35 Jahre Reserveoffizier in Detmold, Eggesin und Magdeburg. Hier zuerst beim Verteidigungsbezirkskommando 82, dann beim Verbindungskommando in Stendal und im Landeskommando Sachsen-Anhalt. Ich bin mit meinen 20 Jahren, die ich in Magdeburg eingesetzt bin, der dienstälteste Soldat im Haus.

Als Oberst der Reserve haben Sie ja einen höheren Rang als Innenminister Holger Stahlknecht. Der ist nur Oberstleutnant der Reserve ...
Ja, das stimmt. Seine Kenntnisse sind für uns in Krisenlagen wirklich von Vorteil. Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Jedes Landratsamt oder die kreisfreien Städte haben in Sachsen-Anhalt ein sogenanntes Verbindungskommando. Das sind jeweils zehn Reservisten, die den Landrat im Krisenfall beraten. In dieser Funktion war ich zum Beispiel als Leiter des Verbindungskommandos Salzwedel mit meinen Reservisten bei den Hochwassern 2002, 2011 und 2013 eingesetzt, vor allem in Bitterfeld und Stendal. Bei diesem Einsatz habe ich hautnah erlebt, wie wichtig Reservisten sind. Der eine Teil von uns beriet den Landrat und der andere hat vor Ort die Sandsäcke gefüllt. Das Engagement der Reservisten war überwältigend und zeigte, dass zur Landesverteidigung eben auch immer mehr der Schutz der Bevölkerung vor Naturkatastrophen zählt.

Muss man heute überhaupt noch Soldat gewesen sein, um in solchen Fällen als Reservist für die Heimat zu dienen?
Man muss zumindest einen Tag lang als Soldat bei der Bundeswehr gedient haben. So sieht es das Gesetz vor. In den Reservistenverband dürfen Soldaten oder auch fördernde Mitglieder eintreten. Letztere müssen dann nicht zwangsläufig gedient haben.

Das heißt als Fördermitglied darf ich auch ohne Ausbildung mitmachen?
Ja, aber eben nicht in Uniform. Das dürfen dann nur reguläre Reservisten, die mindestens einen Tag lang gedient haben.

Was heißt eigentlich mindestens einen Tag gedient? Es gibt ja auch noch viele ehemaligen NVA-Soldaten, die durchaus als Reservisten arbeiten wollen ...
Naja, das ist nicht so einfach. Das gilt nur für die Soldaten, die kurz nach der Wende mindestens einen Tag bei der Bundeswehr waren. Alle anderen haben keinen Anspruch auf eine Uniform. Es gab nach der Wende auch viele, die unbedingt Reservisten sein wollten und haben das ganze Aufnahmeprozedere durchgemacht, um Reservist der Bundeswehr werden zu können. Dadurch haben wir ein paar ganz aktive Reservisten dabei, die schon in der NVA gedient hatten.

Das heißt, ich könnte den Antrag stellen, einen Tag lang bei der Bundeswehr zu dienen, um später Reservist zu sein?
Rein theoretisch ist das möglich. Wir wollen ja auch künftig verstärkt Ungediente ansprechen. Das ist aber alles nicht so einfach, denn die Bewerber benötigen ja trotzdem die entsprechende Grundausbildung. Wenn jemand eine Uniform tragen darf, muss ich als Vorgesetzter auch erwarten können, dass derjenige auch entsprechende Fähigkeiten mitbringt. Und das ist an einem Tag nicht machbar.

Wir haben jetzt nur über die Freiwilligen geredet. Aber muss man heute eigentlich noch Angst haben, dass man als Reservist gezogen wird?
Nein, das gab es früher mal. Aber jetzt nicht mehr. Wir machen den Reservistendienst heute freiwillig und ehrenamtlich.

Gibt es bei der Reserve auch noch einen Dienst an der Waffe oder sind das alles rein zivile Einsätze?
Natürlich gibt es auch noch einen Dienst an der Waffe. Das richtet sich ganz nach dem Einsatzgebiet. Die Kameraden der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanie (RSU) müssen zum Beispiel ja auch militärische Objekte sichern. Die sind natürlich entsprechend bewaffnet. Das trainieren sie ja auch ständig. Die anderen Reservisten üben das übrigens auch. Das gehört zu unserem Selbstverständnis, die militärischen Grundfertigkeiten zu erhalten. Dazu gehören neben der Schießausbildung, körperliche Fitness, Sanitätsausbildung oder Umgang mit Karte und Kompass. Das alles soll ja nicht verloren gehen.

Und was machen die Reservisten konkret in Sachsen-Anhalt in der RSU-Kompanie?
Die trainieren zu 90 Prozent. Da gibt es ganze Ausbildungswochen oder eben Wochenenden. Die Kompanie untersteht dem Landeskommando Sachsen-Anhalt. Bundesweit gibt es derzeit 30, mit rund 3400 Dienstposten. Sachsen-Anhalt hat nur eine RSU-Kompanie. Die anderen zehn Prozent machen dann entsprechend Einsätze aus. So waren die Kameraden zur Absicherung bei den Camps gegen das Gefechtsübungszentrum in der Altmark eingesetzt. Sie haben dort die militärischen Objekte mit gesichert. Ein weiteres Beispiel ist die 500-Jahr- Feier zum Lutherjubiläum in Wittenberg. Da waren unsere Pioniere im Einsatz und die Reservisten unterstützten sie bei der Bewachung.

Was haben die Reservisten eigentlich davon?
Auf diese Frage habe ich eigentlich nur gewartet. So nach dem Motto, wie blöd muss man eigentlich sein, um dafür seine Freizeit zu opfern?

Das habe ich so nicht gesagt, aber bitte ...
Wenn man einmal in einer Armee gedient hat, dann macht man das in der Regel aus einer inneren Einstellung heraus. Ich habe vor 37 Jahren einen Eid abgelegt mein Vaterland zu verteidigen. Da fühle ich mich natürlich auch den Rest meines Lebens daran gebunden. Der größte Antrieb aller Reservisten ist, davon bin ich überzeugt, unsere Bevölkerung zu schützen. Das hat sich inzwischen natürlich vom Feindbild von außen, wenn man es so nennen möchte, zur Abwehr auch vor Naturkatastrophen oder anderen Einflüssen geändert. Zu diesem inneren Antrieb kommt natürlich: Man bleibt fit, hat eine hochinteressante Aufgabe, Kameradschaft und andere Faktoren, die unser Ehrenamt ausmachen.

Außer einem Dankeschön, wenn überhaupt, gibt es also nicht viel?
So ist es. Natürlich sieht die Bundeswehr, wie bei anderen Ehrenämtern auch, zu, dass die Reservisten keine finanziellen Verluste in Kauf nehmen müssen. Aber ansonsten ist das alles, was wir machen, ehrenamtlich.

Was macht denn den Reservistenverband mit seinen vielen Ortsgruppen und auch die RSU-Kompanie so wichtig für das Land Sachsen-Anhalt?
Wir sind eigentlich die letzten Soldaten vor Ort. Die Truppe schmilzt immer mehr zusammen. Der Reservistenverband ist mit seinen Ortsgruppen in ganz Sachsen-Anhalt vertreten und versteht sich als der Mittler zwischen der aktiven Truppe und der Bevölkerung.

Das heißt es gibt zu wenig Soldaten, dass man jetzt zum Beispiel auch auf Ungediente zurückgreifen muss?
Das ist doch eine ganz einfache Rechnung. Die ehemaligen Soldaten der Wehrpflichtarmee gehen uns irgendwann aus. Die meisten Reservisten stammen aus dieser Zeit. Deshalb war es nach meiner Meinung auch ein großer Fehler aus dem Reservistenaspekt heraus, die Wehrpflicht auszusetzen. Da hat einfach keiner daran gedacht, was das für Auswirkungen haben könnte.

Und deshalb der Vorstoß, die Zugangshürden niedriger zu setzen?
Es gibt im Wesentlichen zwei Charaktere. Der eine verpflichtet sich für zwölf Jahre und erledigt seinen Job mit Zeiterfassungsuhr und allem drum und dran. Der hat dann möglicherweise gar kein Interesse später am Reservistendienst. Und dann gibt es diejenigen, die sagen. Ich wollte das schon immer machen, bin in einem anderen Beruf und würde gerne beim Hochwasser helfen. Dann aber bitte mit Uniform und ausgebildet. Das ist der Punkt, wo wir eine Ausbildung anbieten müssen, damit der Ungediente auch Reservist werden kann.

Wie soll das laufen?
Das läuft eben nicht so, dass man dann drei Monate Grundausbildung in Burg macht. Sondern das soll dann an Wochenenden angeboten werden, weil die meisten ja in einem festen Job sind.

Gibt es da schon konkrete Planungen?
Es gibt da schon drei Pilot-Projekte in Baden-Württemberg, Berlin und Bayern. Dort sollen die Bewerber entsprechend eine Ausbildung erhalten, wie Soldaten auch. Es geht im Prinzip um 176 Ausbildungsstunden, um die ganzen Fähigkeiten mindestens im Ansatz zu erfüllen. Und das alles muss an den 13 bis 14 Wochenenden funktionieren. Derjenige, der sich meldet, sollte bis zum Ende durchhalten und das entsprechende Landeskommando auch die Ausbilder vorhalten. Ob das alles so funktioniert, sollen die Pilotprojekte klären.

Wenn das gut läuft, könnte man das in Sachsen-Anhalt ja auch anbieten ...
Ja wenn es gut läuft, sicher. Wir hatten bisher aber keinen Bedarf. Das könnte in der Zukunft aber sicher ein Baustein sein, wie man den Reservistenbestand erhalten kann. Ein anderer ist die Anhebung der Altersgrenze. Wir müssen hochqualifizierte dynamische Leute nach Hause schicken, nur weil sie 65 Jahre alt geworden sind. Das Höchstalter ist nicht mehr zeitgemäß. Wer länger dabei sein will, sollte das tun dürfen.