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Ermittlungen Unbekannter Toter bekommt Gesicht

Wer war der unbekannte Tote in der Metallkiste, die in der Elbe gefunden wurde? Eine beim FBI ausgebildete Expertin gibt ihm ein Gesicht.

Von Dörthe Hein 16.11.2016, 12:51

Magdeburg (dpa) l Steffi Burrath hat den Falten und Furchen im Gesicht des toten Mannes nachgespürt. Sie fühlte die Senke auf der Schädeldecke. Betrachtete den alten Bruch der Nase. Sie maß genau – und gab dem Mann dann per Bleistift sein Gesicht zurück. Auf Burraths Tisch landen Fälle von unbekannten Toten, deren ursprüngliches Antlitz kaum noch zu erahnen ist. Die 54-Jährige ist die einzige Expertin bei der deutschen Polizei, die die Weichteilkonstruktion des Gesichts beherrscht. Gelernt hat sie die Technik 2002 beim FBI in den Vereinigten Staaten. Seitdem rekonstruiert sie beim Landeskriminalamt in Magdeburg Gesichter und hilft, Kriminalfälle aufzuklären.

Ihr aktueller Fall: Auf einem Holzgestell steht der Schädel des Mannes, dessen Leiche Anfang Juli in einer Metallkiste in der Elbe bei Vockerode gefunden worden war. Die Polizei geht davon aus, dass der Mann Opfer eines Verbrechens wurde. Alle Ermittlungen waren bislang erfolglos, niemand weiß, wer er ist – auch der auffällig tätowierte Name "Michaela" auf seinem Unterarm brachte die Polizisten nicht weiter. Um vielleicht doch noch erfolgreich suchen zu können, setzten die Ermittler auf Burraths Fähigkeiten, ein Porträt zu erstellen.

"Sein Gesicht war ganz verschoben vom langen Liegen", sagt Burrath. Sie konnte den Haaransatz noch erkennen und dass der Mann kurz geschorene Haare hatte. Auch Furchen und Falten konnte sie noch erkennen – alles in allem gute Voraussetzungen für ihre Arbeit und das Bild, findet die ehemalige Modezeichnerin.

Jetzt steht der Schädel des Mannes, dessen Alter auf 45 bis 60 geschätzt wird, auf einem Holzgestell vor Burrath – 29 kleine Gummistifte kleben an genau vorgegebenen Punkten. Sie zeigen, wie dick die Weichteile dort jeweils gewesen sein dürften, wo sich die Haut spannte. Das ist die Grundlage für Burraths Zeichnung des Gesichts – sie hält ihre Methode für genauer als Rekonstruktionen per Computer oder Knete-Modellierungen. Die Expertin sagt, sie könne kleine individuelle Merkmale zeichnerisch am besten festhalten. Immer wieder taste sie den Schädel ab beim Zeichnen.

Sie arbeitet sich stets langsam heran an den Toten. "Am ersten Tag recherchiere ich erstmal: Ich schaue Obduktionsbilder an, das Alter, Mann oder Frau." Die Herkunft spiele eine Rolle, die Konfektionsgröße. Bei dem Toten, vor dessen Schädel Burrath sitzt, ist dank spezieller Untersuchungen klar: Er kam aus Südosteuropa. "Da habe ich mir möglichst viele Bilder von Menschen aus der Region angesehen." Bei der Rekonstruktion des Toten aus der Kiste setzte sie dann auf einen dunkleren Hautton und etwas buschigere Augenbrauen.

Insgesamt 30 Gesichter hat Steffi Burrath im Zusammenhang mit Kriminalfällen rekonstruiert – zwei bis vier pro Jahr sind es. Die Aufträge kamen von der Polizei aus dem gesamten Bundesgebiet. Bei 50 Prozent etwa liegt ihre Erfolgsquote. Die nicht identifizierten Menschen stammten meist aus dem Ausland – wie in diesem Fall, oder seien Obdachlose. "Bei einem Erfolg frage ich immer, ob ich ein Foto von dem Menschen bekommen kann. Das ist meine Gütekontrolle", sagt Burrath. Der Kriminologe Christian Pfeiffer hält das Verfahren aus den USA für hilfreich. "Auch bei uns macht es Sinn, diesen Weg einzuschlagen."

In dem konkreten Fall sieht Pfeiffer aber Hürden. "Wir können die Nachbarschaft nicht direkt ansprechen. Das schränkt die Möglichkeiten ein." Pfeiffer kommt der Gedanke an die Kriminellenszene – eine Leiche in der Kiste, die auch noch in einen Fluss geworfen wurde, spricht aus seiner Sicht dafür. Pfeiffer plädiert deshalb dafür, weit über die Grenzen der Region hinaus zu suchen. "Das ist ein Fall für XY", sagt er und meint die ZDF-Sendung, die bei der Aufklärung von Verbrechen helfen will.