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Tour zum NordkapWettfahrt mit Vaseline

7800 Kilometer in zehn Tagen bei bis zu 40 Grad minus: Der Magdeburger Jürgen Schultze startet bei der „Arctic Challenge Tour“.

Von Elisa Sowieja 22.12.2015, 00:01

Magdeburg l Fototermin auf dem Hof von Jürgen Schultze. Während die Sonne bei neun Grad plus Frühling spielt, posiert der robuste Kerl wie ein Eskimo: Daunenjacke, Wollschal, Schapka, Funktions-handschuhe. Schultze schwitzt ein bisschen. Noch. In vier Wochen wird er sich freuen, wenn die Seitenklappen der Schapka seine Ohrläppchen vorm Einfrieren bewahren.

Der 65-Jährige startet Ende Januar zusammen mit einem Freund aus Bernburg bei der „Arctic Challenge Tour“. Einmal zum Nordkap, anschlagen und zurück. Mit einem umgebauten VW-Bus schrubben die beiden in zehn Tagen 7800 Kilometer. Achtmal übernachten sie in einem Hotel, ansonsten wird zügig durchgefahren. Zumindest dann, wenn ihr Auto nicht gerade mehr rutscht als fährt, oder sie sich nach einer Schneewehe den Weg freischippen müssen. Bei bis zu 40 Grad minus muss man mit sowas rechnen.

„Das wird schon eine Tortur“, sagt Schultze und zieht die Augenbrauen hoch. „Aber wir wollen den Jungen mal zeigen, wo‘s langgeht!“ Jene herausfordernden Töne zielen vor allem auf den Sohn seines Bernburger Kompagnons. Der holte vor einem Jahr, als die deutsche „Arctic Challenge“ Premiere hatte, mit seinem Team den Sieg – und weckte so den Ehrgeiz seines Vaters, von dem sich Schultze mit einem Anruf anstecken ließ.

Sieben Mannschaften brechen Ende Januar in Richtung des norwegischen Kaps auf. Einige Wochen zuvor starten sieben weitere Teams zu einer zweiten Version der Tour – einer nur für Zahnärzte. In den Niederlanden hat die „Arctic Challenge“ vor zwölf Jahren genauso klein begonnen. Heute gibt es dort fünf Touren mit insgesamt rund 70 Teams.

Warum man sich so etwas antut, wenn man nicht gerade wie Schultze Jungspunde ärgern will, weiß Bob Grutters. Er ist Organisator des deutschen Ablegers. „Viele wollen mal raus aus ihrem Alltag“, erzählt er. „Außerdem ist der Trip ein guter Beziehungstest für Paare, die sich noch nicht lange kennen. Denn es gibt viel Stress. Vor allem, wenn man mal eine Nacht durchfahren muss und die Müdigkeit einsetzt, ist man schnell gereizt.“

Gut, dass sich Schultze und sein Gefährte schon seit dem Studium kennen. Außerdem haben die zwei schon jetzt eine Strategie für die Nächte im Auto ausgeheckt. Erstens: Viele, viele Energydrinks. Zweitens: Rockmusik, vorzugsweise von Queen oder Pink Floyd. Drittens: Alle zwei Stunden ein Fahrerwechsel. Viertens: Für den Beifahrer gilt schlafen statt quatschen.

Beim Nickerchen dürften es die Sachsen-Anhalter bequemer haben als manche Gegner. Denn sie bauen in ihren Transporter eine Liege ein. Damit trotzdem genügend Stauraum bleibt, wird ein zweiter Boden eingezogen. Darunter kommen Kisten mit allem, was man für einen Trip in Eiseskälte braucht: Notlampe, Batterie, Schlafsäcke, Kräuterschnaps, ... Letzterer wird selbstverständlich nicht am Steuer vernichtet. Er ist für die Bewohner im hohen Norden gedacht – als Dank. Denn wenn mal ein Auto streikt, sind die meist sehr hilfsbereit.

Auch in der Werkstatt wird der VW-Bus Nordkap-tauglich gemacht: Sämtliche Flüssigkeiten werden gegen Spezial-Versionen ausgetauscht, damit nichts einfriert.

Anschließend legen Sponsoren noch einen Internetzugang und bauen ein GPS-System ein. All das passiert aber erst eine Woche vorm Start. Denn noch fährt der Bus als Dienstwagen fürs Familienunternehmen, einer Firma für Getränkeautomaten, durchs milde Deutschland.

Die Anti-Frost-Ausstattung für den Körper hat Schultze indes schon zusammen. Wichtigste Utensilien: eine Tube Vaseline fürs Gesicht und Spezial-Treter, angefertigt von einem Schuhmacher. Die sind wasserabweisend und besonders kuschelig, erklärt Schultze. „So bleiben die Füße wenigstens auch beim Schneeschippen warm!“

Ansonsten ist er in Punkto Temperaturen aber entspannt: „Ich kann Kälte ganz gut ab. Meine Frau und ich hatten mal eine Wohnung, in der an den Tapeten Eisblumen blühten. Ich hab trotzdem nackt geschlafen.“

Auf eines können sich die zwei Abenteurer nicht vorbereiten: die Route. Denn ein Etappenziel wird den Teams immer erst am Morgen verraten, dann gibt‘s die Koordinaten per SMS. Fest steht nur, dass nach der Rücktour auf einem Schloss an der polnischen Grenze ausgewertet wird. Für den Sieg wird nicht einfach geschaut, wer am schnellsten war. Es zählt auch, wer die kürzeste Route genommen und die Verkehrsregeln beachtet hat.

Das Fahren bei Schnee und Eis ist für Jürgen Schultze nichts Neues, er besucht ab und zu Freunde im Zittauer Gebirge. Nordeuropa aber wird eine Premiere. Und eine Überraschung, davon ist Organisator Grutters überzeugt. „Die Landschaft ist einmalig“, schwärmt er. „Mit etwas Glück sehen wir sogar Polarlichter.“ Noch faszinierender findet er nur das große Nichts: „Du steigst irgendwo aus, wirfst die Tür zu, das Auto kommt zur Ruhe, und dann hörst du kein Geräusch. Das hat etwas Magisches.“

Weitere Infos unter: www.arctic-challenge.de