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Umweltsanierung Natur in Bitterfeld-Wolfen erholt sich

In der DDR stand Bitterfeld-Wolfen als Chemie-Standort für Umweltzerstörung. Heute ist es sauberer, doch der "Silbersee" bleibt ein Problem.

03.12.2017, 07:36

Bitterfeld-Wolfen (dpa) l US-Schauspielerin Jane Fonda hat am "Silbersee" in Wolfen geweint. Nicht für eine Rolle, sondern vor Entsetzen. Als Umweltaktivistin war sie nach der Wende 1990 gekommen und schaute auf eine 25 Hektar große Grube mit 2,3 Millionen Kubikmetern trügerisch silbern glänzenden Abfällen – und das nur wenige Meter von einer Wohnsiedlung entfernt. "Am schlimmsten war der penetrante Gestank nach faulen Eiern. Heute kein Vergleich mehr", sagt ein Rentner. Er blickt dabei auf das von hohen Bäumen und Sträuchern umzäunte und gesicherte Gelände.

Vor 25 Jahren begann in Bitterfeld-Wolfen "eines der anspruchsvollsten ökologischen Projekte zur Umweltsanierung in Deutschland", wie Harald Rötschke sagt. Der Chef der MDSE Mitteldeutsche Sanierungs- und Entsorgungsgesellschaft mbH (Bitterfeld-Wolfen) steht dabei auf einem Teil des im Volksmund als "Silbersee" bezeichneten Areals, der früheren Braunkohlegrube "Johannes".

Dort wird auf einer Länge von knapp 200 Metern derzeit an einer neuen Variante gearbeitet, das kontaminierte Tagebauloch im Zuge eines großtechnisches Versuchs mit Hilfe von speziellen Schlacken und schwerer Technik zu sanieren. Eine Generationenaufgabe, wie es für den Laien scheint. Die Firma MDSE ist mit 64 Deponien und rund 1400 Hektar Fläche nach eigenen Angaben eine der größten ihrer Art in Deutschland.

Nach Erkenntnissen von Experten des Umweltbundesamtes (UBA) gibt es in Deutschland viele Ablagerungen, die in etlichen Jahrzehnten Industriegeschichte entstanden sind. Erfasst sind den Angaben zufolge rund 260.000 altlastenverdächtige Flächen in den 16 Ländern. Davon sind schätzungsweise 70.000 sogenannte Altablagerungen. Der "Silbersee" sei darunter ein besonderer Fall, erklärt Bernd Engelmann, Experte für Deponien und Altlasten beim Umweltbundesamt in Dessau-Roßlau. Grund sei die DDR-Geschichte und die davor.

"So etwas wie diese Grube würde heute in Deutschland nirgendwo mehr für die Ablagerung von Abfällen genehmigt werden", sagt er. Mit dem Ende der Braunkohleförderung ab 1930 waren silbern glänzende Abfälle, Abwässer, schwermetall- und schwefelhaltige Schlämme aus der Ex-Filmfabrik Wolfen mehr oder weniger unkontrolliert eingeleitet worden, besonders zu DDR-Zeiten, erklärt MDSE-Chef Rötschke.

Diese Altlasten wurden mit anderen Industrieabfällen des rund 130 Jahre alten Chemiestandorts vermischt. Organische Schlämme gärten Jahrzehnte vor sich hin. Dabei wurden große Mengen an Schwefelwasserstoff freigesetzt. Dies führte zu massiven Geruchsbelästigungen, erklärt der Bergbauingenieur Rötschke. Die Menschen in der Region klagten über Reizungen der Atemwege.

Heute gingen keine unmittelbaren Gefahren von der sogenannten "Grube Johannes" aus, erklärt eine Sprecherin des Magdeburger Umweltministeriums. Die Messwerte von Gasen aus der Grube lägen inzwischen dauerhaft unter den WHO-Grenzwerten. Bitterfeld-Wolfen erfuhr nach 1990 zudem einen radikalen Strukturwandel in der Industrie.

Dreckschleudern wurden stillgelegt, Tausende Menschen wurden arbeitslos. Die Umwelt ist sichtlich gesundet, die Infrastruktur mit Hilfe der Steuerzahler saniert worden. Moderne Betriebe entstanden. Die Sanierung von Deponien und Abfallgruben wurde in Angriff genommen.

Rund 350 Millionen Euro sind laut Umweltministerium – von Bund und Land – seit 1990 in das ökologische Großprojekt Bitterfeld-Wolfen geflossen. Den größten Anteil an den Sanierungskosten im Gesamtprojekt habe die langfristige Grundwassersanierung.

Nach dem Ende der Einlagerung von Abfällen in die "Grube Johannes" wurden laut Rötschke ab 1992 verschiedene Verfahren zur Sicherung untersucht. Die Geruchsbelästigung wurde eingedämmt. Eine zwölf Meter hohe Schlammschicht übernahm mit dem Ende der Einleitungen von Abwässern in den "Silbersee" eine Art "Kleisterfunktion" – um Schadstoffe im Grundwasser zu verhindern.

Überprüft werden die Arbeiten laut Umweltministerium vom Landesverwaltungsamt und der Landesanstalt für Altlastenfreistellung. Ziel am "Silbersee" ist es laut Rötschke, dass das Areal als Erholungsgebiet genutzt werden kann. Allein 20 Jahre, schätzt er, werde es allerdings brauchen, bis die Einbindung des Schlamms im "Silbersee" in die jetzt erprobten, speziell aufbereiteten Schlacken abgeschlossen werden kann – die behördliche Genehmigung vorausgesetzt. Echtes Silber gelangte indes nicht in die Grube. Das sei Legende. "Denn Silber hätte die DDR verhökert", sagt Rötschke.