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Umwelt Giftiges Erbe für Sachsen-Anhalt

Die Landesregierung hat sich erstmals klar zur vollständigen Beräumung der Bohrschlammgrube in Brüchau bekannt.

Von Alexander Walter 13.06.2020, 01:01

Magdeburg l Vertrauen in die Politik haben sie Freitagmorgen noch nicht: Vor der Landtagsdebatte zur Zukunft der Bohrschlammgrube Brüchau demonstrieren die Bürger vor dem Landtag – wieder einmal. Rund 30 sind gekommen, darunter Anwohner der Anrainer-Dörfer Kakerbeck und Brüchau sowie Mitglieder der Bürgerinitiative „Saubere Energie & Umwelt Altmark“.

Dass sich die Politik, wie zuvor bekannt geworden, diesmal unmissverständlich zu ihrer Forderung nach einer vollständigen Ausräumung der Grube bekennen will – die Kakerbecker Helmut Lüdecke und Werner Kiese mögen es da noch nicht so recht glauben:

„Die Zweifel sind da, man hat uns so lange und immer wieder hingehalten“, sagt der 80-jährige Lüdecke mit bebender Stimme. Tatsächlich zieht sich die Debatte um die Sicherung der Bohrschlammgrube seit Jahrzehnten. Lange bewegte sich nichts.

Dabei handelt es sich um eine der größten Altlasten in Sachsen-Anhalt. Rund 100.000 Kubikmeter Reststoffe aus 40 Jahren Erdgasförderung lagern in der ehemaligen Ziegelei-Tongrube – weitgehend ungesichert, bedeckt nur von einem schmalen Wasserhorizont.

Darunter: Mindestens 250 Tonnen Quecksilber, 9000 Tonnen Säuren, 930 Tonnen Zyanide aus der DDR-Chemieproduktion, 1,4 Tonnen Arsen-Verbindungen, giftiges Benzol und radioaktive Isotope. Bis zur Wende wurden dabei auch bergbaufremde Stoffe, wie Teere und Unkrautvernichter in der Grube verklappt.

Im Volksmund trägt diese den harmlos anmutenden Namen „Silbersee“. Nur eine Mergelschicht trennt den Giftcocktail aber vom Grundwasser. Die Barriere ist zugleich die Crux der Anlage. Wäre sie dicht, hätte das Land die Grube zur Sicherung mit einer Spezialfolie abdecken können. Eine viel kostengünstigere Variante als die Alternative. Letztere sieht die vollständige Ausräumung vor. Bürger wie Helmut Lüdecke haben seit langem Zweifel, dass die Mergelschicht das Gift zurückhält.

Ein Endbericht des Deponie-Betreibers Neptun Energy vom 13. Mai bestätigte ihre Befürchtungen nun nochmals: Der Mergel, der die Grube abdichten soll, sei an mindestens einer Stelle undicht, heißt es darin. Auch andernorts sei er teils nur wenige Zentimeter mächtig. Chloride und giftige Metalle seien ins Grundwasser eingedrungen.

Der Bericht hat auch die Position der Landesregierung deutlich verschoben. Erstmals legt sich der zuständige Wirtschaftsminister Armin Willingmann gestern auf die Ausräumung fest: „Die Fakten liegen auf dem Tisch, die Schlussfolgerung muss jetzt lauten, es ist auszukoffern“, sagt der SPD-Politiker im Landtag.Die im Bericht als Alternativen vorgeschlagene Abdichtung der Grube oder eine Neulagerung auf dem Gelände nennt Willingmann „keine Varianten, die ernsthaft in Betracht kommen“.

In seltener Einmütigkeit beschließen alle Fraktionen danach einen Antrag der Grünen. Mit ihm beauftragt das Parlament die Landesregierung, „unverzüglich“ einen Plan „für eine zügige Beseitigung der Giftschlammgrube“ zu erarbeiten. Von der Opposition kommt dennoch harsche Kritik: Frühe Gefahrenhinweise seien ignoriert worden, sagt Linke-Politiker Andreas Höppner. Die behördliche Überwachung habe versagt. „Warum haben Sie Anträgen von uns zur Auskofferung in den Jahren 2017 und 2019 nicht zugestimmt?“, will AfD-Abgeordneter Hannes Loth von den Grünen wissen.

Grünen-Politikerin Dorothea Frederking räumt ein: Schon im Jahr 2000 hätten Behörden auf die fehlende Dichtheit der Grube hingewiesen. Sie selbst habe aber immer für die Ausräumung gekämpft. Dank Gutachten wisse man inzwischen, welche Gifte in welcher Menge an welchen Orten lagern. Minister Willingmann ergänzt: Ja, es sei lange nichts geschehen. „Das gilt aber nicht für die letzten drei Jahre“ – gemeint ist seine Amtszeit.

Sofort verschwinden wird die Grube trotz des Beschlusses von gestern nicht. Die Planung brauche Zeit, sagt SPD-Politiker Holger Hövelmann. „Wer einen anderen Eindruck erweckt, streut den Bürgern Sand in die Augen.“

In einem Alternativantrag hatte die AfD auch ein Gesundheitsmonitoring der Bevölkerung gefordert. Er wurde abgelehnt. Bürger in der Region vermuten einen Zusammenhang mit einer Häufung von Krebsfällen. Eine Analyse im Auftrag des Sozialministeriums konnte das zuletzt nicht belegen. Meinung